Freitag, 8. Juli 2016

„I have a dream“ – Führungskräfte und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie


Laut Arbeitszeitmonitor 2016 – eine Studie des Beratungsunternehmens Compensation Partner – leisten aktuell 61 % der Beschäftigten durchschnittlich 3,2 Überstunden pro Woche. Führungskräfte und hoch qualifizierte Fachkräfte mit einem Einkommen von mehr als 120.000 Euro pro Jahr legen eine kräftige Schippe drauf: Sie arbeiten fast 10 Stunden pro Woche zusätzlich. Die Korrelation zwischen steigender Verantwortung und steigender Anzahl der Überstunden manifestiert sich hier deutlich.


Viel Zeit für die Arbeit – wenig Zeit für die Familie?

Familien- und lebensphasenbewusste Personalpolitik – auch
für Führungskräfte möglich (
©berufundfamilie, Marcel Coker)
Zeit ist ein beschränktes Gut. Wer mehr arbeitet, hat entsprechend weniger Zeit für Privates. Ist die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben für Führungskräfte also ein unrealisierbarer Traum?

Inwieweit nehmen Führungskräfte das familienbewusste Angebot des Betriebs für sich in Anspruch? Welche Maßnahmen werden von ihnen bevorzugt?

Eine Studie des Forschungszentrums Familienbewusste Personalpolitik (FFP)[1], die in Kooperation mit der berufundfamilie 2010 durchgeführt wurde, bot erstmals belastbares empirisches Material zur Verein­barkeitslage unter Führungskräften. Befragt wurden 1.205 Führungskräfte bei Arbeitge­bern, die das Zertifikat zum audit berufundfamilie trugen.

Vereinbarkeit für Führungskräfte – Wunsch und Wirklichkeit

Vier Fünftel der Führungskräfte schätzte die Vereinbarkeit von Beruf und Familie als wichtig oder sehr wichtig ein – sowohl für ihre Beschäftigten als auch für sich. Hier zeigt sich: Längst entspricht das »Entweder-Oder«, die Entscheidung »Beruf oder Familie«, nicht mehr den Vorstellungen vieler Führungskräfte: Hochqualifizierte Frauen wollen einen Beruf ausüben, ohne auf Familie zu verzichten, Väter möchten immer weniger ausschließlich die traditionelle Ernährerrolle ausführen. 57,8 % der befragten Füh­rungskräfte nahmen selbst Familienaufgaben wahr: Bei 76,7 % von ihnen waren es Aufgaben in der Kinderbetreuung, bei 14,9 % die Pflege von Angehörigen und bei 8,3 % Aufgaben in beiden Bereichen.

Aber: Im Schnitt empfanden es 42,5 % der betroffenen Führungskräfte als eher schwierig, selbst Beruf, Familie und Privatleben zu verein­baren. In gewinnorientierten Unternehmen standen sogar 48,7 % der Führungskräfte vor Vereinbarkeitsproblemen. In nicht-gewinnorientierten Organisationen waren es 38,3 %. Je mehr Personalverantwortung sie hatten, umso schwieriger stuften die Führungskräfte die eigene Vereinbarkeit ein. Weniger relevant war hingegen, ob es sich bei der Führungskraft um eine Frau oder einen Mann handelte. Frauen und Männer gaben eine vergleichbare Einschätzung ab.

Führungskräfte im Spannungsfeld

Führungskräfte sahen vor allem Arbeitsvolumen, die Arbeitsorganisation und kulturelle Faktoren als Vereinbarkeitshindernisse (im Folgenden in gewichteter Reihenfol­ge):
  1. zu hohes Volumen der zu bewältigenden Arbeit im Beruf
  2. zu geringe Flexibilität hinsichtlich Arbeitszeit oder Arbeitsort
  3. mangelnde Akzeptanz der Vereinbarkeit bei anderen Führungskräften oder der Unternehmensführung
  4. hohe Mobilitätsanforderungen
  5. schwierige Organisation der Kinderbetreuung
Insbesondere konkrete Lösungen be­züglich der Arbeitszeit hätten ihrer Meinung nach dazu beitragen können, die eigene Vereinbarkeit zu verbessern. Hier das Ranking der gewünschten betrieblichen Maßnahmen:
  1. höhere Flexibilisierung der Arbeitszeit (z. B. Vertrauensarbeit, Gleitzeit)
  2. Elternzeit/Programme für Wiedereinsteiger  flexible Arbeitsorte (z. B. Home Office-Tage, mobiles Arbeiten)
  3. temporäre Arbeitszeitreduktion (z. B. Sabatticals, Teilzeit)
  4. Unterstützung bei der Vermittlung von Betreuungsplätzen für Kinder oder pflegebedürftige Angehörige

Arbeitgeber und Führungskräfte müssen umdenken

Wer Verantwortung in der Familie übernimmt, muss nicht auf Karriere verzichten. Wer Verantwortung im Beruf übernimmt, muss nicht auf Zeit mit der Familie oder für das Privatleben verzichten. Aber immer noch durchkreuzen traditionelle Modelle ein Umdenken – Modelle, in denen beispielsweise ein Mitarbeiter seinem Beruf in Vollzeit nachgeht, während zumeist die/der Lebenspartner/in eine Teilzeitbeschäftigung hat und sich vorrangig um die Familie kümmert. Insbesondere für Führungskräfte heißt das: Ihr gängiges Berufsbild ist von langen Präsenszeiten, einer hohen Mobilität und einer Rund-Um-die-Uhr-Erreichbarkeit geprägt. Maßnahmen zur Verein­barkeit von Beruf, Familie und Privatleben in Anspruch zu nehmen ist für viele Führungskräfte mit negativen Auswirkungen auf ihre berufliche Laufbahn verbunden. Mit dieser Haltung können sie allerdings nicht die so notwendige Vorbildfunktion wahrnehmen: Denn erst wenn Führungskräfte familien- und lebensphasenbewusste Maßnahmen für sich in Anspruch nehmen, wird Vereinbarkeit zu einem kulturellen Selbstverständnis.


[1] Gerlach, Irene / Schneider, Helmut (Hrsg.): Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Führungskräften. FFP-Thesenpapier 3 / 2010


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