Donnerstag, 4. Juni 2020
Podcast (Folge 10): „Warum Arbeitgeber Vereinbarkeitsnomad*innen brauchen“ – mit Sigrid Bischof, berufundfamilie
In der neuen Folge unseres Podcasts „HR-Expert*innen im Vereinbarkeits-Talk“ spricht Silke Güttler mit Sigrid Bischof, Auditorin der berufundfamilie, über den strategischen Auf- und Ausbau einer familien- und lebensphasenbewussten Personalpolitik und ihre Rolle als „Vereinbarkeitsnomadin“ – auch in Coronazeiten. Für diesen Blog haben wir das Interview zusammengefasst.
Acht von zehn Entscheidungsträger*innen in Organisationen finden die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben wichtig. Und 59 % würden sich sogar selbst bei gleichen Bedingungen für einen Arbeitgeber entscheiden, der für die Vereinbarkeit unabhängig zertifiziert ist. Unsere repräsentative Umfrage aus dem Herbst letzten Jahres zeigt noch mehr: Es geht den Vertreter*innen der Organisationen auch um die Weiterentwicklung der familien- und lebensphasenbewussten Personalpolitik.
Sigrid Bischof, Auditorin der berufundfamilie, weiß genau, wie er geht, der Auf- und Ausbau der betrieblich gesteuerten Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben. Sie kennt den blinden Aktionismus von Organisationen, das Zögern, das Scheitern, das Aufrappeln, aber vor allem auch die Erfolgserlebnisse und die Erkenntnis von Arbeitgebern, dass Vereinbarkeit ein unerlässlicher Baustein und Treiber der Personalpolitik ist – auch in Coronazeiten. Sie hat also Spannendes zu berichten und wir haben nachgefragt:
Sigrid, heute treffe ich dich telefonisch im Home-Office an. Normalerweise bist du viel unterwegs – auch direkt bei Arbeitgebern vor Ort. Wie arbeitest du momentan – während der Coronapandemie – mit Organisationen zusammen?
Zurzeit bin ich mehr virtuell unterwegs, was auch eine spannende Erfahrung ist und bei vielen Unternehmen das Thema Home-Office oder mobiles Arbeiten sofort in eine unfreiwillige Pilotierung katapultierte. Wohl denen, die schon vorbereitet waren bzw. schon viel Erfahrung damit hatten, wie doch die meisten unserer zertifizierten Unternehmen bzw. Organisationen.
Die Tatsache, dass du eigentlich im ganzen Land in Sachen familien- und lebensphasenbewusste Personalpolitik unterwegs bist, macht dich zu einer Vereinbarkeitsnomadin – wenn man so will. Angesichts Corona nicht so sehr durch physische Präsenz, aber vor allem auch geistig dank des weitgefächerten Know-hows, das du in jahrelanger Beratung angeeignet hast. Aber bevor wir konkret über diese Arbeit sprechen, gib uns doch bitte mal eine Einschätzung: Sind sich Arbeitgeber über den Nutzen einer familien- und lebensphasenbewussten Personalpolitik im Klaren?
Das reicht, wie bei allem von klarem strategischem Verständnis und entsprechendem Handeln bis hin zu Lippenbekenntnissen. Allerdings ist letzteres bei meinen zertifizierten Unternehmen eher selten zu finden und fällt eher in der Akquise bzw. beim Wechsel in der Leitungsebene auf, wenn das Thema vererbt wurde und die Organisation noch nicht ganz durchdrungen ist.
Dennoch unterscheidet sich die Zustimmung zum Thema auch auf der Leitungsebene. Geschäftsleitungen, Vorstände, Präsidien etc. nutzen den Zertifizierungsprozess, um sich auch gegenseitig zu sensibilisieren.
Wie stehen die Arbeitgeber einer externen Unterstützung beim Auf- und Ausbau ihrer Vereinbarkeitspolitik gegenüber? Ziehen sie es vor, allein zu starten?
Meine Erfahrung ist, dass die meisten Arbeitgeber schon ein paar Schritte im Thema gegangen sind. Bevor sie mit einem Zertifikat starten, wollen sie schon ein wenig nachweisen können. Dann brauchen Sie uns zum Strukturieren, für neue Ansätze und für den systematischen Changeprozess, der alle Bereiche und Ebenen einschließt und vor allem die Leitungsebene immer wieder mit ins Boot nimmt.
Spätestens dann kommen du und deine Kolleg*innen also ins Spiel – die Auditor*innen. Zunächst zu dir selbst: Wie wurdest du Auditorin?
Im Corona-Aufräumfieber ist mir gerade diese Tage wieder mein allererstes Projekt zur Wiedereingliederung von Frauen in qualifizierte Berufstätigkeit in die Hände gefallen, das von der Uni Mannheim, Lehrstuhl Gaugler zusammen mit dem Land RLP durchgeführt wurde. Damals war es noch schwieriger Frauen in Teilzeit zurück in qualifizierte Arbeit zu bringen.
Du siehst, es war schon zu Beginn meiner Berufstätigkeit mein Thema. In der Folge konnte ich bei Hewlett Packard u.a. Projekte zu Home-Office und Job-Sharing durchführen, die sich in der Praxis schon damals bewährt haben. Meine eigene Biographie profitierte auch davon. In meiner Selbstständigkeit verlor sich der Fokus etwas – hier war ich eher in generellen Changeprozessen und in der Führungskräfte- und Mitarbeiterentwicklung aktiv, bis ich auf das audit berufundfamilie der Hertie-Stiftung aufmerksam wurde. Nun bin ich seit zwölf Jahren auch Auditorin für das audit berufundfamilie und für die familiengerechte Hochschule und habe es nicht bereut!
Welche Arbeitgeber betreust du?
Ungefähr die Hälfte meiner Organisationen, die ich begleite, sind Unternehmen und zu je einem weiteren Viertel Institutionen und Hochschulen. Unternehmen kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen, Banken, Krankenhäuser, Handel, Logistik und Dienstleistungsunternehmen in der Forschung. Von der Größe bin ich eher im Mittelstand von 100 bis ca. 4.000 Beschäftigten primär in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen tätig.
Was sind deren aktuellen Themen? Also, wo drückt der Schuh? Und gibt es da Unterschiede zwischen den Branchen?
In Zeiten von Corona sind alle unsere zertifizierten Organisationen froh, dass sie schon gute Erfahrungen mit Home-Office bzw. mobilem Arbeiten gemacht haben. Darin liegen bei manchen Organisationen allerdings durchaus noch Herausforderungen. Speziell im Klinikbereich bei Ärzten und Ärztinnen werden da in Zukunft große Fortschritte erzielt werden und neue Arbeitsformen ermöglichen.
Darüberhinaus spielen bei einigen Arbeitgebern der Umgang mit unterschiedlichen Generationen mit unterschiedlichen Werteverständnis eine große Rolle.
Welche Themen zeichnen sich für die Zukunft ab? Welche Erfahrungen aus Coronazeiten spielen dort evtl. rein?
Ich denke, dass das Thema Identifikation mit der Organisation und den Zielen meiner Arbeit wieder stärker in den Fokus rücken muss, um den Beschäftigten bei allem mobilen Arbeiten und den unterschiedlichen Lebensentwürfen eine berufliche Heimat zu geben. Das bedeutet Visionen und Ziele für das Unternehmen zu entwickeln, Teamarbeit zu stärken und zwar auf einer neuen digitalen Ebene.
Und dabei kann das audit berufundfamilie helfen?
Ganz sicher! Die Quednau-Studie zeigt, dass familienbewusste Unternehmen als identitätsstiftend wahrgenommen werden. Die organisationale Unterstützung wird positiv erlebt, ganz gleich welche konkreten Maßnahmen ein Arbeitgeber anbietet bzw. anbieten kann. Darüber hinaus schauen wir was die Organisation braucht und wie es im täglichen Tun verankert werden kann.
Nimm uns mal mit in deine Arbeit. Also, ein Arbeitgeber fragt das audit an. Was passiert jetzt? Obwohl, kann man das eigentlich so pauschal sagen oder gibt es Unterschiede in der Herangehensweise je nach Branche oder auch Größe des Arbeitgebers?
Eigentlich läuft das schon sehr ähnlich ab. Wenn ein Arbeitgeber das audit anfragt, ist er sich auch schon bewusst, was er damit erreichen möchte. Dies gilt es nochmal gemeinsam abzusprechen. Insbesondere muss geklärt sein, dass beim audit berufundfamilie Ziele für die nächsten drei Jahre vereinbart werden, die wir nachhalten. Wir sind ja kein Zertifikat, das sich mit einer Nabelschau zufrieden gibt. Nach ersten Vorgesprächen über den Prozess überlegen wir gemeinsam mit dem Gesprächspartner, wen es zu Umsetzung braucht und wie wir am besten auch zeitlich vorgehen. Da wir ein kompaktes Verfahren im Vergleich zu anderen Auditierungen mit wenig Vorbereitungsaufwand haben, können auch schon immer Termine vereinbart werden.
Was ist das jeweilige Ziel einer Auditierung?
Der Arbeitgeber schafft in der Folge Strukturen und eine Kultur, die entsprechend den Voraussetzungen der Organisation die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben ermöglichen.
In den ersten drei Jahren geht es sehr häufig um die Strukturierung bestehender Maßnahmen und die Entwicklung von grundlegenden Voraussetzungen organisational und in der Führung.
In den folgenden Verfahren wird optimiert und konsolidiert, um eine gute Durchdringung zu erreichen, damit das Unternehmen bzw. die Organisation sich selbst steuern kann. Das ist in der Regel nach 6 bis 9 Jahren der Fall.
Wenn ich als Arbeitgeber nach sechs bis neun Jahren idealerweise Vereinbarkeit in die Unternehmenskultur überführt habe, wäre es dann nicht ein Leichtes, ohne externe Unterstützung weitermarschieren? Warum und wie soll ich jetzt weitermachen?
Nach ein paar Jahren ist das Thema in den operativen Prozessen etabliert. Personalabteilung und Unternehmenskommunikation, Qualitätsmanagement etc. steuern die Prozesse und können auch die Weiterentwicklungspotentiale erkennen. Bei Hochschulen und Institutionen ist in der Regel auch das Gleichstellungsbüro, sowie sämtliche Beratungseinheiten für Studierende integriert und/ oder es gibt ein Büro der familienbewussten Hochschule.
Wir kommen noch vorbei, um sicherzustellen, dass das Siegel nicht an Wert verliert z.B. durch Leitungswechsel, Fusionen etc. und sind auch immer noch Reflexionshilfe und Ideengeber. Von außen werden blinde Flecken schneller sichtbar.
Gibt es (sonst noch) kritische Situationen, in denen Arbeitgeber sich aus dem strategischen Prozess verabschieden wollen?
Eigentlich nicht, zumindest bei mir. Bei meinen wenigen Aussteigern geschah das in der ersten Phase. Dazu habe ich sogar einmal geraten, als die Projektleitungen nicht die nötige Unterstützung der Geschäftsleitung bekam und somit die vereinbarten Ziele nicht bearbeiten konnte.
Was war das schönste Feedback an dich von den Arbeitgebern, die du begleitest?
Richtig gefreut habe ich mich, als ein zu Beginn eher skeptischer Geschäftsführer nach drei Jahren sagte, er sei richtig froh, dass sich das Unternehmen mit dem Thema auseinandergesetzt habe. Bei dem hohen Anteil gut ausgebildeter Wissenschaftlerinnen in der Unternehmensleitung seien die Fälle jetzt eingetreten und er fühlte sich vorbereitet. Natürlich gefällt mir auch, wenn ein Vorstand die Ziele, die er mit dem audit berufundfamilie erreichen möchte, tatsächlich erreicht und dies stolz berichtet. In einem Fall war es das Ziel, dass Frauen aus Elternzeit zurückkehren und nicht nur vormittags arbeiten möchten. Nach drei Jahren war die Rückkehrquote deutlich gestiegen und das Arbeitszeitfenster sehr breit.
Freust du dich schon darauf, die Arbeitgeber in ihren Organisationen zu wieder besuchen? Braucht es das auch regelmäßig oder funktioniert die Begleitung auch völlig virtuell?
Wenn die Handelnden sich verändern und neu in der Funktion sind, habe ich das starke Bedürfnis sie persönlich kennen zu lernen. Bei bestehenden Kontakten hat sich über die verbindliche Zusammenarbeit meist schon ein gutes Vertrauensverhältnis aufgebaut, so dass telefonisch viel geregelt werden kann. Sich in den Video-Konferenzen zu sehen, ist schon ein zusätzlicher Gewinn, ersetzt aber nicht, sich ab und an auch persönlich zu treffen.
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