Bedenklicher
Aktionismus in der Arbeitswelt? (©pixabay.com)
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Arbeitsrecht und Arbeitsvorschriften erfahren aufgrund der Coronapandemie einige Neuerungen. Und die haben Auswirkungen auf die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben. Oliver Schmitz, Geschäftsführer der berufundfamilie Service GmbH, benennt in der aktuellen Ausgabe der Blogserie „Zur Debatte, Herr Schmitz“ die Pros und Cons für das angedachte Gesetz zu Home-Office. Zudem gibt es Infos zum Entschädigungsanspruch für Eltern.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil plant, im Herbst einen Gesetzesentwurf zum Anspruch auf Home-Office vorzulegen. Danach soll es jeder*jedem Beschäftigten möglich sein, komplett auf Home-Office umzusteigen oder zumindest für ein oder zwei Tage pro Woche. Herr Schmitz, was spricht für eine gesetzliche Verankerung des Rechts auf Home-Office?
Dafür spricht, dass damit auch ein Zeichen gesetzt wird, hin zu einer stärkeren Öffnung der Möglichkeit örtlich flexibel zu arbeiten. Wobei ich das Gesetz hier lediglich für ein Vehikel halte, um das Thema verstärkt und verbindlich ins Bewusstsein zu bringen. Man hat damit zwar mehr Rechte seinen Wunsch auf Home-Office durchzusetzen; den wahren positiven Effekt sehe ich aber darin, dass hierdurch generell die Legitimation steigt, Home-Office zum Thema zu machen. Es geht darum, die Kultur zu verändern. Das schaffen keine starren Vorgaben und Gesetze. Diese können aber dazu beitragen, dass die Themen offener angesprochen werden und hierdurch Reflexionen und Erfahrungen entstehen, die Denkmuster aufbrechen und etwas Neues entstehen lassen.
Die Partnermonate und der Partnerbonus sind für mich hier ein gutes Beispiel. Auch wenn wir was Partnerschaftlichkeit anbetrifft noch lange nicht am Ziel sind, hat dieses Gesetz dazu beigetragen, dass die Legitimation für aktive Partnerschaft deutlich erhöht wurde.
Was auch dafür spricht, ist, dass es doch gar nicht weh tut! Letztendlich sind es in der Regel doch deutlich weniger Beschäftigte als häufig angenommen, die tatsächlich im Home-Office arbeiten wollen und wo dies auch der private Rahmen hergibt. Ganz abgesehen von dem sehr großen Anteil an Beschäftigten, bei denen die Tätigkeit selbst Home-Office gar nicht zulässt oder wo nur ein sehr kleiner Bereich der Tätigkeit örtlich unabhängig durchgeführt werden kann.
Nicht vergessen darf man, dass örtlich flexibles Arbeiten auch ein Stück weit aktives Risikomanagement ist. Das würde durch ein Gesetz auch noch mal gefördert. Die Coronakrise macht ganz besonders deutlich: Die Organisationen die geübt darin waren, in örtlicher Distanz zusammenzuarbeiten, haben gerade jetzt deutliche Vorteile. Aber auch zu „normalen“ Zeiten profitieren wir in Notsituationen und bei Engpässen von einem besseren Zugriff auf Ressourcen.
Was spricht gegen eine solche gesetzliche Fixierung?
Das beste Gesetz bringt nichts, wenn die Kultur nicht passt. Denkweisen kann man nicht verordnen. Was nützt das Recht, wenn ich das Gefühl habe, ich könnte zwar, aber gewollt ist es nicht? Hinzu kommt, dass Arbeitszeitgesetze die Flexibilität, die eigentlich mit einem Home-Office verbunden sein könnte, ausbremsen. Wenn Home-Office nur dazu führt, dass ich meinen Nine-to-five-Job aus den eigenen vier Wänden ausüben kann, dann habe ich maximal die Anfahrtszeit zur Arbeitsstätte gespart (Was auch schon einen deutlichen Gewinn darstellen kann).
Eigentlich müsste parallel das Arbeitszeitgesetz deutlich mehr Flexibilität ermöglichen. Aber sind wir bereits so weit? Das Arbeitszeitgesetz dient auch dem Schutz der Beschäftigten. Sind wir als Gesellschaft so weit den formalen Schutz eines Gesetzes gegen eine „gesunde Arbeitskultur“ einzutauschen? Wenn ich die aktuelle Diskussion um die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen sehe, dann muss ich eindeutig „nein“ sagen. Denn da fehlt es eher an noch mehr Regularien. Ich kenne aber auch Organisationen, wo es eigentlich kein Problem darstellt, wenn Beschäftigte am späteren Abend noch ihre E-Mails abrufen, da sie sich tagsüber um Kinder, ihre*n zu pflegende*n Angehörige*n oder auch um ein Ehrenamt gekümmert haben. Sie machen das nicht als Getriebene, sondern haben den Gestaltungsspielraum und wissen damit auch verantwortungsbewusst umzugehen. In solchen Situationen gibt es ein gesundes Geben und Nehmen zwischen Beschäftigten und Arbeitgeber, auch wenn hier gelegentlich gegen Gesetze und Regeln verstoßen wird.
Der Gesetzgeber ist wahrlich nicht zu beneiden. Aber auch die Sozialpartner sind gefordert, konstruktiv zusammenzuarbeiten. Durch die aktuelle Krise haben wir einen großen Gestaltungsbedarf, aber auch die Chance etwas zum Besseren zu verändern. Wir müssen zum Teil neue Rahmenbedingungen schaffen, die uns zum einen antreiben, die uns zum anderen aber auch genug Raum für eine Kulturentwicklung ermöglichen. Hinzu kommt, dass wir eigentlich gar kein „New Work“ brauchen – wir sind schon mitten drin in dieser neuen Arbeitswelt. Corona hat uns in diese neue Arbeits- und Lebenswelt reinkatapultiert. Wir übertreten gerade permanent Grenzen im organisatorischen, im rechtlichen und im privaten Bereich. Aber wenn man nie über seine Grenzen hinaus geht, merkt man auch nie, was alles möglich ist. Da machen wir gerade sowohl gute als auch schmerzhafte Erfahrungen, aus denen wir lernen müssen. Ein zurück zum Status quo wird es meines Erachtens nicht geben.
Wichtige Informationen (Update 26.05.2020):
Vor dem Hintergrund der Coronapandemie reagierte der Gesetzgeber und nahm Neuerungen in das Infektionsschutzgesetz auf: Erwerbstätige Sorgeberechtigte – also Eltern –, die ihre Kinder infolge der behördlichen Schließung oder eines Betretungsverbots von Kinderbetreuungseinrichtungen, wie Kita oder Schule, selbst betreuen mussten/ müssen und ihrer Berufstätigkeit nicht nachkommen konnten/ können und deshalb einen Verdienstausfall eintrat, hatten/ haben seit dem 30. März 2020 einen Entschädigungsanspruch. Die Entschädigung beträgt 67 % des entstandenen Verdienstausfalls des betroffenen Sorgeberechtigten, höchstens 2.016 EUR monatlich für einen vollen Monat. Das Kabinett hat am 20. Mai 2020 eine Verlängerung der Lohnfortzahlung von ursprünglich sechs auf nun insgesamt 20 Wochen beschlossen.
Informationen zum gesetzlichen Anspruch laut Gesetz sind hier zu finden. Weiteres auch auf familienportal.de.
Es war zunächst unklar ob auch Beschäftigte, die im Home-Office arbeiten oder aufgrund der Situation ihre Arbeitszeit reduzieren, unterstützt werden. Die Umsetzung in einigen Bundesländern zeigt aber, dass dies auch für diese Beschäftigtengruppen möglich sein wird. Beispielhaft für eine mögliche Ausgestaltung hier der Link zum Landschaftsverband Rheinland (Bundesland Nordrhein-Westfalen).
Um Familien mit kleinen Einkommen zusätzlich vor den Folgen der Coronapandemie zu schützen, wurde zudem der Kinderzuschlag (KiZ) angepasst. Informationen zum Notfall-KiZ hat das Bundesfamilienministerium hier aufbereitet.
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