Nichts sagen, nichts hören, nichts sehen: Auch in der Vereinbarkeit gibt es vermeintliche Tabuthemen (©pixabay.com)
Unter Kolleg*innen teilen wir Fotos von Kindern und Enkelkindern, sprechen über schulische Herausforderungen des Nachwuchses und den eigenen Umzug. Familie und Privatleben finden Raum in den Konversationen – oft auch mit Vorgesetzten. Tun wir das freiwillig, ist das gut so, denn somit öffnen wir das allgemeine Verständnis für unsere individuellen Vereinbarkeitsbedarfe. Inzwischen haben auch Themen ihren Raum gefunden, die vor nicht allzu langer Zeit verschwiegen wurden: So fiel es uns schwerer, die Pflege von nahen Verwandten zu thematisieren als die Geburt eines Kindes. Zu negativ geprägt erschien uns die Pflegeaufgabe, um sie mit anderen – zumindest verbal – zu teilen. Glücklicherweise hat sich das weitestgehend geändert. Pflege ist mittlerweile ein gesellschaftliches Thema, für das viele Arbeitgeber ihren Beschäftigten auch unterstützende Maßnahmen anbieten. Heute ist Pflege in Betrieben weniger ein Tabuthema als ein How-to-Thema. „Wie gestalte ich als Arbeitgeber eine pflegebewusste Personalpolitik?“; „Wie gehe ich als Beschäftigter die Herausforderung Pflege an? Wer kann mir Hilfestellungen bieten?“ – Das sind die Fragen, die sich die Zielgruppen derzeit in den Betrieben stellen.
So gesehen trägt das zunehmende Verständnis von Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben zur Enttabuisierung von vermeintlich Privatem bei. Doch: Es gibt sie, die Themen bzw. Aspekte, die man sich kaum anzufassen traut. Es sind vor allem die Themen, die – wie eben häufig Pflege – schwer auf der Seele und dem Herzen liegen, die den einzelnen Betroffenen handlungsunfähig und oft auch sprachlos machen. Allen voran sind das Trennung und Tod.
Kein Wunder eigentlich: Wer lässt schon gerne die gesamte Belegschaft wissen, dass die eigene Beziehung in die Brüche gegangen ist? Wer möchte schon seinen Schmerz um den Verlust eines Menschen mit Jeder*Jedem teilen und auf deren*dessen Verhalten dazu reagieren (müssen), wen man selbst noch keinen Umgang damit gefunden hat?
Aber eben diese Verluste haben Auswirkungen auf das eigene Befinden – oft gravierende. Die Konzentration auf berufliche Aufgaben ist nachvollziehbarer Weise negativ beeinträchtigt. Die Fokussierung auf Projekte kann nachlassen. Die gesamte Leistungsfähigkeit, sprich Performance, leidet. Ein High-Performer kann zu einem Low-Performer werden. Nicht zuletzt ist die Kommunikationsfähigkeit im Team heruntergefahren. Das berühmte Schneckenhaus wird aufgesucht. Wenn andere lachen, möchte man lieber flüchten. Und in einem Trauerfall muss gehandelt werden: Man muss die Beerdigung organisieren und anschließend ggf. auch den Nachlass regeln. Hierfür vom Job frei zu nehmen und zu bekommen, ist legitim. Aber damit ist es nicht getan. Was ist, wenn die Situation einen selber krank macht? Was ist, wenn man nicht nur mal ein paar Tage ausfällt, sondern über einen längeren Zeitraum immer mal wieder ein paar Tage freinehmen muss? Wie viel Rücksichtnahme von Kolleg*innen und Vorgesetzten ist da?
Trennung ist sicherlich ein besonderer Fall. Er geht mit verletztem Stolz einher. Viele beurteilen das Scheitern einer Beziehung als persönliche Niederlage. Die auch noch breit zu treten ist nicht unbedingt erstrebenswert – auch nicht in Zeiten der Fehlerkultur.
Auch möchte man kein Mitleid erregen und das Umfeld mit der eigenen Situation belasten oder gar unangenehm berühren. Man selber weiß doch, wie schwierig es ist, einen trauernden Menschen aufzufangen.
Privates kann und muss Privates bleiben dürfen. Ein Zwang zur absoluten Offenlegung der eigenen Gefühlswelt kann nicht das Ziel einer noch so gut gemeinten Vereinbarkeitspolitik sein. Denn es gehört auch zur Fürsorgepflicht eines Arbeitgebers, nicht übergriffig zu werden. Was ist jedoch die Erwartungshaltung der*des Beschäftigten in einer solchen Situation? Will man Verständnis und Rücksichtnahme – ggf. für eine geringere Leistungsfähigkeit über mehrere Wochen? Der Arbeitgeber braucht in diesem Fall ein Signal von der*dem Betroffenen.
Doch dieses trauen sich Beschäftigte nur zu geben, …
… wenn eine Kultur gegeben ist, in der Trauer und Trennung angesprochen werden können – nicht nur unter Kolleg*innen, sondern auch gegenüber Vorgesetzten
… wenn diese Aspekte innerbetrieblich als Lebenssituationen verstanden werden, die sich unter der Vereinbarkeitsbrille betrachten lassen
… wenn konkrete Unterstützungsangebote gemacht werden können, wie etwa Sonderurlaub, Gespräche mit einer Vertrauensperson, Sozialberatung, psychologische Begleitung oder Hilfe durch ein Employee Assistance Program (EAP).
Aufgabe des Arbeitgebers ist es, die Tür zu öffnen und über Trennung und Tod bzw. die Angebote in diesen Lebenssituationen zu kommunizieren. Vielleicht hat die Coronapandemie ein Stück weit dazu beigetragen, dass Führungskräfte mit Mitarbeitenden und Kolleg*innen untereinander die Türklinke in die Hand nehmen und leichter in den Austausch über private Herausforderungen gehen. Denn noch nie waren berufliche und familiäre Aufgaben so eng miteinander verwoben. Vermutlich brauchte es noch nie in dieser geballten Form gegenseitiges Verständnis und flexible Lösungen.
Aufgabe der Beschäftigten ist es, die Tür aufzustoßen und durch sie hindurch zu gehen. Alles Weitere muss sich dann zeigen – und das am besten in einem von Vertrauenskultur geprägten fortlaufenden Dialog zwischen Beschäftigten und Arbeitgeber.
Verlust … auch der eigenen Leistungsfähigkeit
So gesehen trägt das zunehmende Verständnis von Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben zur Enttabuisierung von vermeintlich Privatem bei. Doch: Es gibt sie, die Themen bzw. Aspekte, die man sich kaum anzufassen traut. Es sind vor allem die Themen, die – wie eben häufig Pflege – schwer auf der Seele und dem Herzen liegen, die den einzelnen Betroffenen handlungsunfähig und oft auch sprachlos machen. Allen voran sind das Trennung und Tod.
Kein Wunder eigentlich: Wer lässt schon gerne die gesamte Belegschaft wissen, dass die eigene Beziehung in die Brüche gegangen ist? Wer möchte schon seinen Schmerz um den Verlust eines Menschen mit Jeder*Jedem teilen und auf deren*dessen Verhalten dazu reagieren (müssen), wen man selbst noch keinen Umgang damit gefunden hat?
Aber eben diese Verluste haben Auswirkungen auf das eigene Befinden – oft gravierende. Die Konzentration auf berufliche Aufgaben ist nachvollziehbarer Weise negativ beeinträchtigt. Die Fokussierung auf Projekte kann nachlassen. Die gesamte Leistungsfähigkeit, sprich Performance, leidet. Ein High-Performer kann zu einem Low-Performer werden. Nicht zuletzt ist die Kommunikationsfähigkeit im Team heruntergefahren. Das berühmte Schneckenhaus wird aufgesucht. Wenn andere lachen, möchte man lieber flüchten. Und in einem Trauerfall muss gehandelt werden: Man muss die Beerdigung organisieren und anschließend ggf. auch den Nachlass regeln. Hierfür vom Job frei zu nehmen und zu bekommen, ist legitim. Aber damit ist es nicht getan. Was ist, wenn die Situation einen selber krank macht? Was ist, wenn man nicht nur mal ein paar Tage ausfällt, sondern über einen längeren Zeitraum immer mal wieder ein paar Tage freinehmen muss? Wie viel Rücksichtnahme von Kolleg*innen und Vorgesetzten ist da?
Trennung ist sicherlich ein besonderer Fall. Er geht mit verletztem Stolz einher. Viele beurteilen das Scheitern einer Beziehung als persönliche Niederlage. Die auch noch breit zu treten ist nicht unbedingt erstrebenswert – auch nicht in Zeiten der Fehlerkultur.
Auch möchte man kein Mitleid erregen und das Umfeld mit der eigenen Situation belasten oder gar unangenehm berühren. Man selber weiß doch, wie schwierig es ist, einen trauernden Menschen aufzufangen.
Die Tür öffnen
Privates kann und muss Privates bleiben dürfen. Ein Zwang zur absoluten Offenlegung der eigenen Gefühlswelt kann nicht das Ziel einer noch so gut gemeinten Vereinbarkeitspolitik sein. Denn es gehört auch zur Fürsorgepflicht eines Arbeitgebers, nicht übergriffig zu werden. Was ist jedoch die Erwartungshaltung der*des Beschäftigten in einer solchen Situation? Will man Verständnis und Rücksichtnahme – ggf. für eine geringere Leistungsfähigkeit über mehrere Wochen? Der Arbeitgeber braucht in diesem Fall ein Signal von der*dem Betroffenen.
Doch dieses trauen sich Beschäftigte nur zu geben, …
… wenn eine Kultur gegeben ist, in der Trauer und Trennung angesprochen werden können – nicht nur unter Kolleg*innen, sondern auch gegenüber Vorgesetzten
… wenn diese Aspekte innerbetrieblich als Lebenssituationen verstanden werden, die sich unter der Vereinbarkeitsbrille betrachten lassen
… wenn konkrete Unterstützungsangebote gemacht werden können, wie etwa Sonderurlaub, Gespräche mit einer Vertrauensperson, Sozialberatung, psychologische Begleitung oder Hilfe durch ein Employee Assistance Program (EAP).
Aufgabe des Arbeitgebers ist es, die Tür zu öffnen und über Trennung und Tod bzw. die Angebote in diesen Lebenssituationen zu kommunizieren. Vielleicht hat die Coronapandemie ein Stück weit dazu beigetragen, dass Führungskräfte mit Mitarbeitenden und Kolleg*innen untereinander die Türklinke in die Hand nehmen und leichter in den Austausch über private Herausforderungen gehen. Denn noch nie waren berufliche und familiäre Aufgaben so eng miteinander verwoben. Vermutlich brauchte es noch nie in dieser geballten Form gegenseitiges Verständnis und flexible Lösungen.
Aufgabe der Beschäftigten ist es, die Tür aufzustoßen und durch sie hindurch zu gehen. Alles Weitere muss sich dann zeigen – und das am besten in einem von Vertrauenskultur geprägten fortlaufenden Dialog zwischen Beschäftigten und Arbeitgeber.
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