Donnerstag, 14. Januar 2021

Wenn nicht jetzt, wann dann?: Pflegebewusste Personalpolitik braucht mehr Fürsorge

Pflege – mal nah, mal fern, aber gegenwärtiger denn je (©Cassia Tofano on Unsplash)

Die Zahl der Pflegebedürftigen ist zwischen 2017 und 2019 um ein Fünftel gestiegen. Das zeigt die Pflegestatistik 2019 des Statistischen Bundesamtes. Wir fassen hier nicht nur die wesentlichen Zahlen zusammen, sondern machen uns auch Gedanken über die Implikationen. 

Im Dezember gab das Statistische Bundesamt – wie alle zwei Jahre – die Pflegestatistik heraus. Und die Daten, die zu Ende Dezember 2019 über die Pflegebedürftigkeit und die Versorgung der zu Pflegenden erhoben wurden, zeugen davon, dass Pflege eine anhaltende und zum Teil wachsende Herausforderung ist. Denn im Vergleich zu 2017 ist die Zahl der zu pflegenden Personen im Zuge der Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs deutlich um 20,9 % (713.000) gestiegen. 

So waren im Dezember 2019 in Deutschland 4,1 Mio. Menschen pflegebedürftig. 20 % (818.000) von ihnen wurden in Heimen vollstationär versorgt. 80 %, das entspricht 3,31 Mio. Personen, wurden zu Hause gepflegt – 2,12 Mio. (und damit 51,7 % aller Pflegebedürftigen) allein durch Angehörige. Bei weiteren 983.000, die ebenfalls in Privathaushalten lebten, erfolgte die Pflege gemeinsam durch Angehörige und ambulante Pflegedienste oder vollständig durch Pflegedienste. Hinzu kommen 208.000 Pflegebedürftige des Pflegegrads 1, die auch zu Hause durch Angehörige versorgt worden und das mit ausschließlich landesrechtlichen Leistungen bzw. ohne Leistungen der Heime und Dienste.

Alarmglocken für Arbeitgeber


Wagt man nochmals einen Vergleich zu 2017, zeigt sich, dass der Anteil der Pflegebedürftigen, die durch ambulante Pflegedienste betreut wurden, bis 2019 um 18,4 % (153.000 Menschen) stieg. Die Zahl der Pflegebedürftigen, die in Heimen vollstationär versorgt wurden, blieb hingegen konstant. Demgegenüber wurden 27,5 % (713.000) mehr – und damit überdurchschnittlich mehr Menschen – zu Hause gepflegt. Um 19,9 % (352.000) ist allein der Anteil der Pflegebedürftigen gestiegen, die ausschließlich durch Angehörige versorgt werden („reine“ Pflegeempfänger*innen). Das ist absolut alarmierend – auch für Arbeitgeber! Denn es ist davon auszugehen, dass sich in dieser hochgeschnellten Zahl der privat Pflegenden auch automatisch Erwerbstätige bewegen, die private Pflegeaufgaben wahrnehmen. Laut DGB-Index „Gute Arbeit 2018“ ging jeder elfte pflegende Angehörige gleichzeitig einer beruflichen Beschäftigung nach.

Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ist schon seit Jahren kein Randthema mehr. Die aktuellen Zahlen sollten aber Anlass für Arbeitgeber sein, eine pflegebewusste Personalpolitik nach Kräften (noch) stärker zu forcieren. Zu hoch ist die Gefahr, dass pflegende Mitarbeitende ohne Unterstützung von Seiten des Arbeitgebers beruflich zurücktreten oder ganz ausscheiden. Zumindest aber kann die Beanspruchung eine geringere Konzentration, Produktivität und/ oder Motivation mit sich bringen und zu eigener Krankheit der betroffenen Beschäftigten führen. Dabei müssen es nicht immer direkte, körperliche Pflegeaufgaben sein, die beanspruchen und stressen. Auch die Pflege auf Distanz – also wenn Pflegebedürftige weiter entfernt vom eigenen Haushalt wohnen und Fürsorge gefragt ist – bringt Anforderungen mit sich. Diese gehen oft weit über die reine Organisation hinaus – etwa im Bereich der Hilfe bei der Entscheidungsfindung und der Delegation von pflegerischen Aufgaben. Nicht zu unterschätzen sind daher auch beim sogenannten Distance Caregiving die Belastungen, die bei Pflegepersonen, die gleichzeitig einem Job nachgehen, entstehen können. Infos dazu gibt es übrigens in unserem schlanken Arbeitgeber-Guide „Pflege auf Distanz“.

Pflege weitergedacht


Warum wir Pflege auf Distanz hier so explizit erwähnen? Weil Distance Caregiving aufgrund der Arbeitsmobilität an Bedeutung gewonnen hat sowie noch weiter gewinnen wird. Und: Pflege ist im Zuge der Coronapandemie in vielen Fällen zu Pflege auf Distanz geworden. Arbeitgeber, die ihre familien- und lebensphasenbewusste Personalpolitik strategisch ausgerichtet haben, berichten uns, dass das Pflegethema durchaus auch in der Coronazeit eine essenzielle Rolle spielt und ihr mit den gebotenen Vereinbarkeitsmaßnahmen Rechnung getragen wird. Das hat sicherlich auch seinen Grund darin, dass Pflege explizit im audit berufundfamilie betrachtet wird. Damit heben sich auditierte Organisationen von der öffentlichen Diskussion, die während Corona eher mit Blick auf Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung geführt wird, ab. Ganz bewusst sollen z.B. mit den Maßnahmen im Handlungsfeld Arbeitszeit, die sie ergriffen haben bzw. ergreifen, um während der Coronapandemie arbeitsfähig zu bleiben und gleichzeitig Beschäftigten die Vereinbarkeit mit privaten Aufgaben zu ermöglichen, auch pflegende Mittarbeitende angesprochen werden: Neun von zehn zertifizierten Arbeitgebern boten daher – laut unserer Umfrage im Mai 2020 unter 130 Organisationen, die nach dem audit berufundfamilie oder audit familiengerechte hochschule zertifiziert sind – mobiles Arbeiten (ohne fest eingerichteten Arbeitsplatz) an. Die Möglichkeit für Home-Office – mit fest eingerichtetem Telearbeitsplatz – offerierten zudem 45,7 %. 47,3 % weiteten die Rahmenarbeitszeiten und 41,1 % die Gleitzeit aus, so dass sich Beschäftigte flexibler bewegen können. Bei knapp jedem vierten Arbeitgeber (23,3 %) gab es zudem im zweiten Quartal 2020 Vertrauensarbeitszeit.


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