Rechtliche Neuerungen bei Vereinbarkeits- und Vielfaltsthemen haben Auswirkungen auf den Arbeitsalltag (Foto: Arif Ryanto on Unsplash) |
Teil 2 unserer Blogreihe „regelrecht_v“ schaut auf die wichtigsten Änderungen durch das Selbstbestimmungsgesetz, das für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Personen u.a. neue Möglichkeiten in der Namensänderung bietet, auf die Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) und ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Stärkung der Rechte von leiblichen Vätern*.
Um Ihnen einen schnellen Überblick über die Auswirkungen und Ansprüche der Zielgruppen zu geben, haben wir die Kernpunkte der Neuregelungen und Urteile zusammengefasst. Für weiterführende Informationen stehen die angegebenen Rechtsquellen zur Verfügung. Die Informationen sind nach den Überschriften in alphabetischer Reihenfolge und getrennt nach Gesetzen und Urteilen angeordnet. Die gemachten Angaben stellen keine rechtliche Beratung dar und es besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.
Anerkennung der Berufserfahrung[1]
Ab 1. August 2024 ist ein Teil des Berufsbildungsvalidierungs- und -digitalisierungsgesetzes (BVaDiG) in Kraft getreten, es ermöglicht:
- Die formale Feststellung und Bescheinigung von Kompetenzen, Fähigkeiten und Erfahrungen, die Menschen ohne vorherige Ausbildung im Berufsleben gesammelt haben durch ein Verfahren. Teilnehmende erhalten ein entsprechendes Zertifikat.
- Ab Januar 2025 sollen Industrie- und Handelskammern sowie Handwerkskammern das Validierungsverfahren flächendeckend anbieten.
- Folgende Voraussetzungen müssen dafür erfüllt sein:
- Man muss anderthalbmal so lange in dem Beruf gearbeitet haben, wie man eine Ausbildung dafür machen würde.
- Mindestalter von 25 der*des Antragssteller*in.
Ausweitung der Ausbildungsplatzgarantie[2]
Zum 1. August 2024 wird der Anspruch auf eine betriebliche Ausbildung ausgeweitet:
- Die Ausweitung der Ausbildungsgarantie soll sicherstellen, dass alle jungen Menschen ohne Abschluss einen Zugang zu einer qualifizierten, möglichst betrieblichen Ausbildung erhalten.
- Wer trotz intensiver Bemühungen keinen betrieblichen Ausbildungsplatz erhält, hat abdem 1. August 2024 Anspruch auf eine außerbetriebliche Ausbildung. Arbeitsagenturen und Jobcenter können jungen Menschen, die beispielsweise in Regionen mit wenigen Ausbildungsplätzen leben, eine solche Ausbildung anbieten.
- Bisher war es lediglich für sozial benachteiligte und lernbeeinträchtigte Jugendliche und Ausbildungsabbrechende möglich, eine außerbetriebliche Ausbildung anzutreten.
- Die außerbetriebliche Ausbildung wir bei einem Bildungsträger absolviert. Ziel ist der Übergang in eine betriebliche Ausbildung.
BAföG-Reform[3]
Zum 1. August 2024 trat die Reform des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) in Kraft:
- Die Grundbedarfssätze steigen damit um 5% und die Wohnkostenpauschale für auswärtswohnende Studierende erhöht sich von monatlich 350€ auf 380€. Für auswärtswohnende Schüler*innen wird es ebenfalls eine entsprechende Steigerung geben.
- Der maximale Förderbetrag erhöht sich um 58€ von bisher 934€ auf zukünftig 992€. Dies entspricht einer Steigerung von 6,2%.
- Für junge Menschen aus einkommensschwachen Haushalten wird der Studienbeginn durch eine einmalige Zahlung von 1.000€ erleichtert.
- Die Freibeträge zur Ermittlung des förderungsrelevanten Einkommens der Eltern und Partner*innen werden um 5,25% erhöht. Gleiches gilt für die Freibeträge im Rahmen der Darlehensrückzahlung.
- Studierende können nun bis zur Grenze eines Minijobs hinzuverdienen, ohne dass dieser Betrag bei der Berechnung des BAföG-Anspruchs berücksichtigt wird.
- Das neu eingeführte Flexibilitätssemester bietet Studierenden die Möglichkeit, die BAföG-Förderung, um ein Semester über die Förderungshöchstdauer hinaus zu verlängern, ohne dass hierfür besondere Gründe erforderlich sind.
- Die BAföG-Reform ermöglicht Studierenden einen späteren Fachwechsel ohne negative Folgen für den BAföG-Anspruch.
- Zudem soll der bürokratische Aufwand zur Beantragung und Bewilligung von BAföG- Leistungen reduziert werden.
Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag (SBGG)[4]
§4 SGBB (Anmeldung der Änderung beim Standesamt) ist bereits seit 1. August in Kraft.
Mit dem sogenannten Selbstbestimmungsgesetz soll das über 40 Jahre alte und in Teilen verfassungswidrige „Transsexuellengesetz“ ersetzt werden.
Die wichtigsten Punkte:
- Mit dem Selbstbestimmungsgesetz soll es für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nichtbinäre Menschen einfacher werden, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister und ihre Vornamen anpassen zu lassen.
- Der Prozess zur Änderung von Vornamen und Geschlechtseintrag beim Standesamt wird dadurch vereinfacht:
- Hierzu muss eine „Erklärung mit Eigenversicherung“ abgegeben werden, in der die Person versichert, dass ihr die Tragweite der Änderung bewusst ist, zudem müssen der neue Vorname und das gewählte Geschlecht zusammenpassen. Bisher waren für diese rechtlichen Änderungen ein Gerichtsverfahren notwendig, in denen die Personen fremdbegutachtet wurden und die Kosten dafür selbst tragen mussten.
- Diese Änderung ist auch dann möglich, wenn keine geschlechtsangleichende Operation stattgefunden hat.
- Es ist erforderlich, die Änderung drei Monate im Voraus anzumelden. Nach Abgabe der Erklärung, kann eine erneute Änderung frühestens nach einem Jahr vorgenommen werden.
- Minderjährige ab 14 Jahren können eine Erklärung vor dem Standesamt nur mit Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter*innen abgeben. Sollte diese fehlen, kann das Familiengericht entscheiden. Dabei ist jedoch sicherzustellen, dass das Verfahren auf der Selbstauskunft der*des Minderjährigen basiert und nicht auf Gutachten von externen Sachverständiger*innen.
- Das Gleiche gilt für minderjährige Personen, die eine Erklärung darüber abzugeben haben, dass sie Beratung in Anspruch genommen haben. Das Gesetz sieht allerdings keine Beratungspflicht vor.
- Sind die Personen unter 14, können ausschließlich die gesetzlichen Vertreter*innen die Erklärung abgeben, die Minderjährigen müssen damit aber einverstanden sein.
Pflegeversicherung[5]
- Qualifizierte Beratung zu Pflegehilfsmitteln:
- Ab Pflegegrad 1 haben Pflegebedürftige, die zu Hause leben, einen Anspruch auf einen monatlichen Zuschuss in Höhe von 40€ für Pflegehilfsmittel, die für den Verbrauch bestimmt sind (z.B. Einmalhandschuhe, Hände- und Flächendesinfektionsmittel).
- Beratung von Pflegegeldempfänger*innen per Video:
- Personen mit Pflegegrad, die Pflegegeld durch die Pflegegeldkasse erhalten und so die eigene Versorgung selbst regeln, müssen sich regelmäßig beraten lassen. Bis Ende März 2027 kann diese Beratung weiterhin alle zwei Termine als Video-Beratung angeboten werden.
- Neuer Rechtsanspruch auf Reha und Kur:
- Wenn pflegende Angehörige eine stationäre Reha oder Kur machen, bei denen die pflegebedürftige Person mitgenommen wird, werden die Kosten für pflegebedingte Aufwendungen der pflegebedürftigen Person von Pflegekasse getragen.
Rente[6]
- Zum 1. Juli 2024 sind die Renten erhöht worden. Damit sind die Altersbezüge in den neuen und alten Bundesländern um 4,57% gestiegen. Dadurch gilt nun einheitlicher Rentenwert von 39,32€ in Gesamtdeutschland.
- Auch Landwirt*innen profitieren von höheren Renten. So erhalten sie ebenso ab dem 1. Juli 2024 einen allgemeinen Rentenwert von 18,15€.
- Ebenfalls gestiegen ist die Erwerbsminderungsrente, die Personen erhalten, die wegen einer Krankheit oder eines Unfalls ihren Beruf ganz oder teilweise aufgeben müssen. Die Höhe des Zuschlags ist abhängig vom Rentenbeginn:
- Bei einem Rentenbeginn zwischen Januar 2001 und Juni 2014, beläuft sich der Zuschlag auf 7,5%
- Lag der Rentenbeginn erstmals zwischen Juli 2014 und Dezember 2018, gibt es einen Zuschlag von 4,5%.
- Für Personen, die seit dem 1. Januar 2019 eine Erwerbsminderungsrente beziehen, gibt es keine Erhöhung.
- Es muss kein Antrag auf Auszahlung des Zuschlags gestellt werden, die Deutsche Rentenversicherung prüft, wer berechtigt ist und zahlt diesen dann aus.
Urteil des Bundessozialgerichts: Benachteiligung von Vätern bei der Rente keine Diskriminierung[7]
- Die sogenannte Auffangregelung, die besagt, dass Erziehungszeiten grundsätzlich dem Rentenkonto der Mutter* zugeordnet werden, wenn die Eltern bei der Rentenversicherung keinerlei Angaben hinterlegt haben, wer das Kind hauptsächlich erzieht. Das empfand ein Vater als Diskriminierung aufgrund des Geschlechts. Der Vater und seine damalige Lebenspartnerin haben eine gemeinsame Tochter. 2008 trennte sich das Paar und die Tochter lebe seitdem beim Vater. Streitpunkt war der Zeitraum vor der Trennung der Eltern. Der Vater gab an, auch schon vor der Trennung den Großteil der Erziehungsarbeit geleistet zu haben, konnte das aber nicht eindeutig nachweisen. Fehlen klare Belege, wer das Kind hauptsächlich betreut hat, müsste eine hälftige Anrechnung erfolgen, so die Ansicht des Klägers.
- Seine Revision ging vor das Bundessozialgericht, doch genauso wie die Vorinstanzen wies das Gericht die Klage zurück. Der Vater könne nicht nachweisen, dass er auch zu diesem Zeitpunkt schon hauptsächlich für die Erziehung zuständig war.
- Zwar werde der Vater durch die "Auffangregelung" unmittelbar benachteiligt. Das sei allerdings gerechtfertigt, da Frauen* als Mütter* gegenüber Männern* immer noch "faktische Nachteile" in Bezug auf die Rente hätten.
- Ein Grund dafür sei, dass Mütter* mit kleinen Kindern tendenziell deutlich weniger erwerbstätig seien als Väter*. Der Gesetzgeber habe deshalb vorgesehen, dass Frauen* bei der Rente in Form der Kindererziehungszeiten einen Ausgleich erhalten.
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vaterschaftsrecht[8]
Das Bundesverfassungsgericht hat im April durch eine Grundsatzentscheidung zum Abstammungsrecht die Rechte leiblicher Väter gestärkt und damit gibt es auch Handlungsbedarf für den Gesetzgeber. Bis zum 30. Juni 2025 muss die Anfechtung der Vaterschaft neu geregelt werden.
Die Ausgangslage und die wesentlichen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts im Überblick:
- Der Vater eines nichtehelichen Sohnes wollte die rechtliche Vaterschaft des neuen Lebenspartners der Mutter des Sohnes anfechten. Hintergrund: Kurz nach der Geburt des nichtehelichen Sohnes trennte sich die Mutter vom leiblichen Vater des Kindes. Dieser hatte aber stets Kontakt zum Sohn. Die Mutter ging dann eine neue Partnerschaft mit einem anderen Mann ein. Sie lehnte die Vaterschaftsanerkennung des leiblichen Vaters ab. Er stellte dann einen Antrag auf Feststellung der Vaterschaft. Daraufhin erkannte der neue Lebensgefährte der Mutter die Vaterschaft mit ihrer Zustimmung an und wurde somit zum rechtlichen Vater.
- Mit dieser rechtlichen Vaterschaft gehen wichtige Befugnisse wie etwa eine mögliche Ausübung des Sorgerechts einher. Der leibliche Vater reichte Klage ein, um die Vaterschaft des neuen Lebenspartners anzufechten und selbst als rechtlicher Vater seines Sohnes anerkannt zu werden. Damit hatte er zunächst keinen Erfolg.
- Das betreffende Gericht berief sich in der Ablehnung auf §1600 BGB, nachdem der leibliche Vater kein Anfechtungsrecht besitzt, wenn zwischen rechtlichem Vater und Kind eine „sozial-familiäre Bindung" entstanden ist. In so einem Fall wäre eine Anfechtung ausgeschlossen ohne Ausnahme.
- Der leibliche Vater ging vor das Bundesverfassungsgericht, welches nun in seinem Urteil die Regelung aus dem BGB für verfassungswidrig erklärte, da sie gegen das Elterngrundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz verstoße. Den Eltern müssen im Sinne dieses Grundrechts grundsätzlich die Möglichkeit haben, Elternverantwortung für ihre Kinder zu übernehmen und auszuüben. Dies stehe im konkreten Fall auch dem leiblichen Vater zu, zumal zu wenig auf die enge Bindung zu seinem Sohn eingegangen worden war und das aufgrund der derzeitigen Rechtslage, die das nicht zu lasse. Dies sei verfassungswidrig.
- Mit diesem Urteil änderte das Bundesverfassungsgericht auch die bisherige eigene Rechtsprechung, die vorsah, dass es immer nur zwei rechtliche Elternteile geben darf.
- Bis zur Neuregelung mit Frist bis zum 30. Juni 2025, bleibt allerdings die verfassungswidrige Regelung noch in Kraft.
[1] https://dip.bundestag.de/vorgang/berufsbildungsvalidierungs-und-digitalisierungsgesetz-bvadig/308708?f.deskriptor=Regierungsprogramm&rows=25&pos=2&ctx=a , Stand August 2024.
[2] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/arbeit-und-soziales/weiterbildungsgesetz-bundesrat-2173366, Stand August 2024.
[3] https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/gesetzesvorhaben/bafoeg-reform-2024-2257882#tar-1, Stand August 2024.
[4] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/queerpolitik-und-geschlechtliche-vielfalt/gesetz-ueber-die-selbstbestimmung-in-bezug-auf-den-geschlechtseintrag-sbgg--199332, Stand August 2024.
[5] https://berufundpflege-nrw.de/beitraege/01-07-2024-das-ist-neu-in-der-pflegeversicherung/ , Stand August 2024.
[6] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/arbeit-und-soziales/rund-um-die-rente/renten-steigen-2266312, https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/arbeit-und-soziales/rund-um-die-rente/faq-erwerbsminderungsrenten-2266870, Stand August 2024.
[7] https://www.hessenschau.de/gesellschaft/bundessozialgericht-zu-rente-vaeter-duerfen-bei-erziehungszeiten-benachteiligt-werden-v1,bundessozialgericht-vaeter-100.html, Stand August 2024.
[8] https://www.brak.de/newsroom/news/2024/q2/bverfg-staerkt-die-rechte-leiblicher-vaeter/#:~:text=1%20BvR%201493%2F96%3B%201,im%20verfassungsrechtlichen%20Sinne%20Elternverantwortung%E2%80%9C%20einr%C3%A4umen, Stand August 2024.
[3] https://www.bundesregierung.de/breg-de/bundesregierung/gesetzesvorhaben/bafoeg-reform-2024-2257882#tar-1, Stand August 2024.
[4] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/queerpolitik-und-geschlechtliche-vielfalt/gesetz-ueber-die-selbstbestimmung-in-bezug-auf-den-geschlechtseintrag-sbgg--199332, Stand August 2024.
[5] https://berufundpflege-nrw.de/beitraege/01-07-2024-das-ist-neu-in-der-pflegeversicherung/ , Stand August 2024.
[6] https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/arbeit-und-soziales/rund-um-die-rente/renten-steigen-2266312, https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/arbeit-und-soziales/rund-um-die-rente/faq-erwerbsminderungsrenten-2266870, Stand August 2024.
[7] https://www.hessenschau.de/gesellschaft/bundessozialgericht-zu-rente-vaeter-duerfen-bei-erziehungszeiten-benachteiligt-werden-v1,bundessozialgericht-vaeter-100.html, Stand August 2024.
[8] https://www.brak.de/newsroom/news/2024/q2/bverfg-staerkt-die-rechte-leiblicher-vaeter/#:~:text=1%20BvR%201493%2F96%3B%201,im%20verfassungsrechtlichen%20Sinne%20Elternverantwortung%E2%80%9C%20einr%C3%A4umen, Stand August 2024.
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