Nachhaltige
familiengerechte Arbeits- und Studienbedingungen lassen sich nur strategisch
aufbauen (©pixabay.com)
|
Der Weltstudierendentag am 17. November, der uns zu dem heutigen Blogbeitrag animiert hat, dreht sich offen gestanden nicht primär um den Vereinbarkeitsgedanken. Es ist der Tag, mit dem an die studentischen Proteste von Prag 1939 und Athen 1973 erinnert werden soll. Im erweiterten Sinn geht es bei dem Gedenktag heutzutage darum, sich für gerechte Lebens- und auch Studienbedingungen einzusetzen. Hat Gerechtigkeit an Hochschulen etwas mit Vereinbarkeit zu tun?
Von Gerechtigkeit sprechen Hochschulen auch, wenn es um Vereinbarkeit geht – und zwar von familiengerechten Arbeits- und Studienbedingungen. Und hier lässt sich auch schon eine der Besonderheiten dieser Einrichtungen bei der Gestaltung ihrer Vereinbarkeitspolitik ablesen: Sie müssen höchst unterschiedliche Zielgruppen berücksichtigen – Beschäftigte in der Administration, Lehrende und Forschende sowie eben auch Studierende.
Anzahl des Hochschulpersonals wächst
394 Hochschulen meldete die Hochschulkonferenz Anfang 2019.[1] 121 davon sind Universitäten, 216 Fachhochschulen und 57 Kunst- und Musikhochschulen. Nach Beobachtung des Statistischen Bundesamts ist von 2017 bis Ende 2018 die Zahl des Personals an den Hochschulen angestiegen[2]: Insgesamt 716.680 Personen waren Ende 2018 an deutschen Hochschulen und Hochschulkliniken tätig – 1,7 % mehr als Ende 2017. Rund 400.100 davon waren Ende 2018 als wissenschaftliches Personal beschäftigt, was 1,3 % mehr gegenüber Ende 2017 ergibt. Unter ihnen waren im vergangenen Jahr 47.900 Professor*innen (0,7 % mehr als 2017). Zum nichtwissenschaftlichen Hochschulpersonal – also Beschäftigte in Bereichen wie Verwaltung, Bibliothek, technischer Dienst und Pflegedienst – zählten Ende 2018 316.600 Personen (2,2 % mehr als 2017).
Während das nichtwissenschaftliche Tätigkeitsfeld von Frauen dominiert wird – mit 222.800 weiblichen Beschäftigten zu 70 % in 2018 – sind im wissenschaftlichen Bereich die Männer in der Überzahl mit einem ca. 61-prozentigen Anteil. Bei den Professuren sind sogar drei Viertel von Männern besetzt. In der Gesamtsumme haben Frauen einen Anteil von 53 % (Ende 2018) am gesamten Hochschulpersonal.
Die Vielfalt der Vereinbarkeitsthemen ist entsprechend der breiten Zielgruppe groß – von der Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Beruf und Kinderbetreuung bis hin zu pflegebewussten Angeboten. Fragen zu Arbeitszeitregelungen und zur Arbeitsorganisation sind genau Gegenstand der familiengerechten Entwicklung wie die zu Dual Careers bei Forschenden, Lehrenden und Wissenschaftler*innen – um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Studierende zwischen Familiengründung und Pflege von Angehörigen
Nun der Blick auf die Studierenden: Zum Sommersemester 2019 wurden insgesamt 2,9 Mio. Studierende an den Hochschulen gezählt. Dabei ist das Verhältnis von Frauen und Männern annähernd gleich: 1,4 Mio. weibliche und 1,46 Mio. männliche Studierende. Zum WS 2018/2019 fingen mehr Frauen an zu studieren als Männer: Von den 510.371 Studienanfänger*innen waren 261.758 als weiblich 248.613 als männlich registriert.[3]
Die Studierenden bewegen sich aus Vereinbarkeitssicht zwischen den Aspekten Kinderbetreuung und Pflegeaufgaben. Laut 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks haben etwa 6 % mindestens ein Kind. 59 % der Studierenden mit Kind sind verheiratet und etwa ein Drittel (31 %) lebt in einer festen Partnerschaft. Was das Alter der Studierenden mit Kind angeht, so konnte ermittelt werden, dass im Erststudium befindliche Studierende mit Kind im Schnitt 35 Jahre alt sind. Im Vergleich zu den Kommiliton*innen ohne Kind sind das 11 Jahre mehr.[4]
Während es recht aktuelle Zahlen zu Studierenden gibt, die Kindebetreuungsaufgaben haben, sind frische Daten zu Studierenden mit Pflegeaufgaben eher schwer zu finden. Einen Hinweis könnte das sozioökonomische Panel geben, das für 2016 angab, dass 4 % der 17- bis 39-Jährigen eine Person pflegen.[5] Laut der aktuellsten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks nennen übrigens 5 % der Studierenden, die ihr Studium unterbrechen, als Grund die Pflege von Angehörigen.[6]
Familiengerechtigkeit mit System
Was können Hochschulen, die sich ihre Arbeits- und Studienbedingungen familiengerecht gestalten, erreichen? Vorrangiges Ziel ist eine bessere Vereinbarkeit
von Beruf bzw. Studium und Familie für alle Statusgruppen aus Wissenschaft, Forschung, Studium, Technik und Verwaltung. Und das kann wiederum viele positive Effekte nach sich ziehen: etwa eine geringere Fluktuationsrate, weniger Fehlzeiten und familienbedingte Studienabbrüche, Steigerung der Attraktivität der Hochschule als Arbeits- und Studienort, die Gewinnung und Bindung hochqualifizierter Mitarbeiter*innen, begabter Nachwuchswissenschaftler*innen und Studierender, Vorteile bei der Umsetzung der Gleichstellungsvorgaben und nicht zuletzt ein nachhaltiger Kultur- und Bewusstseinswandel hinsichtlich der Vereinbarkeit.
Hochschulen, die nach dem audit familiengerechte hochschule zertifiziert sind, formulieren den greifbaren Nutzen z.T. mit besserer Bindung hochqualifizierter Beschäftigter – auch in der Phase der wissenschaftlichen Qualifizierung sowie mit der Vermeidung familienbedingter Studienabbrüche und die Verkürzung der Studiendauer.
Diese Effekte lassen sich allerdings nur erzielen, wenn die familiengerechten Arbeits- und Studienbedingungen strategisch gestaltet werden. Was bedeutet strategisches Vorgehen? Was gehört dazu? Hier ein paar Stichpunkte dazu, durch welche Elemente das audit familiengerechte hochschule den systematischen Auf- und Ausbau der Familiengerechtigkeit bewirkt:
- Systematischer Einstieg
- Aufnahme des Status quo
- Bedarfsanalyse
- Festlegen von Zielen und Maßnahmen
- Prüfung der Umsetzung
- Optimierung der Maßnahmen
- Stabilisierung der Struktur und Inhalte
- Überprüfung bestehender Maßnahmen und Kultur
- Einschätzung des Durchdringungsgrads
- Vertiefung zur Verankerung in der Organisationskultur
Das Ganze sollte nicht losgelöst sondern entlang von Handlungsfeldern geschehen. Denn nur dann lässt sich das individuelle Potenzial wirklich erfassen und bearbeiten. Die acht Handlungsfelder im audit familiengerechte hochschule sind:
- Arbeitszeit/ Forschungs- und Studienzeit
- Arbeitsorganisation/ Forschungs- und Studienorganisation
- Arbeitsort/ Forschungs- und Studienort
- Information und Kommunikation
- Führung
- Personalentwicklung und wissenschaftliche Qualifikation
- Finanzielle Zusatzleistungen
- Serviceleistungen
Und dabei lassen sich eine Reihe von Themen integrieren – etwa: Vielfalt, Lebensentwürfe, familiengerechtes Führen, Internationalität, Multilokalität, pflegesensible Arbeits-/ Studienbedingungen, Gesundheitsmanagement und nicht zuletzt Generationenmanagement.
Das audit familiengerechte hochschule ist ein speziell für Hochschulen zugeschnittenes Managementinstrument. Es soll dabei unterstützen, die selbst gesetzten Ziele zu erreichen und die Maßnahmen entsprechend der Standards umzusetzen. Es geht also nicht um reine Status quo-Abbildung, sondern um fortlaufende Entwicklung der familiengerechten Arbeits- und Studienbedingungen – und das entsprechend der Struktur und des Entwicklungsgrads der jeweiligen Hochschule.
Dass Vereinbarkeit bzw. Familiengerechtigkeit an deutschen Hochschulen ein Dauerbrenner ist, zeigt alleine die Tatsache, dass 98 der aktuell 106 (Stand: Ende Mai 2019) nach dem audit familiengerechte hochschule zertifizierten Einrichtungen das Verfahren zum wiederholten Male genutzt haben. Hintergrund: Das Zertifikat zum audit hat eine Gültigkeit von drei Jahren. In dieser Zeit sind die Hochschulen angehalten, die individuell entwickelten Zielvereinbarungen umzusetzen. Wollen sie das Zertifikat behalten, müssen sie sich an ihrer Entwicklung dann auch messen lassen. Und das tun die auditierten Hochschulen – die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen und die Universität Trier bereits seit 2002.
Interessiert daran, welche familiengerechten Lösungen zertifizierte Hochschulen bieten? Dann einfach hier das Kurzporträt der jeweiligen Einrichtung aufrufen. Einzelne Angebote auditierter Hochschulen werden auch unter der „Woche der Vereinbarkeit“ beschrieben.
1, 2 https://www.hrk.de/fileadmin/redaktion/hrk/02-Dokumente/02-06-Hochschulsystem/Statistik/2019-05-16_Final_fuer_Homepage_2019_D.pdf
3 https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bildung-Forschung-Kultur/Hochschulen/_inhalt.html
4 http://www.sozialerhebung.de/download/21/Soz21_hauptbericht.pdf
5 Vgl. https://www.dza.de/informationsdienste/index.php?eID=tx_securedownloads&p=530&u=0&g=0&t=1572015729&hash=b6556f7be77f6b72dfbe63cbdfa2a90d5232dd11&file=/fileadmin/dza/pdf/factsheets/FactSheet_Hilfe_und_Pflegetaetigkeiten.pdf, Seite 3
6 https://www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/campus/nach-der-vorlesung-noch-oma-pflegen-16191271.html
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen