Hoch hinaus trotz oder gerade wegen Vereinbarkeit? (©pixabay.com) |
Laut Befragung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW Köln) gehen 42 % der Beschäftigten familienbewusster Arbeitgeber, die z.T. mobil arbeiten, davon aus, dass sich eine stärkere Nutzung von Angeboten zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben negativ auf ihre Karriere auswirkt. Bei Organisationen, die nicht familienbewusst agieren, befürchten 55 % einen Karriereknick bei der Inanspruchnahme familienbewusster Maßnahmen.[1] In der aktuellen Ausgabe der Blogserie „Zur Debatte, Herr Schmitz“ nimmt Oliver Schmitz, Geschäftsführer der berufundfamilie Service GmbH, Stellung zur Frage: Ist Vereinbarkeit ein Karrierekiller?
Herr Schmitz, wir beginnen, indem wir einfach die Kernfrage wiederholen: Ist Vereinbarkeit ein Karrierekiller?
Darf nicht sein, ist aber häufig immer noch so. Die, die sich stets am Arbeitsplatz zeigen – von nine to five –, sind die, die eher wahrgenommen werden und auf dem Schirm sind, wenn es um den nächsten Karriereschritt geht. Diejenigen, die in Teilzeit arbeiten, sich in einer familienbedingten Auszeit befinden oder aus dem Home-Office arbeiten, werden häufig weniger wahrgenommen. Das hat selten mit Leistung und Potenzial zu tun, sondern vielmehr mit einer Präsenzkultur, die in unsere dynamische und vernetzte Zeit eigentlich nicht mehr reinpasst.
Es besteht die Gefahr, dass sich Arbeitgeber einiges an Potenzialen entgehen lassen, wenn sie die Beschäftigten mit familiären Aufgaben durch das „Karriereraster“ fallen lassen!
In welchen Situationen oder unter welchen Umständen kann Vereinbarkeit zu Karrierefalle werden? Was kann dagegen getan werden?
Bei Home-Office können neue Medien helfen, eine stärkere Anbindung und Vernetzung aufrechtzuerhalten. Wenn Videotelefonie zum Beispiel häufiger genutzt wird, dann führt das zu einem anderen Gefühl des Miteinanders zwischen den Beschäftigten im Betrieb und im Home-Office. Generell birgt die stärkere Digitalisierung aber auch die Gefahr einer zu formalisierten Kommunikation. Hier kann es dann schnell an einem sozialen Austausch fehlen, der auch wichtig ist, um sich „in Erinnerung“ zu bringen. Hier kann das Intranet etwas gegensteuern, das immer mehr zu einer Art von sozialer Plattform wird. Seine Nutzung erhöht auch den sozialen Austausch und schafft bessere Möglichkeiten für alle, an Innovationen mitzuwirken.
Teilzeitkräfte arbeiten in der kürzeren Zeit ihrer Anwesenheit oft hoch effizient, nehmen deswegen aber auch häufig nicht am informellen Austausch teil, wie gemeinsame Mittagessen oder auch dem Gespräch an der Kaffeemaschine. Dieser Austausch ist jedoch wichtig, um sich in einer Organisation Netzwerke zu schaffen und um an Innovationen stärker mitzuwirken, die ja bekanntlich nicht immer in Besprechungsräumen entstehen. Hier sollte man als Beschäftigte*r darauf achten, dass Chancen zum sozialen Austausch genutzt werden. Auch Führungskräfte sollten Möglichkeiten schaffen, bei denen sich die Beschäftigten untereinander auch informell austauschen, indem zum Beispiel bei Besprechungen bewusst gemeinsame Pausen eingebaut werden.
Bei uns, bei der berufundfamilie, wird zum Beispiel auch sehr zeitlich und örtlich flexibel gearbeitet, mit all seinen Vor- und Nachteilen. Wir haben feste gemeinsame Termine des Austausches eingeführt, an denen die Beschäftigten, die sich nicht im Büro befinden, per Video zuschalten können. Zusätzlich haben wir einmal im Monat einen „Team-Office-Day“, an dem alle versuchen sollten, physisch im Büro anwesend zu sein. Das ermöglicht auch denen, die aus familiären Gründen weniger physisch anwesend sind, eine stärkere emotionale Bindung zum Unternehmen und zu den Kolleg*innen aufrecht zu erhalten.
Familienbedingte Auszeiten stellen häufig eine besondere Herausforderung dar. Hierbei ist es wichtig, eine langfristige Karriereplanung zu machen, um Perspektiven für die Beschäftigten zu schaffen, aber auch für den Betrieb und die Kolleg*innen. Die Bindung während der Auszeit sowie Angebote zur Weiterbildung während der Auszeit helfen, diese Zeit zu überbrücken und sich weiter „zugehörig“ zu fühlen. Eine gelingendes Kontakthalten während der Auszeit erleichtert und beschleunigt auch den Wiedereinstieg.
Die einen wollen auf der Karriereleiter hochklettern, die anderen sich auf der Karrierestufe halten. Kann Vereinbarkeit Führungskräften gefährlich werden, wenn sie diese in einer neuen Lebensphase stärker beanspruchen wollen, nachdem sie zuvor Maßnahmen ggf. eher geringfügig genutzt haben?
Die Frage ist, wie stark ist es akzeptiert, dass auch Führungskräfte Möglichkeiten der Vereinbarkeit nutzen dürfen? Hier geht es nicht nur um die Akzeptanz durch den Arbeitgeber, sondern auch um die Akzeptanz bei den Mitarbeitenden. Der Anspruch an Anwesenheit und zeitnaher physischer Verfügbarkeit der Führungskraft ist bei Beschäftigten häufig sehr hoch.
Gerade außertariflich beschäftigte Führungskräfte mit Vertrauensarbeitszeit leisten zeitlich häufig deutlich mehr als 100 %. Was bedeutet es dann, wenn die Führungskraft vollzeitnah auf 80 % reduzieren will oder muss? Das ist alles machbar. Voraussetzung ist allerdings, dass man sich als Führungskraft ein Arbeitsumfeld geschaffen hat, bei dem man durch Vertretung oder Delegation auch mal abkömmlich sein kann.
Ich habe auch schon Führungskräfte erlebt, die die Angst hatten „Was ist denn, wenn ich reduziere und der Laden läuft trotzdem!?“ Diese halte ich aber eher für schwache Führungskräfte, die auch ein Unternehmensrisiko darstellen können.
Das zentrale Studienergebnis des IW Köln lässt erkennen, dass eine familienbewusste Grundhaltung eines Arbeitgebers entscheidend dafür ist, ob Karriere auch bei Nutzung von Vereinbarkeitsangeboten möglich ist. Wie sehen Sie das?
Die Grundhaltung sollte die gelebte Kultur abbilden, nur dann habe ich eine kongruente und authentische Arbeitgebermarke. Das kann man nicht verordnen, so etwas muss erarbeitet werden. Die gelebte Grundhaltung entscheidet aber letztendlich darüber, wie Beschäftigte mit familiären Aufgaben wahrgenommen werden und auch wie diese sich selbst in der Organisation wahrnehmen. Kriege ich zum Beispiel als Teilzeitkraft vermittelt, dass ich eine vollwertige Kraft bin oder habe ich das Gefühl, dass ich „nur“ Teilzeitkraft bin? Letzteres führt oft dazu, dass sich Beschäftigte weniger engagieren und der Organisation hierdurch viele wichtige Potenziale entgehen können.
Kann Vereinbarkeit also auch ein Promoter von Karriere sein?
In Deutschland ist es leider noch nicht so verbreitet, dass Familienaufgaben auch als Kompetenzerweiterung angesehen werden. Aber jede*r, die*der die Abläufe einer Kleinfamilie zu organisieren hat, weiß, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen und welche Kompetenzen zum Ressourcenmanagement und welche Sozialkompetenzen dafür entwickelt werden müssen.
Auszeiten bieten generell auch die Möglichkeit, Abstand zu gewinnen und Dinge neu zu betrachten. Hierdurch hat man die Chance, mit neuem Elan und frischen Ideen wieder in den Job einzusteigen und vielleicht auch zu den ein oder anderen Innovationen beizutragen, wofür andere vielleicht schon zu betriebsblind geworden sind.
[1] https://www.iwd.de/artikel/mobiles-arbeiten-segen-oder-karrierebremse-456346
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