Donnerstag, 18. Oktober 2018

Podcast (Folge 4): „Top-Manager = Top-Vereinbarkeit?“


„Top-Manager gleich Top-Vereinbarkeit? Führungskräfte und die eigene Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben“, das ist der Titel der neuen Folge der berufundfamilie-Podcast-Serie „HR-Experten im Vereinbarkeits-Talk“.

Familien- und lebensphasenbewusste Lösungen für sich selber zu nutzen, fällt Führungskräften – insbesondere im Upper Management
immer noch schwer. Das zeigen zahlreiche Studien – wie die vom IW Köln aus dem Jahr 2017. Demnach ist für Leitungspositionen eine Vollzeittätigkeit der Standard. Dass es und wie es anders geht, bespricht Silke Güttler im Podcast mit Karin Batz, CEO der INOSOFT AG in Marburg. Nachfolgend lesen Sie eine Zusammenfassung des Gesprächs. 



Frau Batz, wer ist die INOSOFT AG?

Die INOSOFT AG ist ein Systemhaus für Software und Beratung. Wir entwickeln Individualsoftware für Unternehmen. Wir helfen bei Migration, Merger Acquisition – also wenn Firmen anderen Firmen dazukaufen – und unterstützen Datenbankanwendungen. Seit einiger Zeit haben wir auch einen Innovationsbereich, in dem die Kolleginnen und Kollegen sehr gefragt sind, ihre Kreativität miteinzubringen.

Zurzeit haben wir 63 Beschäftigte – in der Hauptsache Männer. Aber wir haben mittlerweile auch neun Mitarbeiterinnen, vier davon direkt im IT-Bereich. Das hat mich viel Mühe gekostet. Natürlich möchte ich meine Geschlechtsgenossinnen hier etwas verstärkt sehen.

Wir fallen gleich mal mit der Tür ins Haus: Können Top-Manager selber überhaupt Beruf, Familie und Privatleben vereinbaren?

Klar! Ich glaube, das Wichtigste ist: Sie müssen es auch wirklich selber wollen. Es gibt bestimmt auch Unternehmen, wo es Hindernisse gibt; wo man es nicht gerne sieht, wo es vielleicht auch ein Karrierehindernis ist. Ich merke z. B., wenn ich mit anderen Managern spreche, dass es eine Ambivalenz gibt bezüglich des eigenen Rollenverständnisses: Ich werde ja hier gebraucht und das geht ja irgendwo gar nicht. Aber wenn man mal zu Hause ist und die Kinder ein oder zwei Monate betreut oder Teilzeit arbeitet und sich mit Kindergarten beschäftigt, hat man einen ganz anderen Blickwinkel als im Unternehmen.

Sind also noch Hürden in den Köpfen von Führungskräften?

Ich glaube schon, dass ganz viel im Kopf stattfindet, weil das Verständnis von Führungskraft ist, das sind die allzeit Präsenten, die permanent die Entscheidungen treffen. Das sind allerdings Clichés. Denn es geht ja um effektives Arbeiten, nicht um die Quantität.

Aus meiner Sicht sind das zwei Sachen: Auf der einen Seite möglicherweise in dem einen oder anderen Unternehmen diese Hemmnisse – wobei das auch meist nur in den Köpfen ist – und dann eben das Problem in den Köpfen der Führungskräfte und ehrlich gesagt auch der Mitarbeiter – die haben das nämlich genauso.

Also lebt die Führungsebene Vereinbarkeit erst dann, wenn es gar nicht mehr anders geht; wenn etwa die eigene Gesundheit in Mitleidenschaft gezogen ist?

Da ist schon ein Wandel feststellbar. Bei uns ist es so, dass alle Führungskräfte, die Familie haben, oder die, die keine Familie haben, sich Zeiten für sich nehmen. Von meinen Führungskräften hat z. B. bisher noch keiner auf Elternzeit verzichtet. Und auch wenn Kinder krank werden, ist Zeit für Familie da.

Das ist langfristig gedacht immer ein Gewinn für das Unternehmen. Das wirkt sich z. B. bei uns so aus, dass wir Mitarbeiter haben, die schon über 20 Jahre bei uns sind und über einen irrsinnigen Erfahrungsschatz verfügen. Das sind Schätze, die man sich da erarbeitet.

Wenn Kollegen in Elternzeit gegangen sind und damit Verantwortung abgegeben haben, hat das immer was Positives für andere Kollegen gehabt. Manche haben dadurch einen Entwicklungssprung gemacht weil sie Verantwortung übernommen haben.

Geht der Nachwuchs anders an das Thema Vereinbarkeit heran?

Ich merke auf der einen Seite, dass da ein ganz anderes Selbstverständnis ist. Was schön ist, ist das jüngere Beschäftigte mit der größten Selbstverständlichkeit ihre Elternzeit nehmen. Ich begrüße das sehr und begrüße auf der anderen Seite auch sehr, dass die Partnerinnen – ich rede jetzt von meinen Kollegen – da auch mehr einfordern.

Wie sehen Ihre ganz eigenen Erfahrungen mit der Vereinbarkeit aus? Sie haben ja vor Arbeitszeit reduziert…

Ich hatte mich selber komplett in die Ecke gearbeitet, mit absoluten Erschöpfungszuständen, Depression und allem, was dazu gehört. Ich wusste, ich muss jetzt irgendwas machen. Ich habe radikal angefangen, einen Wochentag frei zu machen. Das hat natürlich meinen Blick geschärft: Ich sehe es manchmal bei Kollegen, wenn sie meiner Meinung nach gefährdet sind. Ich spreche sie auch an.

Und ich spreche dann auch offen über meine Phase, die schrecklich war, weil es einfach fürchterlich ist, dass das immer noch so ein Tabuthema ist. Man muss das sagen können.

Sie arbeiten mit einem Ampel-System für die Arbeitszeit. Poppt das wirklich bei jedem auf, auch bei den Kollegen im Vorstand?

Ja, der Vorstand macht das ganz genauso. Als Personalerin hab ich meine Kollegen da ganz gut im Griff: „Deine Ampel ist. Wie denkst du das denn zu handhaben?“

Was erwarten Beschäftigte Ihrer Einschätzung nach heute von der Unternehmensleitung?: Vereinbarkeit ermöglichen und auch Vereinbarkeit vorleben?

Ich bin mir nicht so sicher, ob die Beschäftigten erwarten, dass das Upper Management Vereinbarkeit vorlebt. Es ist natürlich eine wunderbare Sache, wenn mein Boss selber an einem schönen Nachmittag seine Sachen packt und sagt: „So, ich mach‘ jetzt Sonnenschein-frei.“ – Das mache ich z. B. manchmal. Oder wenn die Führungsebene sagt „Ich habe jetzt Elternzeit.“ oder „Ich übernehme die Kinder.“ oder, oder, oder… Weil das erleichtert wieder, die eigenen Bedarfe zu adressieren.

Die INOSOFT AG ist seit 2002 nach dem audit berufundfamilie zertifiziert. Inwieweit hat das Thema „Flexibilisierung der Führung“ dort auch stattgefunden? Haben Sie sich in diesem Aspekt auch mit Hilfe des audit weiterentwickeln können?

Wir sind jetzt 25 Jahre alt und seit Beginn an ist bei uns verankert, dass die Beschäftigten mit privaten Anliegen zu uns kommen. Beim audit war zum einen schön, dass uns da erst klar geworden ist, was wir alles schon an Maßnahmen haben. Und was ich eigentlich noch am schönsten finde: Durch die Arbeitsgruppe werden alle unsere Maßnahmen durch viele Kollegen getragen. Es ist jetzt eine Gruppe, die das verantwortet und auch gegenüber den Kollegen vertritt – und auch Ideen und Anregungen aufnimmt.

Durch das audit ist Vereinbarkeit einfach nicht nur von oben aufgedrückt; es ist im Grunde aus der Mitarbeiterschaft wird es halt weitergetragen. Und das finde ich mit den größten Vorteil.

Wir haben jetzt vor kurzen ein INOSOFT-Kindergeld ins Leben gerufen. Da gab es durchaus kontroverse Diskussionen in der Arbeitsgruppe. Eine Kollegin meinte z. B.: „Zuerst habe ich gedacht: Warum denn schon wieder die mit Kindern?“ Sie hätte sich dann aber schon wieder beruhigt. Auch so etwas muss man zulassen. Insgesamt war das Echo bei den Kollegen auf das INOSOFT-Kindergeld sehr groß – auch bei denen, die – noch – keine Kinder haben.

Also man sieht: Bei Ihnen im Hause wird strategisch aufgesetzte Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben gelebt. Und man sieht auch: Flexibilisierung von Führung ist machbar. Ich danke Ihnen vielmals für das Gespräch, die offenen Worte und auch die spannenden Einsichten in Ihre Arbeitsweise. 


Top-Managerin mit Vorbildfunktion in Sachen flexible Führung: Karin Batz Vorstand für Finanzen und Personal,  der INOSOFT AG, reduzierte vor einigen Jahren ihre Arbeitszeit auf vier Tage in der Woche. (©INOSOFT)

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