Dienstag, 18. Juni 2019

#VereinbarkeitsVibes: Die Entschleunigungsmuffel

Man müsste ein Faultier sein: Müßiggang, weil’s überlebenswichtig ist (©pixabay.com)
Achtsamkeit, Grenzsetzung, Entschleunigung… Können wir das überhaupt noch? – fragt sich Silke Güttler (berufundfamilie Service GmbH) in der Blog-Serie #VereinbarkeitVibes. Dabei zeigt sich: Auch hier spielen uns unsere Gedanken einen Streich. Müßiggang wird zur Falle des schlechten Gewissens. Dabei ist er doch so überlebenswichtig…

Liebe Leser, es ist so weit: Ihr dürft Euch hängen und fünf gerade sein lassen, einfach mal entspannen. Heute ist nämlich Geh-Angeln-Tag und Picknick-Tag sowie Gönn-dir-was-Tag, morgen dann der Weltbummeltag und als Krönung folgt am Freitag der Tag des Schlafes. Eigentlich hätten die Initiatoren dieser Tage sich gleich zusammentun und die Woche des Müßiggangs ausrufen können. Gut, da hätten dann die Erfinder des Tags der Produktivität etwas dagegen gehabt, der ist nämlich am Donnerstag (20.06.). Und der Störenfried Produktivitätstag zeigt uns auch direkt: Irgendwie soll das mit dem Müßiggang nicht wirklich sein.

Stress lass nach – Oder die Frage, ob wir die entschleunigte Lebensweise verlernt haben


Laut Stressstudie der Techniker Krankenkasse (2016)[1] fühlen sich 60 % der Deutschen privat oder beruflich gestresst, 23 % empfindet sogar häufiger Stress. Insbesondere bei den 30- bis 39-Jährigen ist der Stresspegel hoch: 82 % kennen Stresszustände, ein Drittel davon wird sogar häufig von ihnen geplagt. Vermutet wird, dass dies mit angestrebter beruflicher Karriere, aber auch mit der Familiengründung oder Unterstützung von Eltern zusammenhängen könnte. Außerdem scheint der Stress im Vergleich zu den vorangegangenen drei Jahren zugenommen zu haben – zumindest empfanden es die Befragten so: Unter den Berufstätigen haben zwei Drittel den Eindruck zunehmenden Stresses.

Was tun gegen den Druck im Nacken, das Grummeln im Magen, den erhöhten Puls und die gleichzeitige Erschöpfung? 70 % der Deutschen schätzen zum Stressabbau das Hobby. Aber auch Faulenzen ist ein Mittel der Wahl: 68 % entscheiden sich fürs Nichtstun.

Allerdings bringt das Nichtstun nicht jedem den gewünschten Effekt: 56 % der häufig Gestressten beklagen, dass sie nicht einmal am Wochenende vom Job abschalten können. 38 % sagen sogar, dass sie der Gedanke an die Arbeit in den Urlaub begleitet.

Bereits vor fünf Jahren zeigte die Johannes-Gutenberg-Universität Mainz[2], dass bei Menschen mit hohem Stresslevel das Faulenzen sogar als kontraproduktiv ist: Nutzen sie nach der Arbeit Medien, um abzuschalten – also z.B. den Klassiker Fernsehgucken –, schlich sich bei vielen das Gefühl ein, andere, wichtigere Aufgaben deshalb liegen zu lassen. Was die Expert*innen als Prokrastination bezeichnen, zeigte sich in einem schlechten Gewissen bei Beschäftigten mit hohem Arbeitsaufkommen. In der Folge wirkte die Mediennutzung nicht entspannend, sondern reduzierte die Erholungswirkung noch. Ganz treffend, wählten die Studienleiter für den Abstract zur Studie den Teiltitel “The Guilty Couch Potato”.

Und es kann noch schlimmer kommen: Körperliche bzw. sportliche Aktivität gilt als Ausgleich – vor allem zum Bürojob. Diesen schafft allerdings bei weitem nicht jeder – und das aus den unterschiedlichsten Gründen. Schon ist das schlechte Gewissen nicht weit und das kann verheerende Folgen haben: Eine Untersuchung[3] zeigte nämlich, dass Menschen, die meinten weniger aktiv als andere zu sein, um 71 % früher starben als die anderen – ungeachtet ihrer tatsächlichen körperlichen Aktivität oder ihres allgemeinen Gesundheitszustands.

Ich will ein Faultier sein


Sollten diese Studien nicht ein Weckruf sein? Ein Weckruf, den Wecker auszuschalten und das Nichtstun als Quelle der Erholung, der Kraft und auch der Kreativität anzuerkennen? Denn Achtsamkeit und Grenzsetzung können überlebenswichtig sein – nicht nur im beruflichen und privaten Alltag. Sogar im wahrsten Sinne des Wortes überlebenswichtig. Lasst uns alle mal ein Faultier sein. Das ist nicht etwa zu bequem, um aktiv zu sein, wie man allgemein meint. Es spart Energie – und zwar um in den Regenwäldern Mittel- und Südamerikas zu überleben.


[1] https://www.tk.de/resource/blob/2026630/9154e4c71766c410dc859916aa798217/tk-stressstudie-2016-data.pdf
[2] http://www.report-psychologie.de/nc/news/artikel/stress-durch-mediennutzung-in-der-freizeit-2014-08-21/
[3] https://www.epochtimes.de/gesundheit/schlechtes-gewissen-weil-sie-heute-wieder-nicht-trainiert-haben-sich-keinen-stress-damit-machen-ist-gesuender-sagen-forscher-a2370171.html

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