Mittwoch, 23. August 2023

Change-Maker htw saar: Vereinbarkeit als realer Teil des Hochschullebens

Seit 2015 gestaltet die htw saar Ihre Vereinbarkeitspolitik mit dem audit familiengerechte hochschule (©htw saar)

Auch Hochschulen kennen Transformationen. Gerade die Coronapandemie hat für tiefgreifende Veränderungen gesorgt – etwa in Form von vermehrter digitaler Lehre oder durch Probleme bei der Studienfinanzierung. In diesem Blog-Interview, das Teil unserer Change-Maker-Reihe ist, erzählen uns Sandra Wiegand, Leiterin des Familienbüros an der htw saar, und Isabelle Giro, Beschwerde- und Ideen-Management, Beauftragte für Studierende mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen, Diversity Management, wie das audit familiengerechte hochschule dabei unterstützt, auf solch tiefgreifende und plötzlich auftretenden Zustandsänderungen Einfluss zu nehmen bzw. mit ihnen umzugehen.


Coronapandemie mit Lehre und Studium auf Distanz, Reformbedarf beim Wissenschaftszeitvertragsgesetz oder die zunehmende Internationalisierung von Studierenden und fehlendes Hochschulpersonal (besonders im nicht-wissenschaftlichen Bereich) – auch für Hochschulen sind Transformationsprozesse kein Fremdwort. Daher ist in dieser neuen Ausgabe unserer Change-Maker-Interviewreihe die Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (htw saar) im Fokus. Die htw saar ist eine forschungsstarke, anwendungsorientierte Hochschule mit vier Fakultäten: Architektur und Bauingenieurwesen, Ingenieur- und Sozial- sowie Wirtschaftswissenschaften. Derzeit sind ca. 6.000 Studierende eingeschrieben und es sind rund 550 Mitarbeitende an der Hochschule tätig. Wie die htw saar gestaltet auch die dazugehörige FITT gGmbH, das Institut für Technologietransfer an der htw saar, die Vereinbarkeitspolitik für ihre Beschäftigten seit 2015 im Rahmen des audit familiengerechte hochschule.

Sandra Wiegand, Leiterin des Familienbüros an der htw saar, beschreibt uns in diesem Blog-Interview, wie die htw saar und die FITT gGmbH sich mit der stetigen Weiterentwicklung von familiengerechten Studien- und Arbeitsbedingungen zukunftsorientiert aufstellen und damit auch Antworten auf veränderte Rahmenbedingungen in der Hochschullandschaft finden. Isabelle Giro, Beschwerde- und Ideen-Management, Beauftragte für Studierende mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen, Diversity Management, hat das Interview ergänzt und die Fragen zu ihren Arbeitsbereichen beantwortet.


Die Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes trägt das Zertifikat zum audit familiengerechte hochschule bereits seit 2015. Welche Veränderungen haben seitdem auf Ihre Organisation eingewirkt?

Der größte Einschnitt war sicherlich die Corona-Pandemie. Die Digitalisierung der Lehre und das Remote-Arbeiten hat dadurch einen erheblichen Schub erhalten. Ohne die Prozesse, die im Rahmen des audit bereits angestoßen worden waren, wie z.B. die Dienstvereinbarung zum Home-Office hätte die Hochschule sicher nicht so flexibel auf die akuten Herausforderungen reagieren können.

Die Digitalisierung insbesondere in der Lehre ist für Studierende mit Familienpflichten eine große Chance. Allerdings ist sie für die Lehrenden mit großen Herausforderungen verbunden. Hier bleibt es eine wichtige Aufgabe eine gute Balance von Geben und Nehmen zu schaffen. In den Fakultäten wird permanent an hybriden Lösungen gearbeitet, die niemanden ausschließen, aber auch niemanden überfordern sollen.


Wie hat das audit familiengerechte hochschule als strategisches Managementinstrument Ihre Organisation dabei unterstützt, mit diesen Veränderungen Umgang zu finden?


Das audit war ein wichtiger Weg, den Organisationsentwicklungsprozess an der htw saar zu stärken. Über das „Eingangstor“ der Vereinbarkeit wurden auch sukzessive Herausforderungen in der Kommunikation/ Zusammenarbeit sichtbar, denen mit unterschiedlichen Instrumenten begegnet wurde. So entwickelte die Steuerungsgruppe z.B. federführend einen Code of Conduct und brachte das Thema „Beratung“ mehr in den Fokus der Hochschule. Ebenso sind viele Impulse aus dem audit-Prozess in das Führungskräfte(entwicklungs)programm integriert worden. Unter anderem werden inzwischen freiwillige Mitarbeiter*innenfördergespräche in der Verwaltung und den Fakultäten angeboten. Auch die strategische Personalentwicklung sowie das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) konnte auf den Vorerfahrungen im Rahmen des audit familiengerechte hochschule auf- und ausgebaut werden.


Wie haben sich seit der Erstzertifizierung vor acht Jahren die Anforderungen an familiengerechte Studien- und Arbeitsbedingungen durch Beschäftigte und Studierende verändert?

Gab es in den ersten Jahren noch durchaus Widerstände, steht das Thema Vereinbarkeit/ Familiengerechtigkeit mittlerweile nicht mehr per se zur Debatte: Die Frage ist schon längst nicht mehr ob, sondern vielmehr wie kann es gehen, so dass niemand auf der Strecke bleibt.
Individuelle Lösungen gibt es zum Glück immer noch, aber es ist nicht mehr von der Entscheidung Einzelner abhängig, ob ich in den Genuss von Unterstützung komme oder nicht. Schließlich verlangen die meisten Studierenden und auch Beschäftigten keine Bevorzugung, sondern ein flexibles Ausweiten ehemals starrer Abläufe. Väter in längerer Elternzeit, Kinder in der Vorlesung oder Laufräder in den Gängen sind realer Teil des Hochschullebens.

Durch die Positionierung als familiengerechte Hochschule werden natürlich auch immer wieder Erwartungen geweckt, die nicht alle erfüllt werden können. In den meisten Fällen finden sich dennoch gute Lösungen für alle Beteiligten, indem intensiv ins Gespräch gegangen wird. Bevor die htw saar den Auditierungsprozess gestartet hat, haben viel weniger Beschäftigte und nur sehr wenige Studierende ihre familiären Verpflichtungen überhaupt angebracht. Dass das Thema nun überall sichtbar ist, ist bei allen kontroversen Diskussionen, die es zweifellos auch gibt, ein großer Erfolg.


In welchen personalpolitischen Handlungsfeldern hat das audit bislang die größten/ deutlichsten Veränderungen bewirkt?

Die Dienstvereinbarung zum Home-Office hätte es ohne das audit nicht bereits vor der Coronapandemie gegeben. Dies war dann ein großer Pluspunkt, da wir auf eine vorhandene Struktur aufbauen und diese gezielt weiterentwickeln konnten.
Auch die Novellierung der Dienstvereinbarung zur Arbeitszeit, durch die es nun möglich ist, Zeitguthaben für längere geplante Auszeiten anzusparen, ist massiv durch die Zielvereinbarung zum audit familiengerechte hochschule beeinflusst worden.
Und nicht zuletzt der systematische Aufbau einer Beratungsstelle für Fragen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, unabhängig von der Personalabteilung, wurde durch das audit vorangetrieben. Insgesamt hat das audit dazu geführt, dass Familie in allen Bereichen der Hochschule zum Thema wurde.


Laut einer aktuellen Umfrage der Techniker Krankenkasse ist jede*r dritte Studierende Burn-out gefährdet. Gibt es diesbezügliche Maßnahmen zur Prävention für Studierende? Welche weiteren Gesundheitsangebote hat die htw saar für Studierende?

Die Beauftragte für Studierende mit Behinderung, chronischen oder psychischen Erkrankungen ist zentrale Anlaufstelle für Studieninteressierte, Studienbewerber*innen, Studierende mit Beeinträchtigungen, was auch psychische Erkrankungen umfasst. Sie sensibilisiert die Hochschulmitglieder zum Thema „Studieren mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen“. Unter anderem gibt es regelmäßige Angebote des Forums „psychisch fit studieren“ für Studierende sowie Mitarbeitende.

Auch die Psychologische Beratungsstelle des Studierendenwerks hält ein umfassendes Beratungs- und Workshop-Angebot vor. Im Rahmen des Hochschulsports gibt es zudem ein breites Kursprogramm von Yoga und Meditation über Rückentraining bis hin zu Fitness und Ballsport.
Und last but not least gibt es im Außenbereich am Campus Alt-Saarbrücken Sportgeräte. Dies war ein Vorschlag im Rahmen des studentischen Ideenwettbewerbs, der umgesetzt werden konnte.


Welche Angebote haben Sie speziell für Studierende mit Care-Aufgaben?


Das Familienbüro ist erste Anlaufstelle für alle Studierenden mit familiären Aufgaben wie Pflege und/oder Kinder. Hier erhalten Sie Beratung und Unterstützung. Mittlerweile lassen sich auch viele Studieninteressierte beraten, wie sich ein Studium bei paralleler Familienverantwortung realisieren lässt.

Neben der Möglichkeit zum Nachteilsausgleich, z.B. in Form einer verlängerten Abgabefrist bei Hausarbeiten, oder der bevorzugten Stundenplanauswahl ist der Betreuungsfonds für Studierende eine wichtiges Unterstützungsangebot. Studierende erhalten hier einen Zuschuss zu Betreuungskosten, die aufgrund von Notfällen, wie geschlossenen KiTas, oder zur Prüfungsvorbereitung notwendig sind. Außerdem wird im Bedarfsfall eine Kinderbetreuung während der Prüfungen organisiert.

Die Hochschul-KiTa nimmt ebenso Kinder von Studierenden wie auch von Beschäftigten auf. Für das Ferienangebot zahlen studierende Eltern einen reduzierten Teilnahmebeitrag.
Neben diesem verlässlichen Beratungs- und Unterstützungsangebot ist für die Studierenden der systematische Ausbau der digitalen Lehre von großer Bedeutung.
Ein großes Thema für Studierende mit Familienverantwortung ist von jeher die Studienfinanzierung. Hier spielt die Stipendienberatung eine wichtige Rolle. In akuten Fällen kann auch über den Notfallfonds der Hochschule schnell geholfen werden.


Sie verfügen auch über einen Notfallfonds für Studierende. In welchen Fällen greift dieser?

Der Notfallfonds ist für akute Notlagen gedacht, in denen zum Beispiel die Fortführung des Studiums auf dem Spiel steht. Eigene Erkrankungen, Unfälle, Wohnungsbrände, unerwartete Schwangerschaft oder auch der Tod von Familienmitgliedern können so manches Konstrukt der Studienfinanzierung erheblich ins Wanken bringen.

In der Coronapandemie standen viele – insbesondere internationale – Studierende von heute auf morgen ohne Einkommen da. Diesen konnten wir durch unseren Notfallfonds, der sich bis dato überwiegend aus Spenden gespeist hat, schnell und unbürokratisch helfen. Auch die zusätzlichen Landesmittel konnten wir über die bestehenden Strukturen schnell an die Studierenden bringen. Der Allgemeine Studierendenausschuss hat sich dann dafür eingesetzt, dass alle Studierenden einen Euro ihres Semesterbeitrags für den Notfallfonds einzahlen, so ist die Finanzierung nun dauerhaft gesichert.


An der htw saar gibt es das Beschwerde- und Ideen-Management (BIM) als neutrale und zentrale Anlaufstelle für Studierende. Wieso wurde es ins Leben gerufen? Können Sie uns Maßnahmen nennen, die aus Anfragen resultieren?

Das Beschwerde- und Ideen-Management (BIM) wurde 2008 im Zuge der Einführung der Studiengebühren als zentrale und neutrale Anlaufstelle für Studierende eingerichtet. Intention war die Beratung und Betreuung von Studierenden, insbesondere im Kontext der Verteilung und Verwendung der Studiengebühren, sowie die Aufnahme von Verbesserungsvorschlägen. Um die Studierenden darüber hinaus einzubinden, wurden verschiedene Projekte wie z. B. der Ideenwettbewerb oder ein hochschulübergreifendes Videoprojekt initiiert.

Die Anlaufstelle hat sich im Laufe der Jahre weiterentwickelt. Beratung und Information, Vermittlung und Moderation, Unterstützung und Begleitung sind Angebote des BIM. Die Studierenden können sich mit studienbezogenen Beschwerden, Konflikten und Anliegen aber auch Ideen, Anregungen und Lob an die Vertrauensperson wenden. Dies können z. B. Anliegen sein, die Prüfungen, Studienbedingungen, Infrastruktur, interpersonelle Konflikte,

Lehre und Lehrveranstaltungen, Verwaltung und Service, Diskriminierungen jeglicher Art, Gewalt, (Be-)Drohungen usw. betreffen. Die Vertrauensperson agiert unabhängig und allparteilich und die an sie herangetragenen Anliegen werden neutral, ergebnisoffen und lösungsorientiert behandelt. Ziel ist es, mit den Anregungen und Hinweisen der Studierenden die Studienqualität für alle zu verbessern.


Sie verfügen also über ein breites Vereinbarkeitsangebot für die verschiedenen Statusgruppen – sowohl nichtakademische Beschäftigte als auch wissenschaftliche Mitarbeitende und Studierende. Durch welche Kommunikationsmaßnahmen stellen Sie sicher, dass die Angebote bekannt sind und genutzt werden?

Wir setzen auf einen breiten Mix an Kommunikationsmaßnahmen. Unser Onboarding-Service spielt dabei eine zentrale Rolle: Neue Beschäftigte werden herzlich willkommen geheißen und erhalten eine Einführung in die Hochschule und die Organisationsstruktur. Dabei werden relevante Informationen vermittelt. Die neuen Kolleg*innen erhalten dazu eine umfassende Willkommensmappe. In dieser Mappe wird speziell auf die Vereinbarkeitsangebote hingewiesen. Es werden die verschiedenen Maßnahmen und Unterstützungsmöglichkeiten für die Work-Life-Balance vorgestellt und erläutert, wie diese in Anspruch genommen werden können. Somit erhalten neue Beschäftigte von Anfang an einen Überblick über die vorhandenen Angebote.


Das Familienbüro nimmt regelmäßig an der zentralen Begrüßungsveranstaltung für die Erstsemester teil, und auch bei den Einführungen in den Fakultäten ist es vertreten. Außerdem werden jedes Semester die Erstsemester-Mentor*innen über alle Unterstützungsangebote der Hochschule geschult, so dass sie Studierende mit Kind(ern) gleich an das Familienbüro als zentrale Anlaufstelle verweisen können.
Vereinbarkeit ist auch immer wieder Thema in Angeboten im Studiumplus und in der internen Qualifikation: Im Rahmen von Workshops, Seminaren oder Vorträgen werden die Angebote thematisiert und erläutert, wie diese in den individuellen Arbeits- und Studienalltag integriert werden können. Diese direkte Ansprache hilft, das Bewusstsein für die vorhandenen Unterstützungsmöglichkeiten zu schärfen und sie gezielt zugänglich zu machen.

Wir veröffentlichen zudem regelmäßige Blogbeiträge in unserem in- und externen Hochschul-Blog. Dabei werden die verschiedenen Angebote, ihre Vorteile und Erfolgsgeschichten von Mitarbeitenden, die diese Angebote bereits nutzen, vorgestellt. Durch diese Beiträge möchten wir das Bewusstsein für die Vereinbarkeitsangebote stärken und potenzielle Nutzer*innen ermutigen, sie auszuprobieren

Um eine breitere Zielgruppe zu erreichen und die Reichweite zu erhöhen, nutzen wir verschiedene Social-Media-Plattformen wie Facebook, X (ehemals Twitter) und Instagram. Die Nutzung von Social Media ermöglicht uns eine aktive Interaktion mit den Beschäftigten und Studierenden, wodurch Fragen geklärt und Interesse geweckt werden können.

Und nicht zuletzt kommt das Thema Vereinbarkeit auch immer wieder in den verschiedenen Hochschulgremien auf die Tagesordnung.


Was haben Sie im Rahmen des audit familiengerechte hochschule noch vor?

Das Thema Pflege soll noch stärker in den Fokus rücken. Ein zentrales Anliegen ist es, die Unterstützung für diejenigen, die pflegende Angehörige sind, deutlich zu verbessern und ihre Situation sichtbarer zu machen. Wir möchten innovative Ansätze entwickeln, um ihnen eine echte und effektive Unterstützung zukommen zu lassen.

Darüber hinaus setzen wir uns das Ziel, hybride Lehrangebote systematisch auszubauen. Diese Angebote sollen es unseren Studierenden, die Pflege- und/ oder Betreuungsverpflichtungen haben, ermöglichen, flexibel auf familiäre Belastungen zu reagieren, ohne dabei ihren Studienfortschritt zu beeinträchtigen.

Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt liegt auf dem Thema Kinderbetreuung. Wir sind uns bewusst, dass es derzeit zu wenige KiTa-Plätze gibt und dies eine große Herausforderung für unsere Studierenden und Beschäftigten darstellt. Die Hochschule allein kann den Bedarf nicht vollständig decken. Deshalb engagiert sich unser Familienbüro bereits seit mehreren Jahren im Lokalen Bündnis für Familie im Regionalverband Saarbrücken. Durch diese Zusammenarbeit ist bereits ein unternehmensübergreifendes Väternetzwerk entstanden. Derzeit arbeiten wir an einem Konzept zur Notfallbetreuung, um noch gezielter Unterstützung bieten zu können.


Zum Schluss noch Ihre Einschätzung: Das audit familiengerechte hochschule ist ein wirkungsvolles Steuerungstool für Transformationen, weil …

…es systematisch und professionell Personal- und Organisationsentwicklungsprozesse anstößt, bestehende Potentiale ausbaut und langfristig unterstützt.


Erfahren Sie hier mehr über die Maßnahmen, die an der htw saar und der dazugehörigen FITT gGmbH familiengerechte Studien- und Arbeitsbedingungen fördern.

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