Dienstag, 14. August 2018

Unsere neue Serie: „Zur Debatte, Herr Schmitz“ – Gerecht? Neidisch? – Ist Vereinbarkeit für alle da?


Unsere neue Blog-Serie: „Zur Debatte, Herr Schmitz“

Oliver Schmitz, Geschäftsführer der berufundfamilie Service GmbH,
zu aktuellen Fragestellungen. Heute:

Gerecht? Neidisch? – Ist Vereinbarkeit für alle da?

Ansprechpartner auch für brisante Themen der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben: Oliver Schmitz, Geschäftsführer der berufundfamilie (©berufundfamilie Service GmbH)

Jede Sommerferien das gleiche Bild in den Büros: Beschäftigte mit Kindern lassen in den Ferien verweist ihre Schreibtische zurück, während die ohne Nachwuchs die Stellung halten. Das mag überspitzt formuliert sein; Tatsache ist aber, dass die Debatte um eine gerechte Urlaubsverteilung anhält – genauso wie die Debatte um die gleichmäßige Nutzung von betrieblichen Angeboten zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben. Gibt es überhaupt Gerechtigkeit in der Vereinbarkeit? Ist die Neiddebatte überspitzt?


Herr Schmitz, in der Studie ‚Vereinbarkeit 2020‘ der berufundfamilie zeigte sich, dass Beschäftigte der Meinung sind, Vereinbarkeitsangebote richten sich vor allem an Eltern. Ist Vereinbarkeit etwa nicht für alle?


Vereinbarkeit ist für alle! Der Fokus liegt häufig erstmal auf dem engeren Familienkreis bei Mutter, Vater, Kind und Großeltern sowie bei den Themen Betreuung von Kindern und Pflege von Angehörigen. Wenn ich aber zufriedene und somit auch leistungsbereite Beschäftigte haben möchte, dann geht es im Prinzip um alles, was einem Menschen wichtig ist, damit sie oder er ein sinnvolles und erfülltes Leben führen kann. Häufig ist die Familie was besonders „sinnstiftendes“ und daher besonders zu berücksichtigen. Für andere kann das aber auch der Hund, der Kleingartenverein oder die Modelleisenbahn sein. Natürlich wird man keine Maßnahmen zur Vereinbarung von Beruf und Modelleisenbahn entwickeln, aber wenn es für einen Beschäftigten persönlich sehr wichtig ist, zu einem bestimmten Termin zum Internationalen Bahn-Fahrplan-Wettbewerb in dem nordfinnischen Ort Inari zu reisen, dann gehört das auch in die Vereinbarkeitsdebatte! Man muss gegebenenfalls eine Priorisierung machen, da man es nicht allen recht machen kann. Häufig geht daher ein Beschäftigter mit akuten Betreuungsaufgaben vor. Aber auch dieser Beschäftigte muss vielleicht mal auf einen Brückentag zugunsten des Kollegen verzichten, damit sich dieser seinen Traum von der Reise nach Inari erfüllen kann. Es braucht ein Geben und Nehmen!

Wollen Arbeitgeber eventuell gar nicht, dass jede und jeder Mitarbeiter*in eine Vereinbarkeitslösung nachfragt?

Es gibt häufig die Befürchtung, dass es zu einer übersteigerten Erwartungshaltung kommt, wenn man Angebote zur Arbeitsgestaltung für alle öffnet. Das erleben wir besonders häufig bei dem Thema mobiles Arbeiten. Man befürchtet, dass wenn man das Angebot für alle öffnet, es alle auch gleichzeitig nutzen wollen. Daher limitiert man das Angebot häufig zunächst auf „familiäre“ Gründe. Das ist aber zumeist gar nicht nötig. Warum soll es nicht jeder nutzen können, dessen Tätigkeit, Arbeitsumfeld und Persönlichkeit es zulässt mobil zu arbeiten? Derjenige der dies aufgrund von familiären Notfällen machen möchte, wird sicherlich bevorzugt. Aber wenn es der Aufgabenerfüllung nicht schadet, warum soll es dann nicht jeder machen können, für den es möglich ist?

Wird die Neiddebatte überspitzt dargestellt?

Das oben genannte Beispiel zum eingeschränkten mobilen Arbeiten kann durchaus zu einer Neiddebatte führen. Beschäftigte haben häufig ein gutes Gespür dafür, was fair ist und was eine ungerechte Ungleichbehandlung darstellt. Es geht da häufig auch gar nicht darum, dass „man das auch alles haben möchte“, sondern viel häufiger darum, dass „man weiß, dass man könnte, wenn man es bräuchte“! Wenn Angebote zur Arbeitsgestaltung offen und für alle im Prinzip zugänglich und entsprechend den jeweiligen Rahmenbedingungen angeboten werden, dann entsteht kein Neid und dann wir auch akzeptiert, dass Kolleg*innen in besonderen Situationen bevorzugt werden. Denn man weiß ja, man könnte auch, wenn man bräuchte...

Wie schaffen es Arbeitgeber, alle Beschäftigten zu erreichen und für eine gerechte Nutzung von Angeboten zu sorgen?

Ein großer Fehler ist, wenn man sich nur auf Angebote beschränkt, die von allen genutzt werden können. Dann einigt man sich nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner und nutzt nicht die vorhandenen Potenziale. Es geht zunächst darum, ein passendes Portfolio von Gestaltungsmöglichkeiten zu entwickeln. Umfangreich genug, um auf die persönlichen und beruflichen Herausforderungen eingehen zu können, aber auch nur so umfangreich, dass das Angebot für Führungskräfte und Beschäftigte noch managebar ist. Für die hieraus entstehende Vielfalt gibt es nur wenige Standardlösungen. Wir raten daher zu teilstrukturierten Aushandlungsprozessen, bei denen unter Beachtung der Erfüllung der Arbeitsaufgabe zwischen der Führungskraft, den Beschäftigten und den unmittelbar betroffenen Kolleg*innen die besten Lösungen entwickelt werden. Wenn dies Teil der Kultur geworden ist, dann funktioniert das auch mit wenig Aufwand. Schaut man sich gut funktionierende Teams an, dann merkt man, dass die häufig bereits unbewusst so funktionieren. Wir nennen das den „Vereinbarkeits-Trialog“, der mit Hilfe von Leitfragen oder Checklisten auch ganz bewusst gestaltet werden kann.

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