Heute (12. Mai 2016) ist der Internationale Tag der Pflege. Ein Tag, der auf die britische Pionierin der modernen Pflege, Florence Nightingale, zurückgeht. Mit ihm sollen die Leistungen von professionellen Pflegenden eine größere Awareness erhalten. Wie aber sieht es bei Privatpersonen aus – also Erwerbstätige, die ihre Berufstätigkeit mit der Pflege eines Angehörigen vereinbaren müssen?
Nicht einmal ein Drittel der Arbeitgeber reagiert auf deren Bedürfnisse mit pflegebewussten Angeboten. Und nur jeder zweite Arbeitgeber hat sich überhaupt bislang mit dem Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Pflege“ beschäftigt. Dies zeigt eine repräsentative Umfrage der berufundfamilie.[1] Als Grund, sich nicht stärker im Themenfeld Vereinbarkeit von Beruf und Pflege zu engagieren, führen 65 % der Arbeitgeber an, dass die Notwendigkeit für betriebliches Handeln erst in ein paar Jahren bestehen wird, wenn die Zahl Pflegebedürftiger weiter zugenommen hat. 84 % der Arbeitgeber sehen zudem Schwierigkeiten beim Einstieg in das Thema, 84 % den angeblich hohen organisatorischen Aufwand und 80 % eine vermutete Kostenintensität als Hinderungsgrund.
Pflege hat viele Gesichter – und der Bedarf an pflegebewusster Personalpolitik nimmt stetig zu (© berufundfamilie gGmbH) |
Pflege: Personalpolitisch nie zuvor so brisant
Zum Aspekt „Notwendigkeit“: Diese ist akut gegeben. In 2013 waren bundesweit bereits 2,6 Mio. Menschen pflegebedürftig. Knapp die Hälfte von ihnen wurde ausschließlich durch Angehörige versorgt. Bei weiteren 23,7 % erhielten die pflegenden Angehörigen Unterstützung von Pflegediensten.[2] Und es wird noch brisanter: Bis zum Jahr 2020 wird ein Anstieg der Pflegebedürftigen auf 2,9 Mio., bis zum Jahr 2030 auf 3,4 Mio. erwartet.[3]Nicht nur, dass grundsätzlich zunehmend mehr Menschen mit Pflegeaufgaben konfrontiert sind, immer mehr von ihnen sind auch berufstätig. Ein Trend, der sich bereits vor fünf Jahren deutlich ablesen ließ: Im Jahr 2010 waren 63 % der weiblichen und 73 % der männlichen pflegenden Angehörigen zwischen 25 und 64 Jahren erwerbstätig.[4] Diese Entwicklung ist u. a. auf die höhere Frauenerwerbsbeteiligung, die längere Lebensarbeitszeit und die Alterung der Belegschaft zurückzuführen.
Das korrespondiert mit dem Ergebnis der berufundfamilie-Umfrage, nach der zwei von drei Beschäftigten (69 %) damit rechnen, dass sie künftig einen Angehörigen pflegen werden.
Vereinbarkeit: Mangelnde Personalpolitik kostet
Das von der Bundesregierung eingeführte Pflegeunterstützungsgeld, die Pflegezeit und die Familienpflegezeit tragen dieser Entwicklung Rechnung. Diese wichtigen Regelungen befreien Arbeitgeber jedoch nicht von ihrer betrieblichen Verantwortung. Ohne tragfähige Lösungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege schneiden sich Arbeitgeber von ganzen Teilen des Arbeitsmarktes ab, laufen Gefahr, qualifizierte Beschäftigte zu verlieren, oder werden die Folgen einer Überlastung durch Beruf und Pflege in Form von Arbeitsausfällen, geringerer Produktivität und Krankheitstagen tragen müssen. So hat das Forschungszentrum für Familienbewusste Personalpolitik (FFP) im Jahr 2011 errechnet, dass eine mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Pflege Unternehmen jährlich rund 19 Milliarden Euro kostet – aufgrund von Fehlzeiten und (vorübergehender) Berufsaufgabe, aber vor allem aufgrund verminderter Leistungsfähigkeit der Beschäftigten.[5] Auf einen Arbeitnehmer mit Pflegeaufgaben entfielen demnach 14.000 EUR.Eine
gelingende Vereinbarkeit von Beruf und Pflege macht’s möglich: Ruhigen Gewissens zur Arbeit gehen (© berufundfamilie gGmbH) |
Realitätscheck: Angebote teilweise nicht passgenau
Aus Sicht der Beschäftigten gibt es einen besonders großen Mangel an adäquaten betrieblichen Angeboten. Lediglich 17 % der Beschäftigten sehen, dass ihr Arbeitgeber Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege anbietet. Das bisherige betriebliche Angebot an pflegebewussten Lösungen deckt außerdem nur unzureichend den Bedarf ab. Arbeitgeber bieten zwar mehrheitlich die von Beschäftigten gewünschten flexiblen Arbeitszeitmodelle und Arbeitszeitkonten an, zu wenig verbreitet sind aber die von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern für sinnvoll erachteten finanziellen Hilfen und bezahlten Freistellungen. Die Möglichkeit zur Arbeitszeitreduzierung und unbezahlte Freistellungen bieten die Arbeitgeber dagegen in einem höheren Umfang an, als er von den Beschäftigten für sinnvoll erachtet wird.[6]
Tipp: Mit Strategie gewinnen
Öffnen sich Arbeitgeber dem Thema Pflege und entwickeln passende Strategien und Lösungen, erwirtschaften sie sich Einsparungen. Sie gewinnen eine reale Chance, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Pflegeaufgaben, deren Know-how und Input für den Betrieb wichtig sind, bestmöglich einzusetzen. Resultate einer pflegebewussten Personalpolitik sind erfahrungsgemäß zudem ein geringerer Krankenstand, eine höhere Motivation und Produktivität sowie eine engere Bindung der Beschäftigten. Qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der Pflegephase eine betriebliche Unterstützung erfahren, stehen dem Arbeitgeber danach oftmals wieder uneingeschränkt zur Verfügung und bleiben dem Betrieb erhalten. All diese Aspekte zahlen maßgeblich auf das Image des Arbeitgebers ein und schaffen letztendlich Wettbewerbsvorteile.
Mit guten Beispiel voran
Den Nutzen bestätigte Nadja Alber, Leiterin des Bereichs Family & Career bei SAP in Walldorf, im Rahmen der Veranstaltung „Hilfe beim Helfen – Neue Wege für Beruf und Pflege“ der Familienbildung im Heinrich Pesch Haus und der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH, die wir am 28.04.2016 in Ludwigshafen besuchten. Das Unternehmen SAP, das seit 2013 das Zertifikat zum audit berufundfamilie trägt, hat in den vergangenen fünf Jahren einen deutlichen Alterungsshift seiner Belegschaft nach oben wahrgenommen. Ein Grund mehr, sich dem Thema Pflege intensiv zu widmen. Und das fängt bei SAP bereits mit der Definition von Pflege an: Pflege ist nicht erst dann ein Aufgabe für Beschäftigte, wenn sie direkt mit Pflegeaufgaben wie Körperpflege oder Essenszubereitung betraut sind, sondern sobald sie mit organisatorischen Fragen konfrontiert sind. Das ist ein entscheidender Punkt, der in betrieblichen Angeboten zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege Berücksichtigung finden muss. SAP entspricht diesem u. a. mit einem breiten Informationsangebot. Das reicht von der Infoveranstaltung „Angehörigenpflege“, über Materialien wie ein Pflegeleitfaden bis hin zu unmittelbaren Beratungsgesprächen und Kompetenztrainings zu finanziellen, rechtlichen und pflegerischen Aspekten.Vereinbarkeit
von Beruf und Pflege: Hilfe durch gezielte Information (© berufundfamilie gGmbH) |
Weitere Maßnahmen, die den Beschäftigten die Vereinbarkeit ihrer beruflichen Aufgaben und Aufgaben der Pflege erleichtern, sind flexible Arbeitszeitmodelle, Arbeitszeitkonten und -reduzierung sowie die Flexibilisierung des Arbeitsorts. Hilfreich ist zudem die Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern, über die Beschäftigte z. B. kurzfristigen Zugang zu Tagespflegeplätzen erhalten. Ein gutes Beispiel liefert SAP auch in Fragen der Führungskräftesensibilisierung und -weiterbildung: So stehen Führungskräfte von SAP zum Thema Pflege im Austausch mit anderen Unternehmen, nehmen Impulse auf und geben eigenen Erfahrungen weiter.
1,6 Unternehmens- und Beschäftigtenumfrage „Beruf und Pflege“, (GfK im Auftrag der berufundfamilie gGmbH, September 2014
2 Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2013, Pflege im Rahmen der Pflegeversicherung Deutschlandergebnisse, 12.03.2015
3 Statistisches Bundesamt: Bevölkerung Deutschlands bis 2060, 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung, Wiesbaden 2009, (Variante 1-W1)
4 https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/BevoelkerungSoziales/Arbeitsmarkt/ErwerbPflege.html
5 Helmut Schneider, Jana Heinze, Daphne Hering, „Betriebliche Folgekosten mangelnder Vereinbarkeit von Beruf und Pflege“ im Rahmen des Projektes Carers@Work – Zwischen Beruf und Pflege: Konflikt oder Chance?, Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik, Berlin, Juni 2011
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