Donnerstag, 26. September 2024

Vereinbarkeit in Zahlen: Work-Life-Fit?

Stichwörter aus der Arbeitswelt (berufundfamilie Service GmbH)

Wussten Sie, dass jede*r fünfte Berufstätigte den Kinderwunsch wegen der schlechten Betreuungssituation zurückstellt oder dass eine Büropflicht vor allem Frauen mit Sorgeaufgaben hart trifft? Unsere September-Ausgabe „Vereinbarkeit in Zahlen“ ist wieder gefüllt mit aktuellen Studien zur Vereinbarkeitslage.



Mehr als die Hälfte der Beschäftigten wünscht sich Arbeitszeitreduzierung


Eine Umfrage des Karrierenetzwerks XING liefert neue Erkenntnisse zu den Arbeitszweitwünschen von deutschen Beschäftigten. Dabei zeigt sich, dass mehr als die Hälfte gerne weniger arbeiten würde und 1/3 würde sich dieses Mehr an Zeit auch erkaufen. So würden 34% der Befragten für mehr Urlaubstage auf Gehalt verzichten.

Der Wunsch nach Arbeitszeitreduzierung könnte mit der steigenden Belastung durch den Personalmangel zusammenhängen. 40% der Arbeitnehmenden äußerten, dass ihr Arbeitgeber Probleme bei der Stellenbesetzung habe, 30% berichten von einer erhöhten Arbeitsbelastung und schlechten Arbeitsatmosphäre in ihrer Organisation.

Die Bereitschaft, durch höhere Arbeitszeiten zur Lösung der genannten Probleme beizutragen, war bei den Befragten insgesamt gering. Dies lehnten 6 von 10 Befragten ab. Während 63% der Babyboomer und Gen X Mehrarbeit für unnötig hielten, waren Millennials und Gen Z etwas empfänglicher für diese Idee, wenn auch nur knapp die Hälfte.

Unter bestimmten finanziellen Bedingungen wären mehrere Befragte allerdings bereit, zusätzliche Arbeitsstunden zu leisten. Konkret wurden Bonuszahlungen, Prämien, eine Gehaltserhöhung oder zusätzliche Urlaubstage als geeignete Anreize genannt.

Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit in Deutschland lag 2023 mit 34,4 Stunden unter dem europäischen Durchschnitt. Dennoch zeigte sich generationsübergreifend, dass 49% der Beschäftigten eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit anstreben. Besonders ausgeprägt war dieser Wunsch bei der Generation Z (53%), gefolgt von den Millennials (50%) und der Generation X (48%). Die Babyboomer, die sich dem Ruhestand nähern, zeigten mit 37% ein geringeres Interesse an einer Arbeitszeitreduzierung. Lediglich 9% aller Befragten äußerten den Wunsch nach einer Erhöhung ihrer Arbeitszeit.

Gefragt nach der Work-Life-Balance zeigen sich 52% der Befragten zufrieden oder sehr zufrieden mit ihrer Work-Life-Balance. Männer* (55%) bewerteten diese positiver als Frauen* (49%). Frauen* klagten häufiger über gesundheitliche Probleme und Stress (41% vs. 31% bei Männern*). Ein weiterer Kritikpunkt war die fehlende Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung, der von 35% bemängelt wurde.

Xing, Arbeitsmarktreport 2024, September 2024
https://www.rnd.de/wirtschaft/umfrage-zu-work-life-balance-haelfte-der-berufstaetigen-will-mehr-freie-zeit-DZ7QRKYH5FMXPHOQG6SGN37I4A.html?utm_source=pocket-newtab-de-de




Beschäftigte wünschen sich mehr Zeitsouveränität


Immer weniger Beschäftigte wünschen starre Arbeitszeiten. Das zeigt eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung unter 2.500 Frauen* und Männern*. So gaben nur 25% der Frauen* und 29% der Männer* an, dass sie eine Stelle mit starren Arbeitszeiten wählen würden.
Im Rahmen der Studie wurden die befragten Frauen* und Männer* gebeten, die Attraktivität von Muster-Stellenanzeigen im Hinblick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu bewerten.

Die Attraktivität klassischer Teilzeitstellen ist begrenzt. Insbesondere bei Frauen* mit jüngeren Kindern fällt die Zustimmung mit 38% eher gering aus. Auch bei kinderlosen Frauen* und Müttern älterer Kinder liegt die Zustimmung zu Teilzeitbeschäftigungen bei lediglich 30%.

Obwohl die Erwerbstätigenquote von Frauen* mit fast 78% eine hohe Arbeitsmarktintegration suggeriert, zeigt eine detaillierte Betrachtung, dass 48% der erwerbstätigen Frauen in Teilzeit beschäftigt sind. Unabhängig vom Familienstand bevorzugen Frauen* flexible Arbeitsmodelle, insbesondere flexible Stundenzahlen und variable Arbeitszeiten.
So präferieren 48,9% der Frauen* und 47,6% der Männer Jobs, bei denen sie wahlweise in Vollzeit oder in Teilzeit ausüben können. Weniger beliebt sind zudem reine Vollzeitstellen:

Insbesondere bei Befragten mit jüngeren Kindern zeigt sich das: Nur 21,3% der Frauen* und 38,1% der Männer* in dieser Gruppe wählen Vollzeitstellen. Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass Paare eine modernere Aufteilung von Erwerbs- und Sorgearbeit anstreben.

Die Studie der Stiftung hat gezeigt, dass sowohl Frauen* als auch Männer* eine hohe Präferenz für vollständig flexible Arbeitszeiten ohne feste Kernzeiten haben. Zudem konnte ein positiver Zusammenhang zwischen familienfreundlichen Maßnahmen und der Attraktivität von Stellen festgestellt werden. Die Stiftung fordert daher eine stärkere Anpassung der Arbeitszeiten an die individuellen Bedürfnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Bertelsmann-Stiftung, Spannungsfeld Vereinbarkeit: Arbeitszeit- und Jobpräferenzen von Menschen mit Sorgeverantwortung, September 2024
https://www.tagesschau.de/wirtschaft/arbeitsmarkt/teilzeit-flexible-arbeitszeit-muetter-vaeter-studie-100.html



Büropflicht trifft Frauen mit Sorgeaufgaben besonders hart


Seit dem Ende der Coronapandemie wird immer häufiger über eine verpflichtende Rückkehr aus dem Home-Office in Büros diskutiert. Wie sich eine ganze oder teilweise Büropflicht auf weibliche Beschäftigte auswirkt, untersucht die Women@Work Studie des Beratungsunternehmens Deloitte. Die Studie zeigt auch den Zusammenhang von Stress und Büropflicht.


Aus der Befragung von 500 Teilnehmerinnen geht hervor, wie weit verbreitet solch eine Büropflicht hierzulande ist. Jede fünfte Befragte gab an, teilweise ins Büro kommen zu müssen, während fast jede sechste vollständig zur Anwesenheit verpflichtet ist.
Eine teilweise Büropflicht führte bei 22% der befragten Frauen zu erhöhtem Stress oder psychischen Belastungen. Bei einer vollständigen Büropflicht stieg dieser Anteil sogar auf 37%. Im internationalen Vergleich waren die Auswirkungen zwar mit 16% bzw. 26% etwas geringer, dennoch deutlich spürbar.

Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass die vollständige Büropflicht zu einem Verlust von Arbeitskraft führen kann: 32% der betroffenen Frauen baten um eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit. Zudem schadet sie dem Arbeitgeberimage: 29% der Umfrageteilnehmerinnen bewerteten ihren Arbeitgeber deshalb negativer. Hinzu kommen Einbußen bei der Produktivität (19%) und 22% der Befragten fühlten sich gezwungen, umzuziehen, um wieder näher an der Arbeitsstätte zu wohnen.

Die Studie liefert einen wichtigen Hinweis darauf, warum die Büropflicht für viele Frauen problematisch ist: Die ungleiche Verteilung von Sorgearbeit zwischen Männern und Frauen führt dazu, dass Frauen durch die zusätzliche Anwesenheitspflicht im Büro stark belastet werden. So ist sowohl national als auch international ein deutlicher Anstieg der Frauen zu verzeichnen, die die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung übernehmen. In Deutschland stieg der Anteil von 41% im Vorjahr auf 45%, während er weltweit von 46% auf 50% zunahm.
Besonders deutlich wird die Ungleichheit bei der Pflege von Erwachsenen. Weltweit übernehmen 57% der Frauen die Hauptverantwortung, während dieser Anteil bei Männern lediglich bei 10% liegt. Das macht einen Unterschied von 47 Prozentpunkten.

In Deutschland ist die Ungleichverteilung der Pflegearbeit noch ausgeprägter. Während bei 54% der Paare die Frauen die Hauptverantwortung tragen, übernehmen diese Aufgabe bei nur 3% der Paare die Männer. Dieser Unterschied von 51 Prozentpunkten ist besonders groß.

Deloitte, Women@Work Studie 2024, September 2024
https://www2.deloitte.com/de/de/pages/about-deloitte/articles/women-at-work-studie.html?id=de:2sm:3li:4___Women-at-work-Study::6abt:20240903070000::14544102583:5&utm_source=li&utm_campaign=___Women-at-work-Study&utm_content=abt&utm_medium=social&linkId=573655830



Jede*r fünfte Berufstätige stellt Kinderwunsch wegen schlechter Betreuungssituation hinten an


Die mangelnden Betreuungskapazitäten in Deutschland haben direkte Auswirkungen auf den Kinderwunsch von Berufstätigen. Das belegen Zahlen einer Studie des Versicherers HDI, für die rund 3.700 Männer* und Frauen* befragt wurden. So stellte jede*r fünfte Erwerbstätige den Kinderwusch wegen der schlechten Betreuungsangebote zurück. In der Altersgruppe der 30- bis 34-Jährigen lag der Anteil sogar bei 35%.

Auch bei den berufstätigten Eltern ist die Zufriedenheit mit der Kinderbetreuung gering: 49% der Befragten halten das Angebot für unzureichend. Auch die Unterstützung durch die Arbeitgeber wird bemängelt. 44% der Eltern finden, dass sich ihre Arbeitgeber zu wenig um das Thema kümmern. Eine Folge davon ist, dass 40% der Eltern gerne mehr arbeiten würden, wenn die Betreuungszeiten länger wären. 43% der berufstätigen Eltern sehen ihre Karriere durch die Kinderbetreuung eingeschränkt und glauben, dass sie aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen weniger Aufstiegschancen haben.

Die erschwerte Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben könnte auch der Grund sein, warum sich erstmals mehr als die Hälfte aller Vollzeitbeschäftigten eine Teilzeitstelle wünschen. Vor allem jüngere Beschäftigte zwischen 25 und 34 Jahren (57%) zeigen ein starkes Interesse an Teilzeitmodellen.
Die Studie zeigt zudem: Die Wahrnehmung des Personalmangels als Problem hat zugenommen. 63% aller Berufstätigen in Deutschland sehen negative Folgen für ihre Organisationen. Besonders besorgniserregend ist der bevorstehende Ruhestand der Babyboomer und der damit befürchtete Wissensverlust. So klagte etwa jede*r dritte Beschäftigte (35 %), dass der Wissenstransfer in der eigenen Organisation beim Ausscheiden der Babyboomer “gar nicht gut” oder “weniger gut” gelinge.

HDI Berufe-Studie 2024, September 2024
https://www.eqs-news.com/de/news/corporate/hdi-berufe-studie-2024-jeder-funfte-berufstatige-stellt-kinderwunsch-wegen-schlechter-betreuungsangebote-zuruck-teilzeit-nachfrage-steigt-weiter-babyboomer-reisen-gefahrliche-pers/2135845




1,3 Mio. Erwerbstätige mehr – Wenn ältere Beschäftigte länger arbeiten


Der Personalmangel in Deutschland ist akut und wird sich in den nächsten Jahren durch die Renteneintritte der Babyboomer noch verschlimmern. Eine Studie des DIW im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung zeigt nun, wie das Erwerbspotenzial der 55- bis 70-Jährigen nach schwedischem Vorbild erhöht werden und auf bis zu 1,3 Mio. Vollzeitstellen in 2035 wachsen könnte. Damit könnte laut den Berechnungen der demografisch bedingte Rückgang der Erwerbstätigkeit in dieser Altersgruppe fast egalisiert werden. Dazu müsste sich auf drei große Gruppen fokussiert werden. 

So arbeiteten unter den Älteren rund 3,6 Mio. Beschäftigte in Teilzeit. Der Großteil von ihnen (45,4%) möchte in Teilzeit arbeiten oder nennt unspezifische Beweggründe für die Teilzeitarbeit (23,1%). Hinzu kommen allerdings 27,6% der Altersgruppe, die konkrete Gründe gegen eine Vollzeitbeschäftigung nannten.
Als Hauptgründe für Teilzeitarbeit wurden demnach gesundheitliche Einschränkungen, Pflegeverpflichtungen und fehlende passende Vollzeitstellen genannt. Ein erheblicher Teil der älteren Teilzeitkräfte könnte bei besserer Gesundheitsversorgung, altersgerechten Arbeitsplätzen und Unterstützung bei Pflegeverpflichtungen zu einer Vollzeittätigkeit wechseln. Dies würde das Arbeitskräfteangebot um rund 450.000 Vollzeitäquivalente erhöhen.

6,1 Millionen Menschen erhalten eine Alters- oder Erwerbsminderungsrente. Viele jüngere Personen in dieser Altersgruppe haben gesundheitliche Probleme. So sind beispielsweise 41% der 60-Jährigen zeitweise oder dauerhaft erwerbsgemindert und daher nicht aktiv auf dem Arbeitsmarkt. Im Gegensatz dazu geben ¾ der Altersrentner*innen ab 65 Jahren an, gesundheitlich nicht eingeschränkt zu sein. Für diese Gruppe könnten finanzielle Anreize und gezielte Arbeitsangebote geeignete Maßnahmen sein, um die Erwerbsanreize zu steigern. Daraus könnten bis 2035 zusätzlich 340.000 Vollzeitäquivalente entstehen.

Auch gibt es eine Gruppe von 1,6 Millionen Personen, die weder erwerbstätig sind noch eine Rente beziehen. Von Ihnen geben etwa 30% gesundheitliche Gründe, 11,5% den Wunsch nach Ruhestand und ein ähnlicher Anteil private Verpflichtungen als Gründe für ihre Nicht-Erwerbstätigkeit an. Nur 3% suchen aktiv nach einer Arbeit.

Ein weiterer relevanter Faktor ist der Ruhestand des Partners: Rund 35% geben diesen als Grund für die eigene Nicht-Erwerbstätigkeit an. Mit gezielten Maßnahmen könnten auch diese Personen wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden.Eine Erhöhung der Erwerbsquote dieser Gruppe hätte positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und könnte bis 2035 zu einem Zuwachs von 570.000 Vollzeitäquivalenten führen.

Bertelsmann Stiftung und DIW, Beschäftigungspotenziale Älterer – Umfang und Realisierungschancen bis 2035, September 2024
https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2024/september/mehr-als-1-komma-3-millionen-zusaetzliche-arbeitskraefte-wie-aeltere-laenger-erwerbstaetig-bleiben


 

 

 


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