Donnerstag, 3. Mai 2018

Podcast (Folge 3): Alles ist möglich vs. Geht gar nicht – Über die (Un-)Möglichkeit der Vereinbarkeit



Morgens entspannt die Kinder zur Schule gefahren, pünktlich im Büro angekommen, die E-Mails vor dem ersten Termin gecheckt und nachmittags auf dem Rückweg noch den Wocheneinkauf für die pflegebedürftige Mutter besorgt. Klappt doch prima, alles kinderleicht. An diesem Bild der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben gibt es berechtigten Zweifel. Unter dem Stichwort "Vereinbarkeitslüge" diskutieren Expert*innen, Eltern und Pflegende, ob Vereinbarkeit überhaupt funktionieren kann oder eine Sache der Unmöglichkeit ist. Patrick Frede und Steffen Kühn nähern sich im Podcast dieser Frage aus der Sicht als Berater der berufundfamilie und als Familienväter an. 

In Folge drei der Podcast-Serie „HR Experten im Vereinbarkeits-Talk“ spricht Johanna Pöhland mit Patrick Frede und Steffen Kühn, Auditoren der berufundfamilie Service GmbH, über die Frage, ob und wie Vereinbarkeit möglich ist. Nachfolgend lesen Sie eine Zusammenfassung des Gesprächs:

In der öffentlichen Diskussion ist Vereinbarkeit für die einen etwas ganz Leichtes, fast Schillerndes. Auf Bildern sehen wir die Mutter, die beschwingt mit einem Lächeln im Gesicht und der Laptop-Tasche über der Schulter den Kinderwagen schiebt. Für die anderen ist Vereinbarkeit unmöglich, gar eine Lüge. Diese Seite arbeitet mit Bildern, die müde Eltern mit zerzausten Haaren zeigen. Dazwischen gibt es kaum etwas. Wenn ihr ein Bild von Vereinbarkeit zeichnen solltet, wie sähe das dann aus?

Steffen Kühn: Die Realität liegt wohl zwischen den beiden Bildern, die sich als Pole gegenüber liegen. Ich sehe einen Jongleur, der einen Teller auf einem Stab kreisen lässt. Mit seinen anderen Körperteilen muss er zeitweise noch andere Aufgaben erledigen und gleichzeitig darauf achten, dass ihm der Teller nicht runterfällt. Hinzu kommt die Herausforderung, alle um ihn herum – die Familie und seine Kollegen auf der Arbeit – mitzunehmen.
Für den Jongleur ist es eine große Herausforderung alle Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten, aber nicht unlösbar.
Auch weil nicht permanent alle Bälle in der Luft sind und Pausen möglich sind. Ein Jongleur steht ja nicht die ganze Zeit und jeden Tag auf der Bühne.

Patrick Frede: Vereinbarkeit entspricht auch nicht dem Bild der Waage, wie es viele im Kopf haben. Vereinbarkeit ist für mich ein bisschen wie Fahrradfahren. Das heißt, ich kann das Gleichgewicht nur halten, wenn ich in Bewegung bleibe. Ich muss Gegenwind abwehren können und manchmal geht es bergauf oder bergab. Mein Bild von Vereinbarkeit entspricht eher einer Collage, in der sich auch die beiden extremen Bilder der Leichtigkeit und der zerzausten Haare wiederfinden. Es gibt die beschwingten Tage, an denen alles glatt läuft und es gibt eben auch die Tage, wo es schwierig und anstrengend ist. Was mich stört ist, dass Vereinbarkeit oft schwarz weiß gemalt wird. Dabei ist sie ganz anders, nämlich sehr bunt und vielfältig.
Ich glaube, um einen Gesamtbild von Vereinbarkeit zeichnen zu können, sollte man nicht nur einen Tag betrachtet, sondern man muss Vereinbarkeit als Prozess sehen.
Steffen Kühn: Genau. Es gibt zwei Komponenten in der Diskussion um Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die separat betrachtet werden müssen. Die kurzfristige Perspektive, die sich um die Frage dreht, wie gestalte ich meinen Tagesablauf – mit all den beruflichen Anforderungen, der Schule, dem Kindergarten usw. Hier geht – im Prinzip – es um eine Managementaufgabe. Und dann gibt es die langfristige Perspektive und die Frage, wie will ich mein Leben gestalten. Diese Frage beantworten wir weniger allein, sondern gemeinsam mit der Partnerin bzw. dem Partner.


In drei Worten – Wie würdet ihr Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben beschreiben?

Patrick Frede: Für mich ist Vereinbarkeit bunt, analog und lebendig.

Steffen Kühn: Vereinbarkeit ist jeden Tag da, findet zwischen den Generationen statt und bedarf auch Verzicht – und dies sollte man als Teil des Gewinns betrachten.


Die Journalisten Marc Brost und Heinrich Wefing haben 2015 ihr Buch mit dem Titel „Geht alles gar nicht“ veröffentlicht. Aus der Sicht als Väter schildern sie, warum es nicht funktioniert, Kinder, Partnerschaft und Karriere unter einen Hut zu bringen. Sie prägen in dem Zusammenhang den Begriff „Vereinbarkeitslüge“. Wie steht ihr zu diesem Begriff?

Patrick Frede: Nun ja, ich berate seit vielen Jahren Arbeitgeber in der Gestaltung einer Personalpolitik, die familien- und lebensphasenbewusst ist. Von daher springt bei dem Begriff bei mir direkt etwas an. Von einer Vereinbarkeitslüge zu sprechen, finde ich nicht richtig. Marc Brost und Heinrich Wefing kritisieren auch das gesellschaftliche Bild, das vermittelt, es ginge ganz leicht, Beruf, Familie und Privatleben zu vereinbaren. Und diese Kritik kann ich gut mittragen. Der Titel des Buches „Geht alles gar nicht“ betont für mich jedoch die falsche Komponente. Würde es heißen „Alles geht gar nicht“ würde ich den Autoren Recht geben. Das knüpft auch an das an, was Steffen eben als Verzicht beschrieben hat. Werden Beruf und Familie gegenüber gestellt, ist die Erkenntnis:
Man kann nicht alles zu gleicher Zeit, in gleich hoher Qualität haben.
Steffen Kühn: Die Frage ist für mich: Welcher Wunsch steht hinter dem Begriff Vereinbarkeitslüge? Sehnen wir uns nach unendlichem Wohlstand? Oder unendlicher Zeit für Familie oder Zeit für uns selbst? Wer eine Familie gründet, muss sich klar sein, dass es nicht möglich ist alle Komponenten zu 100 oder gar 120 % zu genießen.
Es geht darum, Prioritäten zu setzen. Und die wechseln im Laufe eines Lebens. In manchen Phasen hat die Familie erste Priorität, in anderen der Job und in wieder anderen die eigene Freizeitgestaltung.
Ich glaube, der Anspruch, den die Autoren in ihrem Buch formulieren, unendlich Zeit für die Familie zu haben, ist der Knackpunkt, an dem Vereinbarkeit zur Unmöglichkeit wird.

Patrick Frede: Für mich ist die Frage nicht, ob Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben funktioniert, sondern wie sie gelingen kann. Und die Vorstellungen der Menschen mit familiären und beruflichen Anforderungen sind sehr individuell. Das macht es sehr herausfordernd für Unternehmen.


Welche Rolle übernehmen denn Arbeitgeber?

Patrick Frede: Letztens hat mir ein Mitarbeiter gesagt, wie wichtig es sei, dass Führungskräfte offen zuhören, worum es ihm als Beschäftigten geht, was ihn beschäftigt. Unternehmen sollten sich ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern also zuwenden und ihre Themen und persönlichen Belange ernst nehmen.

Steffen Kühn: In einem Unternehmen, dass ich schon länger begleite, sagten mir zuletzt mehrere Führungskräfte, sie würden sich im Unternehmen dazu aufgerufen fühlen, mit den Beschäftigten Vereinbarkeitsthemen auf Augenhöhe zu sprechen und aktiv nach Lösungen zu suchen. Das spricht sehr für die dortige Führungs- und Unternehmenskultur. Eine positive Unternehmenskultur zu prägen, hilft den Beschäftigten sehr, wird aber meist im zweiten Schritt angegangen. Im ersten Schritt führen Unternehmen oftmals Angebote ein, die die Beschäftigten direkt unterstützen, wie flexible Arbeitszeiten oder Services für Familien. Unterstützende Angebote und eine familienbewusste, offene Unternehmenskultur sind miteinander verwoben und bedingen sich. Ob und wie Angebote genutzt werden können, hängt damit zusammen, wie die direkte Führungskraft mit dem Thema umgeht und im Team zu fairen und tragfähigen Lösungen findet.

Patrick Frede: Genau. Struktur und Kultur bedingen sich gegenseitig. Ohne die passende Kultur als Schmiermittel kann die Struktur nicht greifen und Angebote bleiben ungenutzt.


Wenn es um konkrete Angebote geht: Worauf müssen Arbeitgeber achten, um die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben zu erleichtern. Reicht es schon, wenn Mütter und Väter ab und an im Homeoffice arbeiten können?

Patrick Frede: Ja natürlich hilft es, wenn Beschäftigte von Zuhause arbeiten können. Das ist aber nur eines von vielen unterstützenden Angeboten. Den Überbau bildet die Kulturebene.  
Sowohl Unternehmen, Beschäftigte als auch Familie brauchen ein gutes Zusammenspiel aus Flexibilität und Verlässlichkeit.
Als Beschäftigter brauche ich einerseits ein hohes Maß an Verlässlichkeit, um zu wissen: Wo bewege ich mich. Und anderseits benötige ich Flexibilität, um meine Prioritäten zwischen Beruf und Familie verschieben und reagieren zu können, wenn es nötig ist. Auf den ersten Blick stehen sich Verlässlichkeit und Flexibilität als Pole gegenüber. Doch dazwischen wird der Handlungsspielraum sichtbar, den Unternehmen und Beschäftigte haben, um Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben zu erleichtern.

Steffen Kühn: Mich bewegt die Frage, wo sich die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den nächsten Jahren hinbewegen wird. Ich spüre eine große Dynamik in der Unternehmenslandschaft. Der Fachkräftemangel nimmt enorm zu und das Thema Demografie verschärft sich aktuell extrem. Viele Unternehmen haben große Sorgen, wie sie ihren Personalbedarf in Zukunft decken sollen. Hinzu kommt die gesellschaftliche Diskussion um eine zunehmende Digitalisierung. In den Punkten sehe ich noch viele offene Fragen, die das Thema Vereinbarkeit stark beeinflussen werden.

Patrick Frede: Zusätzlich stellen sich Beschäftigte immer häufiger die Frage, welche Perspektiven sie bei ihrem Arbeitgeber haben und wie ihre persönliche Entwicklung mit den beruflichen Karrierechancen im Unternehmen zusammen passen. Außerdem ist der Wertewandel zwischen den Generationen – also den Babyboomern, der Generation Y oder Generation Z – ein wichtiges Thema für Arbeitgeber. Diese genannten Entwicklungen sind für Arbeitgeber entscheidend, um tragfähige Lösungen für die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben finden zu können.




Patrick Frede ist Diplom-Soziologe, Diplom-Sozialpädagoge und Auditor für das audit berufundfamilie und das audit familiengerechte hochschule. Er ist ausgebildeter Coach der Wirtschaft, Fachkraft für Personalwesen sowie Organisationsentwickler. Die Konzeption und Durchführung von Befragungsprojekten in Organisationen stellt einen Teil seiner Arbeit dar. Er ist verheiratet und hat zwei Söhne.



Steffen Kühn ist Auditor für das audit berufundfamilie. Als Diplom-Ingenieur für Medizintechnik und Master of Business Marketing bringt er seine Erfahrungen als Führungskraft in Industrie und Vertrieb in die Beratung der Unternehmen ein. Schwerpunkte sind dabei werte- und familienbewusste Führung im Kontext unternehmerischer Verantwortung. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. 

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