Donnerstag, 20. Mai 2021

How to: Beruf und Pflege vereinbaren

Eine stetige pflegebewusste Personalpolitik braucht einen strategischen Aufbau (©pixabay.com)


In einer alternden Gesellschaft wird die Herausforderung Beruf und Pflege zu vereinbaren für viele Beschäftigte immer präsenter – und damit auch für Arbeitgeber zunehmend relevant. Mit welchen Maßnahmen sie eine pflegebewusste Personalpolitik gestalten können, zeigen die folgenden zahlreichen Beispiele von Arbeitgebern, die nach dem audit berufundfamilie bzw. audit familiengerechte hochschule zertifiziert sind. Als besonders wertvolles Tool für Beschäftigte hat sich die von uns angebotene Notfallmappe erwiesen, deren Neuauflage wir ebenfalls vorstellen. Und wer eine grundlegende Übersicht erhalten möchte, wie sich eine pflegebewusste Personalpolitik mit dem audit berufundfamilie gestalten lässt, schaut sich einfach unseren neuen Erklärfilm an.

Die im vergangenen Dezember veröffentlichte Pflegestatistik für das Jahr 2019 offenbart Alarmierendes: Um 19,9 % stieg allein der Anteil der Pflegebedürftigen, die ausschließlich durch Angehörige versorgt werden („reine“ Pflegeempfänger*innen). Es ist davon auszugehen, dass eine Vielzahl der pflegenden Angehörigen auch erwerbstätig ist und damit im Spannungsfeld agiert, Beruf und Pflege zu meistern. Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ist mittlerweile bei vielen Arbeitgebern als unabdingbarer Bestandteil einer strategisch angelegten Vereinbarkeitspolitik angekommen. Dennoch sollte diese aktuelle Statistik Arbeitgeber dazu anregen, noch mehr in eine pflegebewusste Personalpolitik zu investieren bzw. diejenigen, die sich dem Themefeld noch nicht gewidmet haben, jetzt aktiv zu werden. Geschieht dies nicht, steigt das Risiko, dass pflegende Mitarbeitende beruflich zurücktreten oder ihren Job aufgeben. Arbeitgeber laufen also Gefahr, Know-how zu verlieren – und das in Zeiten eines gravierenden Fachkräftemangels. Zumindest aber kann die Beanspruchung eine geringere Konzentration, Produktivität und/ oder Motivation mit sich bringen und zu eigener Krankheit der betroffenen Beschäftigten führen. All das sind Folgen, die sich schlussendlich auch auf den Arbeitgeber auswirken. Oftmals wollen die Arbeitgeber unterstützen, es hapert aber tatsächlich an der konkreten bzw. zielführenden Umsetzung. Vereinbarkeit von Pflege und Beruf ist hier also oftmals ein „How-to-Problem“.

Bevor wir konkrete Maßnahmen präsentieren, ist es wichtig zu verdeutlichen, was eine pflegebewusste Personalpolitik ausmacht. Ziel ist es nicht, Leistungsangebote en masse zu schaffen, sondern durch eine stetige Analyse der Bedarfe der Beschäftigten und der betriebsindividuellen Rahmenbedingungen ein tatsächlich sinnvolles, benötigtes und tragfähiges Maßnahmenangebot zu schaffen und weiterzuentwickeln. Eine Systematisierung dafür, in welchen Bereichen Maßnahmen anzusiedeln sind, geben personalpolitische Handlungsfelder. Im audit berufundfamilie stehen die acht wichtigsten im Zentrum: Arbeitszeit, Arbeitsorganisation, Arbeitsort, Information und Kommunikation, Führung, Personalentwicklung, finanzielle Zusatzleistungen sowie Serviceleistungen.

Anhand dieser Handlungsfelder zeigen wir nun, was zertifizierte Arbeitgeber geschaffen haben, um pflegende Beschäftigte zu unterstützen.

Arbeitszeit

Pflegende Beschäftigte benötigen oftmals gerade in Bezug auf die Arbeitszeit flexible Lösungen. Behördengänge, Arztbesuche, all das kann oftmals nicht außerhalb der Arbeitszeit erledigt werden. Hilfreich sind im Zuge einer pflegebewussten Personalpolitik daher flexible Arbeitszeitregelungen. So bieten einige Arbeitgeber die Möglichkeit zur Freistellung an oder gewähren unbürokratisch Sonderurlaubstage bei einem eintretenden Pflegefall. Um passgenaue Lösungen für pflegende Beschäftigte zu schaffen, bietet ein Betrieb individuelle einzelvertragliche Regelungen zu Unterstützung bei Vereinbarkeitsthemen. Bei einem anderen Arbeitgeber sind Einzelfallentscheidungen bei Freistellung zur Pflege von Angehörigen ein genutztes Mittel. Einige Organisationen regeln Freistellungsmöglichkeiten für Mitarbeitende mit Betreuungsaufgaben über Dienstvereinbarungen. Es gibt auch individuelle anpassbare Modelle zur Wahrnehmung der Angehörigenpflegezeit, die über die gesetzlichen Regelungen hinausgehen.

Dort, wo im Schichtbetrieb gearbeitet wird, ergeben sich weitere Herausforderungen, um Betriebsabläufe trotz Vereinbarkeitsbelangen aufrechterhalten zu können. Zertifizierte Arbeitgeber bieten hier teilweise besondere Schichtmodelle, die familienfreundlich anfangen und enden und speziell auf die Beschäftigten angepasst sind. Ein Einzelhändler gewährt seinen Mitarbeitenden mit Pflegeaufgaben einmalig eine bezahlte zweistündige Freistellung von der Arbeit, in der Behördengänge oder Anträge rund um das Thema Pflege bearbeitet werden können. Auch Pflegebonustage, die Beschäftigte zur Pflege von Angehörigen pro Quartal nutzen können, machen Arbeitgeber im Rahmen der Zertifizierung möglich.

Es zeigt sich also: Bereits durch eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung können pflegende Beschäftigte spürbar entlastet werden.

Arbeitsorganisation

Im Handlungsfeld Arbeitsorganisation ist die Gestaltung organisatorischer Regelungen und Instrumente wie Vertretungsregelungen oder Gesundheitsmanagement im Fokus. Auch in diesem Bereich können Arbeitgeber pflegebewusst agieren.

Zertifizierte Hochschulen gewähren z.B. Studierenden mit Familienpflichten (also auch pflegenden Studierenden) Vorrang bei der Anmeldung zu Lehrveranstaltungen, auch bei teilnahmebeschränkten Lehrveranstaltungen. Für pflegende Studierende ist es oftmals eine Herausforderung Prüfungen und Pflegeverantwortung zu stemmen. Hier helfen z.B. Nachteilsausgleiche dabei, die erforderlichen Prüfungsleistungen zu erbringen. Eine Hochschule verfügt sogar über eine Teilzeitordnung, mit der alle Studiengänge unkompliziert in Teilzeit studiert werden können. Es kann zudem ganz einfach wieder ins Vollzeitstudium gewechselt werden.

Zertifizierte Organisationen bieten im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements auch Gesundheits- und Pflegewochen mit diversen Veranstaltungen, Vorträgen und Infoständen an, die in der Arbeitszeit stattfinden. Hier werden auch Themen abgefragt, die die Beschäftigten rund um das Thema bewegen, die dann in die nächste Veranstaltungsreihe aufgenommen werden. Gesundheitskurse für pflegende Angehörige in Bezug auf körperliche und mentale Fitness nutzen auch einige Arbeitgeber, um ihre Beschäftigten pflegebewusst zu unterstützen.

Arbeitsort

Die flexible Gestaltung des Arbeitsortes unter Beachtung der Organisationsbelange ist ein wichtiges Instrument zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege. Durch alternierende Telearbeit können zum Beispiel die zu pflegenden Angehörigen im heimischen Umfeld betreut werden und dennoch ein Teil der Arbeit geleistet werden. Manche Arbeitgeber manifestieren diese Möglichkeit zur Telearbeit auch in Dienstvereinbarungen, um so einen verlässlichen Rahmen für die Beschäftigten zu schaffen.

Information und Kommunikation

Gerade bei der Gestaltung einer pflegebewussten Personalpolitik ist die Kommunikation von Angeboten und die Bereitstellung von Infomaterialien für betroffene Beschäftigte von großer Bedeutung. So stellen zertifizierte Organisationen Info-Portale oder Flyer zum Thema Pflege zur Verfügung, durch die sich die Beschäftigten über Angebote des Arbeitgebers informieren können, aber auch allgemeine Infos zum Thema Pflege abrufen können. Es ist sinnvoll, in solchen Flyern bereits feste Ansprechpersonen zu benennen, sodass die Mitarbeitenden direkt wissen, wer ihnen bei welchem Anliegen helfen kann.

Eine weitere Möglichkeit zur Kommunikation stellen Mitarbeitendenzeitungen mit regelmäßigen Berichten und Informationen zu Themen Vereinbarkeit Beruf und Pflege dar.

So setzen auditierte Arbeitgeber hierbei auf regelmäßige Erfahrungsberichte erfolgreicher Vereinbarkeitsbeispiele.

Unter anderem bieten Hochschulen regelmäßige Informationsveranstaltungen für Studierende und Beschäftigte zu pflegerelevanten Themen. So wurden z.B. Pflege-Sprechstunden etabliert oder Infoveranstaltungen zu den Themen Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht durchgeführt. In diesen lässt sich sehr gut der Bedarf hinsichtlich pflegebewusster Lösungen eruieren – genauso wie durch Mitarbeitendenbefragungen, die sich speziell der Pflegethematik widmen.

Manche Zertifikatsträger denken gleich integrativ und richten Seniorenweihnachtsfeiern aus, bei denen Beschäftigte ihre älteren Angehörigen mitbringen können.

Führung

Die Akzeptanz und Nutzung von Angeboten zur Vereinbarkeit von Beruf und Pflege hängen im Wesentlichen auch davon ab, inwieweit Führungskräfte diesen Belangen Raum geben oder Angebote des Arbeitgebers selbst nutzen. Einige Arbeitgeber setzen daher auf Veranstaltungen, die Führungskräfte hinsichtlich des Themas Pflege durch Beschäftigte und im lebensphasenorientierten Führen sensibilisieren. Organisationen bieten vielfach zudem die Beratung von Führungskräften im kommunikativen Umgang mit Mitarbeitern bei herausfordernden Situationen an. So erhalten die Führungskräfte nützliche Tipps im Hinblick auf Rückzugstendenzen oder Verhaltensänderungen bei den Beschäftigten, die ein Alarmsignal für eine hohe Belastung des Beschäftigten sein können.

Personalentwicklung

Pflegende Beschäftigte können auch nur für eine bestimmte Zeit im Beruf kürzertreten, indem sie Pflegezeiten in Anspruch nehmen. Gerade hier ist es wichtig, mit den Mitarbeitenden im Kontakt zu bleiben, um sie an den Arbeitgeber zu binden. Dazu initiieren zertifizierte Arbeitgeber häufig Kontakthalteprogramme. Sie ermöglichen den Beschäftigten in Pflegezeit, relevante Informationen vorab zu erhalten und regelmäßigen Inputzu Fortbildungen, Interna oder Einladungen zu Firmenfeiern zu bekommen. Sogar umfangreiche Fortbildungsangebote im Themenfeld „Familie, Pflege und Beruf“ werden umgesetzt. So können sich Beschäftigte in den Themen „Wenn Eltern älter werden“, Teilzeitführung oder auch Work-Life Balance weiterbilden lassen.

Finanzielle Zusatzleistungen und Serviceleistungen

Durch finanzielle Zusatzleistungen oder Serviceleistungen können pflegende Angehörige oftmals noch zielgerichteter und nachhaltiger in ihren persönlichen Vereinbarkeitsbelangen unterstützt werden. Zahlreiche auditierte Arbeitgeber setzen für eine professionellere Beratung ihrer pflegenden Beschäftigten daher auf Kooperationen mit spezialisierten Pflegedienstleistern. So können Beschäftigte Angebote wie eine Notfallbetreuung und Seniorenassistenzen in Anspruch nehmen oder sich generell zum Thema Pflege beraten lassen.

Einige zertifizierte Organisationen setzen hierbei aber auch auf interne Mitarbeitende, die zu Pflegelotsen/ Pfleguides qualifiziert werden. Diese beraten andere Beschäftigte gezielt über Unterstützungsmöglichkeiten und können ihnen Pflegedienstleistungen vermitteln. Einige Arbeitgeber bieten eine komplette Sozialberatung an, an die sich alle Beschäftigten mit familiären, gesundheitlichen, finanziellen und arbeitsplatzbezogenen Problemen wenden können.

Im Rahmen des audit berufundfamilie bzw. audit familiengerechte hochschule wurden häufig auch dauerhafte Gesprächs- und Beratungshotlines für Beschäftigten ins Leben gerufen, bei der sich zum Thema Pflege informiert werden kann.

Es zeigt sich: Arbeitgeber, die eine pflegebewusste Personalpolitik strategisch umsetzen, können das klassische „How-to-Problem“ bei der Vereinbarkeit von Beruf und Pflege lösen, indem sie auf einen breit aufgestellten Maßnahmenkatalog – von niederschwelligen Angeboten bis komplexen Leistungsangeboten – setzen.


Neu: Unser Erklärfilm zur pflegebewussten Personalpoltik

 

Dies waren nur einige Maßnahmen, bei deren Etablierung das audit als strategisches Managementinstrument den Organisationen dabei hilft, eine pflegebewusste Personalpolitik auf- und auszubauen. Mehr Infos zur Notwendigkeit und den Chancen einer pflegebewussten Personalpolitik bietet unser neuer Erklärfilm. Er skizziert in 1 Min 41 Sek auf eingängige Weise, welche Folgen eine fehlende Vereinbarkeit von Beruf und Pflege haben kann und wie das audit berufundfamilie – als strategisches Managementinstrument – bei der systematischen Gestaltung einer pflegebewussten Personalpolitik unterstützt
.

Hier geht’s zum Erklärfilm


Die Neuauflage unserer Notfallmappe ist da!



Mit unserer Notfallmappe „Ich bin vorbereitet“ bieten wir Beschäftigten seit langem eine kostenlose konkrete Hilfestellung, um Angehörigen schnell einen umfassenden Überblick über ihre wichtigsten persönlichen Dokumente zu verschaffen: In ihr können alle relevanten Informationen eingetragen werden (Vorsorgevollmachten, Versicherungen, Notfallkontakte etc.).

Dieses Tool, das Arbeitgeber im Rahmen ihrer pflegebewussten  Personalpolitik unterstützend einsetzen können, wurde nun neu von uns aufgelegt (Mai 2021). Die brandaktuelle 80-seitige Fassung erscheint nicht nur optisch im neuen Gewand und nutzt eine geschlechtergerechte Sprache. Sie hat – auch dank der Anregungen von Arbeitgebern, die nach dem audit berufundfamilie bzw. audit familiengerechte hochschule zertifiziert sind – inhaltlich Neues zu bieten:

  • Die Digitalisierung macht auch vor unserem Privatleben nicht Halt. Wir besitzen und nutzen eine Vielzahl an digitalen Geräten, Konten und Profilen. Was passiert mit unseren Daten und Profilen im Fall der Fälle? Die Notfallmappe ist um den Punkt „Digitale Welt“ erweitert, so dass jetzt auch Informationen z.B. zum digitalen Nachlass ergänzt werden können.
  • Aktuelles zu den gesetzlichen Regelungen ist aufgeführt. Auch auf Überlegungen, die sinnvollerweise schon im Vorfeld einer Pflegebedürftigkeit angestellt werden sollten, wird hingewiesen.
  • Welche Fahrzeuge wurden bislang genutzt und/ oder für welche öffentlichen Verkehrsmittel liegen Abos vor? Der immer breiter gefächerten Mobilität tragen wir Rechnung, indem Infos für alle Verkehrsmittel eingetragen werden können.

Wie bisher sind auch in der Neuauflage aktuelle weiterführende Links zu finden, beispielsweise zu den Themen Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung, Pflegebedürftigkeit und Trauerfall.

Die Notfallmappe ist als PDF-Dokument abrufbar, das online ausgefüllt oder in ausgedruckter Form auch handschriftlich ausgefüllt werden kann.

Arbeitgeber, die aktuell nach dem auditberufundfamilie/ audit familiengerechte hochschule zertifiziert sind, erhalten auf schriftliche Anfrage bei uns eine Version, die durch das Aufbringen des Logos der Organisation individualisiert wird. Anfragen sind – unter Zusendung des Logos (idealerweise in einer druckbaren Auflösung) per E-Mail zu senden an: kundenbetreuung@berufundfamilie.de.

Nicht-audierte Organisationen und auch Privatpersonen können die Notfallmappe über das Formular auf unserer Website abrufen.

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