Montag, 10. Mai 2021

Podcast (Folge 14): „Es geht um ganz selbstverständliche Akzeptanz und Gleichstellung“ – Matthias Weber, Vorstandsvorsitzender des Völklinger Kreises

Fühlen sich LGBT+-Mitarbeitende als Zielgruppe von betrieblichen Vereinbarkeitsangeboten wahrgenommen? Welche Rolle sollten und können Führungskräfte in Sachen „Gleichstellung und Vereinbarkeit“ spielen? Wir sprachen darüber im Podcast mit Matthias Weber, Vorstandsvorsitzender des Völklinger Kreises. Eine Zusammenfassung gibt es hier.

Wenn es um Vereinbarkeitsfragen geht, spricht kaum jemand explizit von den Bedarfen lesbischer, schwuler, bisexueller, transgender oder queerer Beschäftigter. Dabei definieren sich laut Studie von Dalia Research aus dem Jahre 2016 7,4 % der Deutschen als LGBT-zugehörig. In Europa ist dies sogar der größte Anteil.

Höchste Zeit also, die Zielgruppenerweiterung in Richtung LGBT+ zu thematisieren – und zwar mit Matthias Weber, der in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender des Völklinger Kreises mit uns sprach. Der Völklinger Kreis feiert am 14. September 2021 sein 30-jähriges Bestehen. In dieser Zeit hat er sich immer den aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen gestellt und u.a. an Fortschritten zur Ehe für alle mitgearbeitet. Der Völklinger Kreis ist dabei stets für Themen im Schwerpunkt Akzeptanz für alle Gruppen unterwegs und hat sich auch sehr stark dem Diversity-Management verschrieben. Im Grunde ist der Völklinger Kreis der Verband für männliche LGBT+-Führungskräfte und -Selbständige. Er ist offen für homo-, trans-, bi- und intersexuelle Mitglieder.

Ob sich diese in der aktuellen Vereinbarkeitspolitik von Arbeitgebern wiederfinden, war unsere erste Frage an Matthias Weber. Er verwies darauf, dass die Anforderung so vielfältig sein müsste, wie die Vereinbarkeitspolitik von Arbeitgebenden auch umgesetzt wird. Und das kann von Arbeitgeber zu Arbeitgeber sehr unterschiedlich sein. Insofern kann Gleichstellung hervorragend – auch im Rahmen der jeweiligen Vereinbarkeitspolitik – gelingen, aber auch zu starker Ausgrenzung führen, wenn sie nicht oder falsch angegangen wird.

Somit gibt es sehr viele positive, allerdings auch negative Beispiele, wenn es um das Erkennen und die Anerkennung von Vereinbarkeitsbedarfen von LGBT-Mitarbeitenden geht. Matthias Weber nannte exemplarisch die Erfahrungen einer männlichen Führungskraft, die aus einer früheren heterosexuellen Beziehung Kinder hat. Er pflegt ein gutes Verhältnis zu seinen jetzt schulpflichtigen Kindern hat, die häufig auch bei ihm sind. Entsprechend entstehen bei ihm die ganz normalen Herausforderungen – wie für jeden Vater. Beim Arbeitgeber, wo man ihn nur als schwulen Kollegen kannte, hat das allerdings für große Irritationen gesorgt. Denn dort kam man nicht auf die Idee, dass er leibliche Kinder haben könnte. Und immer dann, wenn es um Urlaubsplanung ging, wurden die Kolleginnen und Kollegen, deren Elternrolle bekannt war, zuerst gefragt. Bis er sich genötigt sah zu sagen: „Das ist bei mir genauso.“

Matthias Weber betonte, dass derartige Erfahrungen bzw. Erlebnisse nicht wirklich ein Thema der Vereinbarkeitspolitik oder der -möglichkeiten sind, sondern von Kultur im Unternehmen. Entscheidend sei die Frage: Was ist mir bewusst und verhalte ich mich inklusiv allen Beschäftigtengruppen gegenüber?

Benachteiligung findet oft unbewusst statt


Festzuhalten sei auch: Die Lebenskreisläufe von LGBT-Mitarbeitenden und von Beschäftigten in klassischen heteronormativen Familienkonstellationen unterscheiden sich nicht grundsätzlich. Die Frage, ob sie Kinder haben, stellt sich für jede*n Beschäftigte*n, egal ob sie*er jetzt heterosexuell, bi- oder homosexuell ist. Entsprechend sind auch die Vereinbarkeitsanforderungen genauso vorhanden wie in heterosexuellen Beziehungen.

Kritisch hinterfragen müssen sich Arbeitgeber, ob sie sensibilisiert genug sind – im Personalbereich und in der gesamten Führung – und darauf achten, es den Mitarbeitenden leicht zu machen, diese Themen und Bedürfnisse je nach Farbe im Lebenskreis auch anzusprechen. Das sei leider nicht immer der Fall und dann auch der Punkt, wo Benachteiligung stattfinden kann, stellte Matthias Weber fest. Die Benachteiligung entstehe aber oft ganz unbewusst, weil man nicht darüber nachgedacht hat. Hier können Unternehmen aber viel tun, indem man sich dessen bewusst wird und an Ansprache sowie an Offenheit auch proaktiv arbeitet. „Dann kann man den eigenen Mitarbeitenden, egal aus welcher Gruppierung sie kommen, enorm entgegenkommen“, motiviert Matthias Weber die Arbeitgeber.

„Das Spezielle ist das neue Normal“


Auf die Frage, ob es nicht doch spezifische Vereinbarkeitsangebote für LGBT-Mitarbeitende brauche, antwortete Matthias Weber: „Es geht um totale Gleichstellung und Akzeptanz – und zwar auch ganz selbstverständliche Akzeptanz. Und wenn man darüber spricht, bedarf es nicht etwas ganz Speziellem. Das Spezielle ist hier eher das neue Normal. Es braucht aber vermutlich noch einen Schritt und vielleicht auch eine Generation, um über Gruppen der Diversität hinweg nur den Menschen zu sehen, Lebenskreisläufe zu sehen; sicherlich auch eine Performance, wenn es um Entwicklungsstufen für die Organisation geht, aber eher als das, was die Person mit sich bringt oder wie sie geprägt ist.“

Es kommen hier laut Matthias Weber drei Dinge zusammen: Gerade bei den LGBT+ ist von außen die sexuelle Orientierung und Identität nicht wahrnehmbar. Insofern entsteht bei den Menschen selbst die Wahl, sich zu öffnen und selbstverständlich mit sich umzugehen oder vorzuziehen, sich zunächst zu verstecken und erst einmal zu sehen, wie man in der Organisation angenommen wird. Studien zeigen, dass hohe Anteile – über 50 % – der Führungskräfte es vorziehen, sich am Arbeitsplatz nicht zu outen. Das spricht für eine hohe Unsicherheit, die Arbeitgeber aber nehmen können. Es bleibt, dass jede Führungskraft selbst entscheiden muss, ob sie die eigene Orientierung zum Thema macht. Ein Beispiel ist das Bewerbungsgespräch. Wie nimmt eine männliche Person z.B. Stellung zu der Frage „Was arbeitet denn ihre Frau?“? Wenn einem Bewerber nicht klar ist, ob man sich in dem Unternehmen outen kann, steuert man diesen mit so einer Frage in die Richtung sich zu verstecken. Das wäre ein sehr schlechter Start, betonte Matthias Weber.

Er empfiehlt, sehr genau darauf zu achten, was man wie fragt – auch bezüglich Familienkonstellation und Punkten, aus der die sexuelle Orientierung hervorgehen könnte. Falls es von so großem Interesse ist, könnte die Frage offener formuliert werden, etwa: „Darf ich Sie fragen, wie Sie privat leben? Wir stehen für viele Lebensmodelle und sind für alle offen.“ Noch offener wäre: „Was mögen Sie von sich erzählen? Wir würden Sie als Mensch gerne kennenlernen.“ Mit dieser Formulierung können Führungskräfte bzw. Personalverantwortliche – ohne gegen Datenschutzregelungen zu verstoßen – sehr menschlich und sehr interessiert wirken.

„Man kann es niemanden vorschreiben, ob man sich outen sollte oder nicht“


Auch Führungskräfte müssen für sich selbst entscheiden können, so Matthias Weber, ob sie die eigene sexuelle Orientierung thematisieren. „Ich persönlich glaube, es wäre wunderbar, wenn es möglich ist, dass jede homosexuelle, lesbische oder bisexuelle Führungskraft das auch tun kann.“ Aber das kann Folgen haben – richtig Gute, bei denen man sich überhaupt nicht mehr verstecken muss und dadurch eine größere Bindung an das Unternehmen, mehr Motivation sowie ein Energiegewinn stattfindet. Das sind Erfolgsgeschichten, die dann auch beispielhaft sind. Aber es gibt leider auch sehr kritische Erlebnisse, bis hin zu Diskriminierungssituationen, die nach Outings entstehen.

Ein gutes Rezept, dass der Völklinger Kreis insbesondere seine Nachwuchsführungskräften empfiehlt, ist sich das Unternehmen gut anzuschauen. So könne man laut Matthias Weber, Dinge immer auch schon erkennen, wenn man frisch in ein Unternehmen kommt. Man sollte sich dabei fragen: Gibt es bereits sichtbare Rollenmodelle, die offen im Unternehmen agieren? Und wie wird mit ihnen umgegangen? Wie genau wurde ich bei der Bewerbung im Unternehmen willkommen geheißen? Gibt es Mitarbeitendennetzwerke für LGBTs? Hat das Unternehmen eine eigene Policy, in der zu den Themen Diversity und Inclusion etwas formuliert ist? Und gibt es jemanden – Rolemodels –, mit dem man sich auch austauschen kann?

Apropos Rolemodels: Für Führungskräfte ist es immer wichtig, beispielhaft das umzusetzen für was man steht, eine Unternehmenskultur zu vertreten und sich auch zu äußern. „Es reicht nicht, nur die Haltung ins ich selbst zu haben, man muss sie auch senden, nach außen kommunizieren bei passenden Gelegenheiten. Ich muss verdeutlichen, dass es eine offene, inklusive und auch verschiedene Lebensformen akzeptierend Unternehmenskultur ist“, so Matthias Weber, für den damit LGBT-Führungskräfte eine wichtige Grundlage schaffen, LGBT-Mitarbeitende zu unterstützen.

Und auch als Sponsor für ein Thema könne man immer agieren. Wenn bekanntermaßen heterosexuelle Führungskräfte als Sponsor für LGBT-Mitarbeitende auftreten (Straight Ally), ist das ein ganz starkes Signal mit hoher Kulturprägung. Das gelte selbstverständlich auch für LGBT-Führungskräfte. „Wenn man im Unternehmen sichtbar ist und bei Ansprache bereit ist, ins Gespräch zu gehen, ist das ein ganz toller Dienst – eine gute Beratung und fast ein Mentoring“, unterstrich Matthias Weber.

Ein ideales Schlusswort formulierte Matthias Weber bei der Frage, welchen Wunsch er mit Blick auf Vereinbarkeit an Arbeitgeber habe: „Ihre Angebote und ihre Vereinbarkeitspolitik ganzheitlich für alle Beschäftigten anbieten – völlig unabhängig davon, wo sie sich in den verschiedenen Diversity-Dimensionen einordnen – welches Geschlecht sie haben, welches Alter, welche sexuelle Orientierung oder Identität, welche Religion sie haben, ist mein Wunsch an Arbeitgeber. Dass wirklich der Mensch zählt und nicht die einzelne Facette, die die Person prägt oder die sie mit sich bringt, oder auch wen sie liebt. Dann können Arbeitgeber unglaublich viel bewegen.“


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Der Podcast ist über das oben stehende Embedding hörbar und kann auch direkt hier bei Soundcloud abgerufen werden.

 


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