Donnerstag, 9. Dezember 2021

Eine Herausforderung, die sich bewältigen lässt: Kommunikations-Gap in der betrieblichen Vereinbarkeitspolitik

„Vereinbarkeit hat viele Adressen“ – nicht nur die der beschäftigten mit Kinderbetreuungs- und Pflegeaufgaben
(©pixabay.com)

Sind alle 44 Mio. Menschen, die in Deutschland einer Erwerbstätigkeit nachgehen, Eltern oder leben sie in klassischen Mutter-Vater-Kind-Familien? Nein – und dennoch haben alle von ihnen Vereinbarkeitsbedarfe. Welche Lösungen zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben bieten Arbeitgeber derzeit welchen Beschäftigten? Dazu befragten wir gemeinsam mit dem Netzwerkbüro „Erfolgsfaktor Familie“ von Mai bis Juli 2021 25 Arbeitgeber. „Vereinbarkeit hat viele Adressen“ titelte die Umfrage, die unter dem Dach des berufundfamilie Scouts erfolgte. Wir nennen im Folgenden einige der Ergebnisse, die zeigen, wie es auf der Kulturebene der Organisationen in Deutschland um die Vereinbarkeit steht, wer die vorrangigen Nutznießer*innen der aktuellen Angebote sind und an wen diese kommuniziert werden. 


Kommunikation zur Vereinbarkeitspolitik derzeit nicht durchdringend


Wer steht also in Vereinbarkeitsfragen ganz vorne in der Kommunikation? Zweidrittel (66,7 %) der befragten Organisationen geben an, dass sie in Sachen Vereinbarkeit alle Beschäftigtengruppen allgemein ansprechen. Ebenfalls Zweidrittel der Befragten sagen aber auch, dass sie das Thema Vereinbarkeit direkt an Väter kommunizieren. Die Mütter sind sogar bei 71 % gezielt in der Ansprache.

47,6 % der Arbeitgeber nennen alleinerziehende Mütter und ebenfalls 47,6 % Väter als Beschäftigtengruppe, an die sie das Thema Vereinbarkeit direkt kommunizieren. Jeweils 42,9 % adressieren Beschäftigte mit Pflegeaufgaben nach Pflegegrad und Beschäftigte in der informellen Pflege. Immerhin bei jedem dritten Arbeitgeber (33,3 %) werden Beschäftigte mit potenziellen Pflegeaufgaben direkt angesprochen.

Bei jeweils 28,6 % bezieht sich die Direktkommunikation auf Menschen mit Behinderungen und Regenbogen-Familien. Jeweils knapp jeder vierte Arbeitgeber (23,8 %) spricht zum Thema Vereinbarkeit Patchworkfamilien und ältere Beschäftigte an, die am Übergang von der Erwerbstätigkeit in den Ruhestand stehen.

Geringere Aufmerksamkeit in Form von Direktansprache erhalten folgende Beschäftigtengruppen: Beschäftigte, die sich derzeit in der Phase der Familienplanung befinden (19 %), Beschäftigte mit internationaler Geschichte (19 %), Eltern im Wechselmodell (19 %) und Singles (14,3 %).

Noch weiter abgeschlagen in der direkten Kommunikation zum Thema Vereinbarkeit sind mit jeweils unter 10 %:

  • Beschäftigte, die sich derzeit in der Planung befinden, zukünftig mehr familiäre Verantwortung zu übernehmen (9,5 %)
  • LGBT*IQ (9,5 %)
  • Beschäftigte mit Fluchthintergrund (4,8 %)
  • Beschäftigte mit Ehrenämtern (4,8 %)
  • Mitarbeitende in Fernbeziehungen (4,8 %)
  • Großeltern (4,8 %)

Angebote fokussieren auf Familienaufgaben im engeren Sinne


Die Beschäftigtengruppe, für die die meisten Arbeitgeber explizite Vereinbarkeitsangebote haben, sind Mütter (68,4 %). Gefolgt werden sie von Vätern (47,4 %).

Darin schließt sich die Gruppe der pflegenden und die der potenziell pflegenden Beschäftigten an (mit jeweils 42,1 %).

Gefragt nach den Beschäftigtengruppen, für die keine Vereinbarkeitsangebote konzipiert wurden, nennen die Arbeitgeber:
  • Beschäftigte mit Verantwortung für Haustiere (36,8 %)
  • Mitarbeitende in Fernbeziehungen (26,3 %)
  • Singles (26,3 %)
  • Beschäftigte mit Ehrenämtern (26,3 %)
  • Beschäftigte, die soziale Verantwortung für Nicht-Familienmitglieder übernehmen (z.B. Nachbar*innen, Freund*innen, …) (26,3 %)
Doch auch wenn es keine expliziten Angebote für diese Gruppen gibt – sie sind implizite Nutznießer*innen von vorhandenen Vereinbarkeitslösungen. Bedeutet: Sie nutzen Maßnahmen bzw. können diese nutzen, auch wenn diese nicht speziell für ihre Beschäftigtengruppe gestaltet wurden. Bei den Lösungen handelt es sich etwa um allgemeine Angebote, die unabhängig von der Beschäftigtengruppe nutzbar sind, wie Angebote zur Flexibilisierung der Arbeitszeit und des Arbeitsorts. Es können zudem Maßnahmen sein, die für andere Beschäftigtengruppen konzipiert wurden, jedoch in der Nutzung anderen Gruppen offenstehen. Von ihnen profitieren nach Einschätzung der Arbeitgeber vor allem alleinerziehende Väter (63,2 %) und Beschäftigte mit Pflegeaufgaben nach Pflegegrad (ebenfalls 63,2 %).

Zukünftig wichtiger denn je: Allen Beschäftigtengruppen Vereinbarkeitsangebote machen


Insgesamt 76,2 % der befragten Organisationen ist es schon jetzt wichtig bis sehr wichtig, allen Beschäftigtengruppen Vereinbarkeitsangebote zu unterbreiten. Keiner der Arbeitgeber bezeichnet dies als unwichtig.

Und die Relevanz wird nach Einschätzung der Arbeitgeber zunehmen. So meinen 90,5 % der Organisationen, dass es in 5 Jahren wichtig bis sehr wichtig sein wird, allen Beschäftigtengruppen Vereinbarkeitsangebote machen zu können. Unwichtig wird dies voraussichtlich weiterhin niemand finden.

Für sehr wichtig halten aktuell 33,3 % der Organisationen Angebote für alle Beschäftigtengruppen. Mit Blick auf die kommenden 5 Jahre halten dies 66,7 % für sehr wichtig.

Eher mittelgroße Akzeptanz der Beschäftigten für die Vereinbarkeitsbelange anderer Beschäftigtengruppen


35 % der befragten Organisationen halten die Akzeptanz ihrer Beschäftigten für die Vereinbarkeitsbelange anderer Beschäftigtengruppen für groß. 5 % halten diese für weniger groß. Bedenkenswert ist die Mehrzahl von 60%, die die Akzeptanz als mittelgroß einschätzen. Der Wert „mittelgroß“ lässt die Interpretation zu, dass es eine eingeschränkte Akzeptanz bei den Mitarbeitenden für die Vereinbarkeitsbelange anderer Beschäftigtengruppen gibt.

Um die Akzeptanz untereinander zu fördern, schafft jede vierte befragte Organisation bei ihren Beschäftigten ein Bewusstsein für die Vereinbarkeitsbelange aller Beschäftigtengruppen. 10,5 % sind hier nicht aktiv. 63,2 % geben an, nicht zu wissen, ob ein Bewusstsein geschaffen wird.

Gerade weil es ein Gefälle im Spektrum der Vereinbarkeitsangebote und auch bei der Ansprache der Beschäftigtengruppen gibt, stellt sich die Frage, ob Arbeitgeber Maßnahmen ergreifen, die dazu führen, dass sich alle Beschäftigtengruppen fair behandelt fühlen. Über die Hälfte – 55,6 % – der Arbeitgeber sagen, dass sie keine Maßnahmen haben, die das Fairnessempfinden fördern. 44,4 % der befragten Organisationen ergreifen entsprechende Maßnahmen. Beispielhaft dafür werden genannt:

  • Betriebsvereinbarung zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben, die für alle Beschäftigten gilt
  • Dienstvereinbarung zu „fairem Verhalten am Arbeitsplatz“
  • Vielfältige Arbeitszeitmodelle, die allen Beschäftigtengruppen offenstehen
  • Für alle Mitarbeitenden nutzbare Angebote zur Arbeitsortflexibilisierung wie mobiles Arbeiten und Home-Office
  • Angebot von Konfliktberatung und Sozialberatung für alle Beschäftigten
  • Beschäftigtenbefragungen zur Eruierung von Bedarfen und Wünschen
  • Austausch für Beschäftigte in Netzwerken
  • Regelmäßiger offener Austausch mit Geschäftsführung (z.B. per Online-Konferenz)

Die Präsentation zum berufundfamilie Scout ‚Vereinbarkeit hat viele Adressen‘ – Gemeinsame Befragung mit dem Netzwerkbüro „Erfolgsfaktor Familie“, Mai – Juli 2021 finden Sie hier.

Veranstaltungsreihe "Vereinbarkeit hat viele Adressen"


„Vielfalt hat viele Adressen“ ist auch der Titel der webbasierten Veranstaltungsreihe, die die berufundfamilie Service GmbH und das Netzwerkbüro „Erfolgsfaktor Familie“ im November 2021 starteten. Bis Anfang März 2022 läuft die Serie, die allen vereinbarkeits- und vielfaltsinteressierten Vertreter*innen von Unternehmen, Institutionen und Hochschulen kostenfrei offensteht. Hier die kommenden Termine (Weitere Infos und Anmeldemöglichkeit unter dem jeweiligen Link):

13.12.2021, 10.00 - 11.00 Uhr
Wer, wie, was? – Ein neuer Blick auf Beschäftigte und ihre Vereinbarkeitsbedarfe (Ergänzender Termin)

12.01.2022, 11.00 – 12.00 Uhr
Eine Frage des Wollens? – Die Schlüsselrolle der Führungskräfte für die betriebliche (Vereinbarkeits-)Kultur

02.02.2022, 14.00 – 15.00 Uhr
Sah, analysierte und handelte – Der zielführende Umgang mit Instrumenten zur Ermittlung von Vereinbarkeitsbedarfen

02.03.2022, 11.00 – 12.00 Uhr

Mehr als ‘copy and paste’ – Inspirierende Praxisbeispiele integrierender Vereinbarkeitspolitik

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen