Mittwoch, 15. Dezember 2021

"Zur Debatte, Herr Schmitz": Quo vadis Home-Office?

Arbeit von zu Hause – Wie viel davon wird sich nach Corona etablieren? (©Photo by Matúš Gocman on Unsplash)

Im Oktober 2020 und im Juli 2021 befragte das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) Betriebe, die zumindest einem Teil ihrer Beschäftigten Home-Office anbieten, inwieweit sie dieses Angebot nach der Coronapandemie beibehalten möchten.[1] Unser Geschäftsführer Oliver Schmitz bewertet in dieser Ausgabe der Blogserie „Zur Debatte, Herr Schmitz“ die äußerst interessanten Ergebnisse. Einige Tipps für Arbeitgeber im Umgang mit der neuen Normalität gibt es gleich dazu.


Zwei Drittel der Betriebe, bei denen die Arbeit von zu Hause aus grundsätzlich möglich ist, planen laut der Befragung durch das IAB den Einsatz von Home-Office nach der Pandemie auf das Niveau vor der Krise zurückfahren (67 % sowohl im Oktober 2020 als auch im Juli 2021). Herr Schmitz, was halten Sie davon? Nachvollziehbar? Alarmierend?

Das erstaunt mich, denn meine Erfahrung aus der Begleitung von Organisationen ist eine andere. Arbeitgeber wollen zwar den Umfang des Home-Office wieder zurückfahren, fast alle aber allerdings auf ein pragmatisches Niveau, das deutlich über dem vor der Krise liegt. Es ist eine Erfahrung, die sicherlich stark von den Arbeitgebern abhängig ist, mit denen man zu tun hat – bei mir sind es überwiegend Organisationen, die das audit berufundfamilie oder audit familiengerechte hochschule zur Gestaltung einer nachhaltigen Vereinbarkeitspolitik nutzen. Diese gehen im Schnitt etwas reflektierter an solche Themen ran.

Gerade auch in Anbetracht der zunehmenden Digitalisierung, wodurch sich die Möglichkeiten noch deutlich erweitern werden, würde ich es für einen gesellschaftlichen und auch gesamtwirtschaftlichen Rückschritt halten, wenn wir wieder auf die Vor-Corona-Zeit zurückfallen würden.


Etwa jede zehnte Organisation will nach der Pandemie weniger Home-Office einsetzen als vor der Coronakrise (9 % im Oktober 2020, 11 % im Juli 2021). Wie erklären Sie sich diesen Anstieg?

Der Anteil derer, die keine Lust mehr auf Home-Office haben und sich nach physischen Meetings wieder zurücksehnen, ist sicherlich hoch. Aber dass man vor Corona Home-Office schon so exzessiv genutzt haben soll, dass man auch das Niveau weiter zurückdrehen sollte, wird eine große Ausnahme sein. Dort wo ich erlebe, dass man weiter zurückdrehen möchte, sind es Arbeitgeber, die es nicht geschafft haben, zu einem guten Miteinander auf Distanz zu kommen und die sich nicht trauen, sich dem Thema „faire und ungleiche Behandlung“ zu stellen. Denn mehr Flexibilisierung heißt auch, ich muss auch schon mal unangenehme Entscheidungen treffen und Dinge für jemanden zulassen, die für jemand anderen nicht möglich sind – dem entziehe mich dann am einfachsten, wenn ich gar nichts ermögliche. Letzteres kann aber keine zukunftsweisende Lösung sein!


Der Koalitionsvertrag der künftigen Bundesregierung sieht vor, dass Mitarbeitende einen Erörterungsanspruch gegenüber dem Arbeitgeber dort haben, wo auf Tätigkeitsebene die Möglichkeit zu Home-Office gegeben ist. Wie praktikabel wird diese Vorgabe für Arbeitgeber sein? Was ist zu beachten?

Ich halte das für sehr praktikabel. Im Prinzip ist es das, was wir häufig auch durch Maßnahmen im Rahmen des audit herbeiführen: Kanäle für Beschäftigte, auf denen sie ihre Bedarfe artikulieren können und sie wissen, dass damit konstruktiv und fair umgegangen wird – auch wenn man nicht immer genau das bekommt, was man sich zunächst gewünscht hat.

Es dürfte bei manchen Arbeitgebern bzw. Führungskräften noch am konstruktiven und fairen Umgang mangeln, aber man wird sich durch diese Regelung damit auseinandersetzen und auch den Umgang lernen müssen. Dank der Vorgabe wird es nicht mehr die Möglichkeit geben, sich dem Thema generell zu entziehen. Das bedeutet aber auch, dass Führungskräfte im Umgang mit Home-Office geschult und unterstützt werden müssen, um die Gestaltungsmöglichkeiten optimal im Sinne der Leistungserbringung und des Bedarfs der Beschäftigten nutzen zu können.


Denken Sie, dass der Zwang durch die Lockdowns auch einen negativen Effekt auf die Umsetzung und die Akzeptanz von Home-Office und mobilem Arbeiten bei den Arbeitgebern hatte?

Das glaube ich eher nicht. Bei allem Übel, hat es trotzdem auch was Gutes, dass man neben den Chancen während der Lockdowns auch die unangenehmen Grenzen des Home-Office kennengelernt hat. Es ist für die Sache selbst von Vorteil, wenn man weiß, wo bzw. wann man Home-Office eher etwas einschränken sollte, weil Tätigkeiten doch nicht so gut geeignet sind oder auch wenn das soziale Miteinander anfängt Schaden zu nehmen.

Es gibt auch häufig die Einsicht, dass während der Lockdowns nur durch Home-Office manche Prozesse überhaupt noch aufrecht zu erhalten waren. Daher denke ich, dass es eher sogar einen positiven Effekt für das Home-Office gegeben hat.


Etwa jeder fünfte Betrieb will die Home-Office-Option gegenüber dem Vorkrisen-Niveau weiter ausbauen (18 % im Oktober 2020, 21 % im Juli 2021). Sind das die Arbeitgeber, die schon vor der Pandemie besser in Sachen „mobiles Arbeiten und Home-Office“ aufgestellt waren?

Zum Teil ja, weil Sie den Nutzen während der Pandemie deutlicher gespürt hatten. Aber nicht zwangsläufig, denn wir erleben gerade jetzt eine gesteigerte Nachfrage nach dem audit berufundfamilie von Arbeitgebern, die vor der Krise nicht so gut aufgestellt waren und durch die Krise schmerzlich gemerkt haben: „Mensch, da geht doch noch viel mehr … und das tut gar nicht weh!“.


Der Anteil der Arbeitgeber, die das Home-Office-Angebot gegenüber dem Vorkrisen-Niveau weiter ausbauen will, ist bei den Großbetrieben sehr viel höher als bei kleinen und mittleren Betrieben: So lag dieser Anteil bei Betrieben mit mehr als 250 Mitarbeitenden bei etwa 65 %, bei Betrieben mit 50 bis 249 Mitarbeitenden bei gut 30 % und bei Betrieben mit weniger als 50 Angestellten bei knapp 20 %. Ist das Wasser auf die Mühlen derjenigen, die meinen, dass große Organisationen einfach mehr Möglichkeiten haben, Vereinbarkeitsangebote zu realisieren – vor allem finanzielle?

Für die Einführung von Home-Office braucht es sicherlich auch Investitionen. Diese sind aber nicht so hoch, als dass sie für KMUs einschränkend wären. Bei kleineren Betrieben wird Home-Office häufig weniger formell gelebt, wodurch es zum Beispiel auch schwerer für Maßnahmen des Personalmarketings darstellbar ist. Die Belegschaft kommt häufig aus dem näheren Umfeld, damit kann ein wichtiger Grund für Home-Office im Sinne der Vereinbarkeit wegfallen: die Einsparung von Fahrzeiten. Der Unterschied sollte sich aber eigentlich nicht an der Größe der Organisation bemessen, sondern eher an der Tätigkeit der einzelnen Mitarbeitenden. Natürlich habe ich in einem produzierenden Unternehmen in der Regel weniger Möglichkeiten als z.B. bei einem Finanzdienstleister. Aber ich habe fast überall ein gewisses Maß an Möglichkeiten.

Zu wissen, dass man ins Home-Office könnte, wenn man es bräuchte, ist ein entscheidender Faktor der Arbeitgeberattraktivität – sowohl für große als auch für kleinere Arbeitgeber.


[1] In der repräsentativen Betriebsbefragung „Betriebe in der Covid-19-Krise“ werden monatlich etwa 1.500 bis 2.000 Betriebe zum Umgang mit der Corona-Krise befragt. https://www.iab-forum.de/homeoffice-in-der-corona-krise-leichter-rueckgang-auf-hohem-niveau/


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