Donnerstag, 25. Januar 2024

Verantwortung reloaded – Lebensphasenbewusste Arbeitgeber handeln verantwortungsvoller als gesetzlich gefordert

Verantwortungsvoll vereinbaren – diese Aufgabe meistern nach dem audit berufundfamilie oder audit familiengerechte hochschule
zertifizierte Organisationen (Foto: deathtothestockphoto.com)

Passend zu unserem Jahresmotto 2024 „Verantwortung reloaded: Wer, was, wieviel?“ haben wir eine Umfrage unter den Organisationen in unserem Netzwerk durchgeführt, die einige Anregungen zum aktuellen Verständnis von Verantwortung liefert. Beispielsweise sollten nach Meinung der Befragten Arbeitgeber in bestimmten Bereichen mehr Verantwortung übernehmen, als es das Gesetz fordert. Welche das sind und wie die auditierten Organisationen selbst handeln, können Sie in dem folgenden ersten von drei Ergebnisberichten zur Umfrage lesen.

Sich für die Work-Life-Balance der Mitarbeitenden und/ oder Studierenden zu engagieren, das bedeutet für Unternehmen, Institutionen und Hochschulen, Verantwortung zu übernehmen. Es ist eine soziale Verantwortung für den adäquaten Umgang der Bedarfe und nach Möglichkeit individuellen Wünsche ihrer Mitarbeitenden und ggf. Studierenden – und nicht zuletzt für die Funktions- bzw. Überlebensfähigkeit ihres Betriebs.

Was gehört und sollte alles zu dieser Verantwortung bzw. der verantwortungsvollen Vereinbarkeit gehören? Angetrieben von dieser zentralen Frage möchten wir im Jahr 2024 den Diskurs im Themenfeld Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben neu entfachen. Um das zu markieren haben wir folgendes Jahresmotto geprägt:




Worin besteht Verantwortung im Sinne der Vereinbarkeit eigentlich konkret? Inwieweit sind Organisationen gefordert, zu agieren, wenn öffentliche/ staatliche Angebote nicht im gewünschten Umfang gegeben sind? Soll bzw. muss die Verantwortung ausgebaut werden? Welche (zusätzlichen) individuellen Wünsche von Beschäftigten/ Studierenden können mit Angeboten abgedeckt werden? Was ist von Organisationen leistbar?

Erste Antworten darauf haben wir mit unserer Umfrage unter Organisationen gesucht, die aktuell das Zertifikat zum audit berufundfamilie oder audit familiengerechte hochschule tragen. 163 zertifizierte Organisationen nahmen an der Online-Befragung teil, die den gleichen Titel wie das Jahresmotto – also „Verantwortung reloaded: Wer, was wieviel?“ – trug und vom 04.12.203 bis 19.01.2024 lief.

Wir starten hier mit den ersten Informationen zu den Ergebnissen der Befragung. Diesem Bericht werden dann in den kommenden Wochen bzw. Monaten zwei weitere Artikel mit Resultaten folgen.
 

In welchen Bereichen sollte nach Meinung der Organisationen, die aktuell das Zertifikat zum audit berufundfamilie oder audit familiengerechte hochschule tragen, nach die Verantwortung des Arbeitsgebers gegenüber den
Beschäftigten über das gesetzlich geforderte Mindestmaß hinausgehen bzw. grundsätzlich ausgebaut werden? (Angabe der Top 3)


Dies Top 3-Antworten der Vertreter*innen der auditierten Organisationen lauten:
  • auf Rang 1: Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung der mentalen Gesundheit (63,6%)
  • auf Platz 2: Schutz vor Diskriminierung, Einschüchterung, Beleidigung und Mobbing (49,4%) und
  • als drittplatzierter Bereich: Ausreichende Qualifikation und Weiterbildung (41,4%).

35,2% der Befragten sprachen sich zudem dafür aus, dass Arbeitgeber sich über die gesetzlichen Anforderungen hinaus für die Erhaltung und Förderung der physischen Gesundheit einsetzen. Ein weiteres Drittel (33,3%) sieht Arbeitgeber in der Verantwortung, zusätzlich Angebote zur Unterstützung von pflegenden Beschäftigten zu schaffen. Dass sich Arbeitgeber über das regulatorische Mindestmaß hinaus für die Betreuung der Mitarbeitendenkinder engagieren sollten, meinten 27,2%. Ein gutes Viertel der Teilnehmenden sieht Organisationen mehr gefordert, angemessen auf zwischenmenschliche Konflikte zu reagieren bzw. mit diesen angemessen umzugehen.

Deutlich weniger Vertreter*innen zertifizierter Organisationen sehen Arbeitgeber in der Pflicht, weitere Schritte zu gehen, um die Arbeitssicherheit bzw. den Arbeitsschutz zu gewährleisten (8,6%) und das Arbeitszeitgesetz – also Arbeits-, Pausen- und Urlaubszeiten – einzuhalten (ebenfalls 8,6%). Am wenigsten Teilnehmende (5,6%) meinen, dass die Verantwortung des Arbeitgebers zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte bzw. das Recht auf Privatsphäre, inklusive Datenschutz, auf Seiten der Arbeitgeber ausgeweitet werden müsse.
 

Beispiele auditierter Organisationen für Bereiche, in denen sie ihre Verantwortung bereits über das gesetzlich geforderte Mindestmaß hinaus wahrnehmen.

Organisationen, die ihr vereinbarkeitsförderndes Arbeits- bzw. Studienumfeld mit Unterstützung des audit berufundfamilie oder audit familiengerechte hochschule gestalten, nehmen in allen personalpolitischen Handlungsfeldern ihre Verantwortung über das gesetzlich geforderte Mindestmaß hinaus wahr.

Die Arbeitsbedingungen sind bei auditierten Organisationen von hoher Flexibilität geprägt: Im Handlungsfeld Arbeitszeit setzen sie beispielsweise auf den Ausbau der Modelle, um allen Beteiligten einen optimalen Rahmen zu bieten. Auch familienfreundliche Besprechungszeiten sind ein Beispiel. Um die Arbeitsorganisation zu optimieren, wurden teilweise Konzepte zur Zusammenarbeit eingeführt, die gemeinschaftlich gelebt werden. Klarheit im Handlungsfeld Arbeitsort bringen bei zertifizierten Organisationen Regelungen zum mobilen Arbeiten, wie z.B. die Option, bis zu vier Tage wöchentlich im Home-Office tätig zu sein. Arbeitgeber, die das Zertifikat um audit tragen, haben sich zudem zur Aufgabe gemacht, ihre Beschäftigten zu diversen Themen aufzuklären und ihnen unterstützende Informationen an die Hand zu geben – sei es Diversity bzw. Chancengerechtigkeit, die gesundheitlichen Fragen oder dem Aspekte Vereinbarkeit von Beruf und Pflege.

Als Flaschenhals gelingender Personal- und damit auch betrieblicher Vereinbarkeitspolitik werden Führungskräfte verstanden. Entsprechend unterstützen auditierte Organisationen ihre personalverantwortlichen Mitarbeitenden mit Coachings zu den unterschiedlichsten Fragestellungen. Das Spektrum reicht von New Work bis hin zum Umgang mit Konflikten. Die zielgerichtete Begleitung der Führungskräfte ist damit auch Teil der Personalentwicklung. In der Regel liegen der Personalentwicklung der auditierten Organisationen individuelle Konzepte zugrunde, in denen die Bedarfe aller Mitarbeitenden Berücksichtigung finden. Auch finanzielle Zusatzleistungen werden - so machbar – von auditierten Arbeitgebern gewährt. Ein Beispiel ist der Zuschuss zu Kindergartengebühren. Darüber hinaus finden Mitarbeitende oder Studierende bei ihrem Arbeitgeber bzw. ihrer Hochschule Unterstützung in Form von Serviceleistungen. Dazu zählt etwa die Hilfe bei der Suche nach einer Pflegeeinrichtung, wenn ein*e Angehörige*r pflegebedürftig wird.

Besonders häufig nannten die Teilnehmenden als Beispiele für ihr Engagement, das über das gesetzlich geforderte Mindestmaß hinaus geht, Maßnahmen, die den Handlungsfeldern Arbeitsorganisation, Information und Kommunikation, Personalentwicklung sowie Serviceleistungen zuzurechnen sind. Auffällig ist, dass im Handlungsfeld Arbeitsorganisation die Erhaltung und Förderung psychischer Gesundheit im Fokus steht. Zusatzmaßnahmen der Organisationen sind hier etwa: das Angebot der psychologischen Sprechstunde 1x wöchentlich, externe 24h psychologische Notfallbetreuung, die externe betriebliche Sozialberatung (EAP), die Ausbildung von internen Vertrauenspersonen als niederschwellige Ansprechpartner*innen und auch eine interne Sozialarbeiterin zur Beratung auch bei zwischenmenschlichen Konflikten in Krisensituationen.

Im Handlungsfeld Information und Kommunikation dreht sich vieles um das Thema Diversity. Hier werden z.B. die Barrierefreiheit wird als zentraler Standard gesetzt und besonderer Wert auf das Beschwerderecht gelegt. Angeboten werden Leitlinien zu Mobbing, Diskriminierung und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz sowie – zwecks aktiver Einbindung – auch wiederkehrende Sensibilisierungsworkshops für Beschäftigte.

Was das Handlungsfeld Personalentwicklung angeht, sehen zertifizierte Organisationen ihre Verantwortung – und letztendlich auch einen enormen Mehrwert – in der Fort- und Weiterbildung ihrer Mitarbeitenden. Diese fördern sie beispielsweise über ein eigenes Curriculum für Weiterbildungsmaßnahmen, die Gewährung von jährlich mehr als fünf Arbeitstagen für Fort- und Weiterbildungen sowie verschiedene Qualifizierungsprogramme für verschiedene Zielgruppen wie etwa Nachwuchsführungskräfte und Berufseinsteiger*innen.

Kinderbetreuung bei Veranstaltungen, eine eigene Tagesmutter, Ferienbetreuung sowie betriebliche Pflegelotsen/ -guides sind nur wenige der zahlreichen Beispiele für Angebote, mit denen zertifizierte Organisationen ihre Verantwortung über das Handlungsfeld Serviceleistungen über das Mindestmaß hinaus wahrnehmen, das gesetzlich vorgegeben ist.

Mit ihrem erhöhten Engagement in diesen Handlungsfeldern und bei diesen Aspekten erfüllen die auditierten Organisationen den eigenen Anspruch an Arbeitgeber, in diesen Bereichen die Verantwortung auszweiten.
 

Bei welchen Aspekten sehen auditierte Unternehmen, Institutionen und Hochschulen per se Reformbedarf hinsichtlich der gesetzlichen Vorgaben, um ihre Verantwortung nach eigenen Wünschen auszubauen?

Hier nennen die Vertreter*innen der auditierten Organisationen gehäuft Punkte, die sich an die Themen Pflege oder Kinderbetreuung knüpfen und welche, die die Handlungsfelder Arbeitszeit und/ oder Arbeitsort angehen.

In Sachen Pflege wünschen sich die Teilnehmenden beispielsweise Regelungen bzgl. bezahlter Freistellungen, einer Pflegendenversicherung und Pflegekrankentagen mit 100-prozentigem Lohnausgleich. Bei der Kinderbetreuung ist es u.a. die Sicherstellung der Betreuungsangebote durch öffentliche Einrichtungen, die den Arbeitgebern unter den Nägeln brennt. Ein 100-prozentiger Lohnausgleich bei Kinderkrankentagen müsse den Wünschen der Befragten auch gesetzlich regelbar sein – ebenso wie eine Senkung der Anforderungen an der Personalausstattung für betriebliche Kinderbetreuungseinrichtungen.

Offensichtlich macht die Befragung zudem, dass das Arbeitszeitgesetz den Organisationen zu schaffen macht. Sie wünschen sich z.B. eine Abschaffung festgeschriebener Arbeitszeiten bzw. einen größeren Spielraum zur erhöhten Flexibilisierung der Arbeitszeit. Reformiert werden sollte auch die Datenschutzbestimmung zur Arbeitszeiterfassung. Außerdem bedürfe es u.a. einer transparenten Regelung zu Überstunden.

Was den Arbeitsort angeht, ist nach Ansicht der Zertifikatsträger ein Abbau der Hürden zur Umsetzung der Remote Work notwendig. Ein weiteres Beispiel, das gesetzlich reformiert werden müsse, ist der Arbeitsschutz im Home-Office.

Aber nicht nur für diese vier Bereiche haben die Vertreter*innen der auditierten Organisationen Anregungen für gesetzlichen Reformen. Weitere vereinzelte Nennungen für Veränderungswünsche sind: BGM-Maßnahmen als gesetzliche Vorgabe, die Regelung von

Maßnahmen bzgl. psychischer Gesundheit, die Be- bzw. Überarbeitung von Arbeitsplatzbewertungs-/ Beurteilungssystemen, Anreize für eine stärkere Gleichberechtigung zwischen Partner*innen bzgl. Care-Arbeit, Besetzung von Führungspositionen mit Frauen*, Regelungen bzgl. (Anti-) Diskriminierung von Minderheiten und die Vereinfachung der Einstellung von Nicht-EU-Bürger*innen.

Ausblick: Fragestellungen in Teilbericht 2


In unserem nächsten Artikel zum berufundfamilie-Scout „Verantwortung reloaded: Wer, was, wieviel?“ verraten wir, welchen Zusammenhang auditierte Organisationen zwischen Vereinbarkeit und sozialer Verantwortung konstatieren. Zudem zeigen wir, wem sie welche Verantwortung für einzelne Vereinbarkeitsaspekte zuschreiben.


Für alle, die die weiteren Artikel nicht abwarten können, empfehlen wir einen Blick auf unsere Website. Dort gibt es den kompletten Bericht mit den zentralen Ergebnissen des berufundfamilie-Scouts „Verantwortung reloaded: Wer, was, wieviel?“ und die dazugehörige Präsentation in Chart-Form. Hier geht es zur Website.

 

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