Zeit ist eine wichtige Währung – im Beruflichen und im Privaten (Foto: deathtothestockphoto.com) |
Hier ist die erste Ausgabe unserer diesjährigen achtteiligen Blog-Reihe „Verantwortungsvoll vereinbaren“. Jede Folge widmet sich einem personalpolitischen Handlungsfeld und den dazugehörigen Entwicklungen und Aspekten, die einen neuen Blick auf die Verantwortung von Arbeitgebern für ihre Beschäftigten und deren Work-Life-Balance notwendig machen. Dazu gibt es jeweils einige Leitfragen von uns, mit Hilfe derer sich Arbeitgeber und Beschäftigte ihren passgenauen Lösungen annähern können. Zum Start geht es um die Arbeitszeit.
Im vergangenen 25. Jubiläumsjahr des audit berufundfamilie legten wir den Schwerpunkt auf die Transformation von Organisationen. Dabei ging es vor allem darum, Faktoren ausfindig zu machen, die eine gelingende tiefgreifende und nachhaltig erfolgreiche Veränderung innerhalb der Organisation ermöglichen – und das in der Systematik einer strategischen betrieblichen Vereinbarkeitspolitik. Weil sie massiv in der öffentlichen Diskussion stand und steht, beleuchteten wir selbstverständlich auch, wie Changes bezüglich der Arbeitsbedingungen positiv auf den Betrieb einwirken. So ging auch kein Weg daran vorbei, sich mit Neuerungen auseinanderzusetzen, die die Arbeitszeit betreffen. In unserer gemeinsamen Veranstaltungsreihe mit dem Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ sprachen wir über das Für und Wider der Reduzierung und der Ausweitung der Arbeitszeit sowie über Argumente rund um eine stärkere Arbeitszeitflexibilisierung. Mit Vertreter*innen von Unternehmen und Institutionen sprachen wir über deren Erfahrungen mit neuen bzw. abgewandelten Arbeitszeitmodellen.
Jetzt geht es uns darum, aufzuzeigen, welche Verantwortung die Stakeholder übernehmen (sollten), wenn sie sich auf das eine oder andere Arbeitszeitmodell einlassen. In die Verantwortung genommen werden sollen dabei nicht nur die Arbeitgeber. Wir möchten auch ansprechen, wo Beschäftigte selbst gefordert sind, sich – ggf. stärker – verantwortlich zu zeigen. Unterstützen dabei sollen von uns formulierte Fragen. Diese können Arbeitgeber und Beschäftigte nutzen, um sich gemeinsam tragfähigen Vereinbarkeitslösungen anzunähern.
Arbeitszeitreduzierung vs. Arbeitszeitausweitung – Wie gehen Wunsch und Anforderung zusammen?
„Die 40-Stunden-Woche ist nicht mehr zeitgemäß.“ – heißt es vermehrt. Der Hintergrund: Ein Umdenken hat eingesetzt, bei dem Arbeit nicht als oberste Priorität gesehen wird, sondern eher das Ziel verfolgt wird, „Value Time“ zu verbringen – sei es mit der Familie, mit Freunden, für ein Hobby oder Ehrenamt. In unserer schnelllebigen Zeit hat Freizeit einen erhöhten Wert gewonnen – letztendlich auch, weil es darum geht, sich zu entstressen und damit die Gesundheit zu schonen. Für viele bedeutet das: Arbeitszeit verkürzen.
Der Haken: Das Arbeitsvolumen verringert sich nicht automatisch mit. Eigentlich hört man mehrheitlich Klagen, dass sich die Arbeit in den letzten Jahren stärker verdichtet hat. Und das ist einer der Knackpunkte: der Mangel an Personal, der sich jetzt schon in nahezu allen Branchen bemerkbar macht und sich zukünftig verschärfen wird. Nicht umsonst gibt es daher auch Überlegungen aus der Wirtschaft und Forschungsinstituten, sich Möglichkeiten der Mehrarbeit anzunähern, um das Volumen der Arbeit aufzufangen. Das würde auch bedeuten, Arbeitszeit auszuweiten und nicht zu reduzieren. Keine schöne Aussicht für Beschäftigte, aber eine, die kurzfristig ökonomisch tragbar wäre. Und finanziell könnte sich das auch positiv auf den Geldbeutel der Mitarbeitenden auswirken: Mehr arbeiten, mehr verdienen.
Umgekehrt müssen sich Arbeitnehmende bewusst sein, dass bei einer Verringerung des zeitlichen Arbeitsumfangs auch das Gehalt schrumpfen kann. Es gibt zwar Organisationen, die ihre Mitarbeitenden bei reduzierter Arbeitszeit das ursprüngliche Income sichern. Doch das ist kein Selbstverständnis – wohl eher ein Rechenexempel von Arbeitgebern, die so in das vorhandene Know-how ihrer Mitarbeitenden investieren, anstatt Unsummen für Recruiting auszugeben, die angesichts des übersichtlicher werdenden Erwerbstätigenpools vergeudet werden könnten.
Zeit nutzen: 4-Tage-Woche bei gleicher Gesamtarbeitszeit vs. traditionelle 5-Tage-Woche
Ein gesichertes Einkommen, mit dem sich der Alltag und auch mal ein Urlaub gut bestreiten lässt, und gleichzeitig Freiraum für Privates zu haben – diesen Effekt wünschen sich Arbeitnehmende von der 4-Tage-Woche bei üblicher Gesamtarbeitszeit (also ggf. 40 Stunden pro Woche). Dieses Modell eröffnet die Möglichkeit, einen Tag in der Woche als festen freien Tag zu etablieren. Machbar ist auch, den Tag variabel zu legen. Gerne genommen werden dafür Wochenrandtage wie der Montag oder der Freitag. So oder so bedeutet der arbeitsfreie Tag, sich und seinem Umfeld gemeinsame Zeit zu schenken – ob nun fest institutionalisiert an einem Wochentag oder nach Bedarf schiebbar.
Arbeitgebern stehen die Beschäftigten so im gleichen Umfang zur Verfügung, nur eben nicht an 5 Tagen pro Woche. Das bedarf einiger Planung, insbesondere wenn an Wochenrandtagen ein „normaler Service“ geboten werden oder die Produktion durchlaufen muss.
Nicht zu unterschätzen ist auch Arbeitnehmendensicht allerdings, dass die Tage, an denen gearbeitet wird, länger werden. So bedeutet eine Umverteilung von 40 Stunden beispielsweise, dass an den Jobtagen 10 Stunden statt 8 anfallen. Das ist nicht für jede*n etwas. Werden die bisherigen Pausenregelungen hinzugenommen, verlängert sich der Arbeitstag deutlich. Das kann nicht nur sehr anstrengend sein; es fehlt an diesen Tagen auch der Freiraum für private Erledigungen oder die Chance, das Kind selbst ins Bett zu bringen. Und noch etwas: Die Möglichkeit, eine Aufgabe von einen auf den anderen Tag zu verlagern, verringert sich. Der Spielraum, die To-Dos zu verteilen, wird kleiner.
Mein Tag – meine Arbeitszeit? – Vollständige Flexibilisierung der täglichen Arbeitszeit vs. Wunsch nach 18-Uhr-Feierabend
Apropos „längere Arbeitstage“: Ein Großteil lehnt diese ab. So wollen z.B. knapp 97% der erwerbstätigen Eltern spätestens um 18 Uhr Feierabend machen.[1] Gleichzeitig zeigen sich in der Praxis viele Mütter* und Väter* offen, am späteren Abend noch einmal eine Stunde in die Arbeit zu investieren, wenn sie vorher für ihre Familie da sein konnten. Dies ist eine Form der Flexibilisierung von Arbeitszeit, die großen Zuspruch bei dem Großteil der Erwerbstätigen findet. Sich die Arbeitszeit so einteilen zu können, dass diese optimal in Einklang mit privaten Aufgaben – sei es Kinderbetreuung, Pflegeaufgaben oder auch Termine bei Ämtern oder Ärzt*innen, ein kurzes Treffen mit Freund*innen, etc. – sind für eine Vielzahl sicherlich sogar das Ideal.
Nicht jeder Job eröffnet diese Freiheiten. Und selbst, wenn die Möglichkeiten der selbständigen Arbeitszeiteinteilung hoch sind, müssen sie grundsätzlich im Einklang mit den betrieblichen Abläufen sein. Das meint auch die Erreichbarkeit für andere Teammitglieder und die Zusammenarbeit als solche. Kurzum: Die Flexibilisierung der Arbeitszeit braucht Regeln.
Arbeitszeit und die Fragen der Verantwortung
Welche Arbeitszeitmodelle tragfähig sind und sowohl Beschäftigten als auch Arbeitgebern nutzen, lässt sich nicht pauschal sagen. Wie in allen Vereinbarkeitsfragen gilt auch hier: Die passgenaue Lösung hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Welche Aspekte es beim verantwortungsvollen Vereinbaren zu bedenken gilt, fassen wir im Folgenden zusammen – und zwar in Form von Fragen. Sie spiegeln Punkte der Verantwortung für die Organisation, die einzelnen Beschäftigten und das Team wider. Diese haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, können Arbeitgeber aber als Unterstützung auf dem Weg zu ihren Arbeitszeit-Angeboten dienen.
- In welchen Aufgabengebieten und auf welchen Positionen bietet sich eine Reduzierung der Arbeitszeit an?
- Welche Modelle der Arbeitszeitreduzierung sind jeweils praktikabel?
- Welche Möglichkeiten der Flexibilisierung der täglichen Arbeitszeit oder auch der wöchentlichen Arbeitszeit sind gegeben?
- Wie lassen sich Reduzierung und Flexibilisierung der Arbeitszeit mit Fragen des Arbeitsorts koppeln?
- Wie kann gewährleistet werden, dass sich Mitarbeitende bei unterschiedlicher Umsetzbarkeit nicht benachteiligt fühlen?
- Welcher Umgang lässt sich mit dem Arbeitsvolumen finden?
- Können sich mehrere Beschäftigte eine Stelle bzw. Projekte teilen?
- Kann die Arbeit effizienter gestaltet werden – ohne den sozialen Austausch zwischen den Mitarbeitenden völlig zu kappen?
- Soll bzw. muss der zeitliche Anspruch an die Arbeitsergebnisse und deren Umfang verändert werden?
- Wie lässt sich die Zusammenarbeit im Team/ der Kolleg*innen reibungslos gestalten, wenn mehrere Teammitglieder ihre Arbeitszeit reduzieren bzw. stärker flexibilisieren?
- Wie können Produktions- oder Servicezeiten eingehalten bzw. angepasst werden?
- Wie wird sichergestellt, dass die gesetzlichen Vorgaben, wie z.B. auch Pausenregelungen, eingehalten werden?
- Wir können Beschäftigte im Zeitmanagement unterstützt werden?
- Wie wird vermieden, dass eine Entgrenzung zwischen Arbeit und Privatem stattfindet?
- Was kann ansonsten getan werden, um eine Gesundheitsgefährdung der Mitarbeitenden zu verhindern bzw. deren Gesundheit zu erhalten und zu fördern?
In der nächsten Folge der Blog-Reihe „Verantwortungsvoll vereinbaren“, die Ende April erscheinen wird, geht es um das Handlungsfeld Arbeitsorganisation.
[1]
Wann Eltern Feierabend machen wollen, WSI Policy Brief Nr. 74, Februar 2023; https://nachrichten.idw-online.de/2023/02/08/knapp-97-der-beschaeftigten-wollen-spaetestens-um-18-uhr-feierabend-machen-abendarbeit-schaedlich-fuer-vereinbarkeit?groupcolor=2
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