Dienstag, 23. April 2024

Verantwortungsvoll vereinbaren: Arbeitsorganisation

Beschäftigte möchten ihre Arbeit auch organisatorisch mitgestalten und eigenverantwortlicher(er) ihre Aufgaben erfüllen
(Quelle: deathtothestockphoto.com)

In der zweiten Ausgabe unserer Blog-Serie nennen wir Beispiele für Herausforderungen des verantwortungsvollen Vereinbarens, die sich im Rahmen der Arbeitsorganisation ergeben. Auch die Erhaltung und Förderung der Gesundheit der Beschäftigten ist damit gemeint. Neben den Erläuterungen gibt es kurze Fragenkataloge, die als Checkliste Führungskräfte darin unterstützen, neue Erkenntnisse für ihre Arbeitsorganisation zu gewinnen.

Gibt es eine neue Verantwortung von Arbeitgebern, wenn es um Fragen der Arbeitsorganisation geht? Zumindest gibt es arbeitsorganisatorische Entwicklungen, die relevant sind für die Work-Life-Balance und durch die verantwortungsvolles Handeln an Facetten gewonnen hat. Zudem hat sich in Teilen die Verantwortung verschoben – von Arbeitgebern zu Beschäftigten und umgekehrt.

Vertrauen ist gut, Kontrolle besser?


Die Arbeitsorganisation ist nicht gänzlich zu entkoppeln von der Arbeitszeit und vom Arbeitsort. Das Trio markiert die äußeren Arbeitsbedingungen, zwischen denen Harmonie herrschen sollte. Die durch die Coronapandemie akzelerierte verstärkte Nutzung von Home-Office-Optionen und die zunehmende Flexibilisierung der Arbeitszeit haben unumgängliche Auswirkungen auf die Arbeitsorganisation. Sind Kolleg*innen remote tätig, stellt sich z.B. die Frage, über welchen Kanal man sich erreichen kann oder wie man eine Besprechung abhalten möchte. Zu klären ist auch, wie gemeinsam an Dokumenten gearbeitet wird. Sind Kolleg*innen nicht durchgängig parallel zur selben Zeit tätig, sollten beispielsweise gemeinsame Zeitslots gefunden werden, in denen ein Austausch stattfinden bzw. an Projekten gearbeitet werden kann. Ein wichtiger Punkt sind auch gelingende Vertretungsregelungen.

Je flexibler die Arbeitszeit und der Arbeitsort wählbar sind, umso kleinteiliger und aufwändiger kann die Arbeitsorganisation werden. Doch ein hohes Maß an Flexibilität ist Beschäftigten wichtiger denn je. Wir erinnern uns: Die Individualisierung hat Einzug in die Personalpolitik gehalten. Und diese spiegelt sich auch deutlich in individuellen Wünschen bzgl. der Arbeitsbedingungen wider.

Gleichzeitig möchten Mitarbeitende stärker selbstverantwortlich tätig sein, also mitbestimmen können, wann, wo und wie gearbeitet wird. Was sich die*der einzelne Beschäftigte wünscht, muss allerdings auch in Einklang mit den Belangen des Teams zu bringen sein. Organisationen sind daher vielfach dazu übergegangen, Teile der Arbeitsorganisation in die Hände der Teams selbst zu geben. Unser berufundfamilie-Scout „Verantwortung reloaded: Wer, was, wieviel?“ – eine Umfrage unter 163 Vertreter*innen von Organisationen, die aktuell nach dem audit berufundfamilie oder audit familiengerechte hochschule zertifiziert sind – zeigt, dass sich 79,2% der Arbeitgebervertreter*innen dafür aussprechen, dass die Arbeitsorganisation mehr in die Eigenverantwortlichkeit der Teams übergeht.[1]

In der Verantwortung der Teams liegt es dann, die Zusammenarbeit zu organisieren und sich dazu eng untereinander abzustimmen. Selbstverständlich sollten Absprachen, die Auswirkungen auf die Abläufe in der Organisation haben, mit der Führungskraft besprochen werden. Das Go von der Führungskraft ist absolut erforderlich.

Für die Führungskraft bedeutet die Übertragung dieser Verantwortung in das Team hinein immer auch, Vertrauen in die organisatorische Stärke des Teams und in das Commitment der einzelnen Mitarbeitenden zu setzen. Dennoch braucht die Führungskraft ein wachsames Auge, was den fairen Umgang untereinander betrifft. Es wird in Teams immer Personen geben, die ihre Vereinbarkeitsbedarfe und -wünsche – auch bezüglich der Arbeitszeit oder des Arbeitsorts – hintenanstellen bzw. nicht frei äußern. Möglich ist auch, dass Vereinbarkeitsbedarfe einzelner Kolleg*innen unterschätzt werden. Ein Beispiel dafür ist, dass Beschäftigte, die keine familiären Aufgaben im engeren Sinne wahrnehmen, oft als zeitlich flexibler eingestuft werden. Dadurch ergibt sich die Gefahr, dass sie häufiger für Kolleg*innen einspringen sollen, in den Schulferien nicht in den Urlaub gehen oder auch eher in Präsenz arbeiten. Es empfiehlt sich daher, konkret in die Teams hineinzufragen, ob jede*r Gehör gefunden hat und mit den vom Team getroffenen Regelungen einverstanden ist. Ziel ist es, einen Ausgleich zwischen den individuellen Bedarfen zu finden und den Teamgedanken im Sinne von „Alle für eine*n, eine*r für alle“ zu stärken. Dies entspricht unserem Ansatz des Vereinbarkeits-Trialogs.

Noch ein Tipp: Gemeinschaftlich die Arbeit zu organisieren bedeutet, einen fortlaufenden Prozess einzuschlagen. Mit Hilfe eines Vorschlagswesen oder einem Ideenpool zu Vereinbarkeitsthemen und -lösungen, das im Team bearbeitet wird, lässt sich dies institutionalisieren.

Hier einige Fragen, die Führungskräfte dabei unterstützen können, die Arbeitsorganisation gemeinsam mit dem Team zu koordinieren:

  • Welche Änderungen haben sich bzgl. der Arbeitsorganisation in jüngster Zeit ergeben?
  • Sind die Beschäftigten in der Lage, sich selbst und miteinander zu organisieren?
    • Wenn ja, welche Unterstützung benötigen sie dabei?
      • Braucht es ein Coaching?
    • Welche Rolle nimmt die Führungskraft dabei ein? Wie kann sie ihre Funktion als Moderator*in der Prozesse ausfüllen?
      • Sollten Fragebögen entwickelt werden, anhand derer ggf. Aushandlungsprozesse begleitet und gesteuert werden können?
      • Wie kann sie gewährleisten, dass ein fairer Umgang im Team gewahrt wird; dass keine Mitarbeitenden benachteiligt werden?
  • Welche Tools und welche technische Ausstattung benötigen die Beschäftigten, inklusive der Führungskräfte, um sich gut organisieren und die Arbeitsabläufe reibungslos gestalten zu können?
  • Sollte ein Ideenpool für Vereinbarkeitsthemen bzw. -lösungen genutzt werden, an dem gemeinschaftlich gearbeitet wird?

Hals- und (mentaler) Beinbruch


Eine familien- und lebensphasenbewusste Personalpolitik ist oftmals eng verknüpft mit dem betrieblichen Gesundheitsmanagement. Eine der Gründe dafür ist, dass eine mangelnde Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben den Stresslevel im Job erhöhen und negative gesundheitliche Folgen haben kann. So stellten 66,2% der 308 Organisationsvertreter*innen, die 2022 an unserem berufundfamilie Scout „health@work – Familien- und lebensphasenbewusste Personalpolitik und Gesundheit“[2] teilnahmen, viele thematischen Überschneidungen zwischen dem betrieblichen Gesundheitsmanagement und einer familien- und lebensphasenbewussten Personalpolitik fest. Sechs von zehn (60,1%) sprachen sich daher dafür aus, dass das BGM Teil einer familien- und lebensphasenbewussten Personalpolitik ist.

Arbeitgeber sehen sich durchaus in der Verantwortung, das psychische und auch das physische Wellbeing der Mitarbeitenden zu unterstützen. Zwei Drittel – genauer gesagt 66,9% – der Organisationsvertreter*innen, die an unserer Umfrage „Verantwortung reloaded: Wer, was, wieviel?“ teilnahmen, sind der Meinung, dass die Arbeitgeber für die physische und mentale Gesundheit ihrer Mitarbeitenden mindestens genauso stark verantwortlich sind wie die Beschäftigten selbst.

Ein Großteil der Teilnehmenden ist sogar der Ansicht, dass die Verantwortung des Arbeitgebers bzgl. der Erhaltung und Förderung der mentalen Gesundheit über das gesetzlich geforderte Mindestmaß hinausgehen bzw. grundsätzlich ausgebaut werden sollte: nämlich 63,6%. 35,2% der Befragten sprachen sich zudem dafür aus, dass Arbeitgeber sich über die gesetzlichen Anforderungen hinaus für die Erhaltung und Förderung der physischen Gesundheit einsetzen. Denn sie erkennen eine erhöhte Nachfrage der Mitarbeitenden in diesen Bereichen:

Laut unserer Kurzumfrage in 2022 erwarteten die befragten Organisationsvertreter*innen in allen Bereichen – mentale/ psychische Gesundheit, körperlichen/ physische Gesundheit, gesunde Ernährung – eine Steigerung der Nachfrage nach Angeboten. Die meisten (81%) sahen das Nachfrageplus bei Angeboten zur Erhaltung bzw. Förderung der mentalen/ psychischen Gesundheit.

Zentrale Fragen sind dabei aber:

  • Wie weit kann oder muss die Gesundheitsfürsorge des Arbeitgebers gehen?
  • Wann muss die Selbstfürsorge greifen?
  • Ist eine höhere mentale/ psychische Belastung der Beschäftigten zu erkennen?
    • Was wird wie aus der psychischen Gesundheitsgefährdung aufgegriffen?
    • Gibt es darüber hinaus Beschäftigtenbefragungen?
  • Welchen Bedarf an Unterstützung der physischen Gesundheit ist von Beschäftigten gewünscht?
  • Welche zielgruppenspezifischen Gesundheitsangebote sind vorhanden und sind diese ausreichend passgenau und wirksam?
  • Welche gesundheitsrelevanten Themen sollten (zusätzlich) aufgegriffen werden und mit Angeboten gestützt werden?
    • Wie wird mit dem Thema Sucht umgegangen?
    • Welcher Umgang wird mit Trauer gefunden?
    • Inwieweit sollten und können Aspekte wie Zyklus- und Wechseljahresbeschwerden angegangen werden?
    • Sind Fertility Benefits ein Thema?

In der nächsten Folge der Blog-Reihe „Verantwortungsvoll vereinbaren“ beschäftigen wir uns mit dem Handlungsfeld Arbeitsort. Diese wird im Mai erscheinen.

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