Dienstag, 20. November 2018

"Zur Debatte, Herr Schmitz": Flexibilisierung – für die einen Fluch, für die anderen Segen?


Flexibilisierung von Arbeitsmodellen – ein dehnbarer Begriff (©deathtothestockphoto.com)

20,8 Mio. Beschäftigte nutzten in Deutschland im Jahr 2016 ein Arbeitszeitkonto. Zehn Jahre zuvor – also im Jahr 2006 – waren es 13,7 Mio.[1] Ein Indikator dafür, dass die Flexibilisierung der Arbeitswelt zugenommen hat. Und voraussichtlich wird sie dies weiterhin tun. Aber wem nützt die Flexibilisierung von Arbeitsmodellen eigentlich und wem sollte sie nützen? Oliver Schmitz, Geschäftsführer der berufundfamilie Service GmbH, erörtert im Interview der Blog-Serie „Zur Debatte, Herr Schmitz“ Chancen und Grenzen der Flexibilisierung.


Herr Schmitz, wie lautet Ihre Definition für „Flexible Arbeitsmodelle“?

Konstruktive Aushandlungsprozesse führen zu können, bei denen die persönlichen Belange aber auch die Belange des Arbeitgebers und der KollegInnen Berücksichtigung finden. Zu flexiblen Arbeitsmodellen gehört auf jeden Fall auch eine Kultur des „Geben und Nehmen“ aller Parteien.

Flexibilisierung soll also Nutzen für Beschäftigte und Arbeitgeber bringen? Wie sieht dieser Nutzen aus?

Im Grunde bedeutet es, die privaten und beruflichen Belange besser miteinander vereinbaren zu können. Das kann dazu führen, vielleicht vorübergehend mal etwas weniger zu arbeiten. Aber viel häufiger erlebe ich, dass Flexibilität eher dazu führt, mehr arbeiten zu können. Wenn z.B. wegen wegfallender Wegezeiten durch Home-Office die Möglichkeit besteht, ein paar Stunden mehr in der Woche arbeiten zu können, dann profitieren alle Seiten von der Flexibilität.

Einen flexiblen Arbeitsplatz zu haben, bedeutet aber nicht immer auch, alle Möglichkeiten der gebotenen Flexibilität zu nutzen. Ein sehr großer positiver Effekt entsteht alleine schon dadurch, dass man weiß, dass man könnte, wenn man bräuchte! Beispiel: Vielleicht brauche ich als ArbeitnehmerIn gerade keine Flexibilität, da privat und beruflich alles in geregelten Bahnen läuft. Wenn ich aber weiß, dass ich, wenn ich es bräuchte, auf flexible Modelle zurückgreifen kann, dann gibt mir das ein Gefühl von Sicherheit. Damit steigt die Arbeitszufriedenheit und letztendlich trägt das auch zur Gesunderhaltung bei.

Nehmen wir das Beispiel der Arbeitszeitflexibilisierung. Laut IAB-Studie üben nicht die Beschäftigten selbst den größten Einfluss auf flexible Arbeitszeitmodelle aus. Es sind die Arbeitgeber bzw. die betrieblichen Anforderungen und die Jobaufgaben, die die Form und das Ausmaß der Flexibilisierung bestimmen. Überspitzt gefragt: Geht Arbeitsflexibilisierung auf Kosten der Arbeitnehmer*innen?

Wenn ich Service-Zeiten habe, die eine feste Präsenz erfordern, oder in einer Produktionsketten arbeite, die weniger Flexibilität ermöglicht, dann geben diese natürlich einen gewissen Rahmen vor. Flexibilität ist aber in einem gewissen Maß überall möglich. Einschränkungen bestehen häufig in den Köpfen. Sie sind das Ergebnis einer Kultur, die sich durch falsche Annahmen und mangelndem Vertrauen zu sehr selbst beschränkt.

Je flexibler die Gestaltungsmöglichkeiten sind, desto höher ist die Anforderung an die Kultur! Ich erlebe es immer wieder, dass gerade besonders flexibel arbeitende Beschäftigte von sich aus versuchen mehr zu leisten, was im gewissen Maße positiv ist in Bezug auf Geben und Nehmen, aber auch negativ sein kann und bis hin zur Selbstausbeutung führen kann.

Wir haben die Herausforderung, dass sich eine flexible Arbeitswelt nur sehr bedingt verregeln lässt. Daher müssen auch die Flexibilisierung von Regelungen und Gesetzen, die ursprünglich dem Schutz der Beschäftigten dienten, einhergehen mit einem Kulturwandel in den Organisationen und der Gesellschaft. Das wird in Zukunft eine sehr herausfordernde Aufgabe für die Politik und die verschiedenen Interessensvertreter sein, hier die richtige Dosierung zu finden. 

Diskutiert wird auch die Kluft bzgl. des Home-Offices: Theoretisch ist es bei 40 % der Arbeitsplätze möglich, überwiegend oder gelegentlich von zu Hause zu arbeiten.[2] Aber nur 12 % der Beschäftigten sind im Home-Office tätig. Funktioniert die Flexibilisierung des Arbeitsortes etwa schleppend?

Das würde ich nicht pauschalisieren. Wenn es bei 40 % der Arbeitsplätze möglich ist, heißt das nicht, dass diese 40 % auch im Home-Office arbeiten wollen. Wir haben bei der Flexibilisierung des Arbeitsortes sicherlich noch einigen Nachholbedarf, aber ich erlebe auch immer wieder, dass ArbeitgeberInnen erstaunt sind, dass nach Einführung von Home-Office es doch weniger nutzen als sie zu Beginn angenommen hatten. Denn vielen ist es wichtig, Beruf und Familie nicht zu sehr zu entgrenzen, und der persönliche Austausch mit den KollegInnen stellt auch einen wichtigen Wert dar.

Gerade für das Home-Office gilt: Allein schon zu wissen, dass man könnte wenn man es bräuchte, erzeugt bereits einen sehr positiven Effekt!  

Inwieweit stützt die zunehmende Digitalisierung die Flexibilisierung?

Es ist in vielen Arbeitsbereichen definitiv so, dass ein höherer Grad an Digitalisierung auch mehr Möglichkeiten zur Flexibilisierung bietet. Wenn in Behörden zum Beispiel die e-Akte eingeführt wird, dann können sich hierdurch ganz neue Möglichkeiten der Flexibilisierung bieten. Auch Maschinen können immer häufiger ferngewartet werden, unabhängig von Ort und Zeit. Es gibt zahlreiche solcher Beispiele, die auf eine positive Art und Weise genutzt werden können. Die Zukunft bietet da viele Chancen!

Denken Sie, dass die Flexibilisierung mit dem Einzug der jüngeren Generationen in die Arbeitswelt – z. B. die Generation Z – selbstverständlicher?

Ja, ich glaube, dass Flexibilisierung selbstverständlicher wird und ich gehe auch davon aus, dass unsere Gesellschaft zum Teil aus Erfahrungen und Fehlern früherer Generationen gelernt hat und zunehmend verantwortungsvoller mit dem Mehr an Flexibilität wird umgehen können. Das zeigt sich zum Beispiel auch an Umfragen, wo deutlich wird, dass die jüngere Generation zwar flexibel arbeiten möchte aber auch häufig nicht mehr eine so starke Entgrenzung von Berufs- und Privatleben anstrebt. Sie wird mit diesen Themen unverkrampfter umgehen, manchmal brauchen wir auch eine Entideologisierung mancher Themen.

Das wichtigste ist Vertrauen! Ich versuche gerne die Angst vor mehr Flexibilität zu nehmen. Vieles ändert sich, zum Beispiel Organisationsformen und die Art zu kommunizieren. Das ist auch alles mit Aufwand verbunden. Letztlich können wir aber auch zu neuen Arbeitsformen kommen, die dem Menschen mehr angepasst sind. Ich bin mir sicher, dass wir als Ergebnis dann auch leistungsfähigere und gesündere Organisationen haben.



[1] https://www.tagesschau.de/inland/flexible-arbeitszeit-101.html
[2] https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.526036.de/16-5.pdf

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