Auch junge Meschen können
bereits mit der Pflege von Angehörigen betraut sein (Quelle: Dim Hou on
Unsplash)
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Die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege ist mittlerweile kein Tabu-Thema mehr und wird auf Arbeitgeberseite auch aktiv verfolgt: Immer mehr Arbeitgeber setzen auf eine pflegebewusste Personalpolitik, um Beschäftigte mit Pflegeverantwortung zu entlasten. Ein Blick auf die demographischen Daten zeigt, dass das bitter nötig ist. Allein zu Ende Jahr 2019 gab es in Deutschland 4,1 Millionen Pflegebedürftige und davon wurden 2,12 Millionen überwiegend durch Angehörige versorgt. Wir stellen in diesem Blog eine bestimmte Gruppe von pflegenden Angehörigen in den Mittelpunkt: Young Adult Carer. Young Adult Carer sind junge Erwachsene (je nach Definition zwischen 16 bzw. 18- 24 Jahre alt), die ein erkranktes Familienmitglied pflegen und gleichzeitig studieren, eine Ausbildung machen oder sich in einer Übergangsphase befinden. Also liegt genau dann eine erhebliche Mehrbelastung vor, wenn man sein eigenes Leben und die berufliche Zukunft starten will. Hinzu kommt, dass viele der Young Adult Carer aufgrund der zeitintensiven Sorgeaufgaben oftmals Praktika oder Auslandsaufenthalte nicht realisieren können und sie somit, das Gefühl bekommen, nicht ausreichend für das Berufsleben vorbereitet zu sein.
Pflege ist in aller Munde. Dennoch wird diese Gruppe kaum beachtet und das, obwohl ihr Anteil an den informell Pflegenden bei 5 % liegt.[1] Doch Young Adult Carer werden mit dem wachsenden Fachkräftemangel immer relevanter für Arbeitgeber.
Schauen wir also mal nach, wer die Young Adult Carer sind. Aufgrund der bisher limitierten Datenverfügbarkeit fokussieren wir uns auf die Gruppe von Studierenden, die von dieser Mehrfachbelastung betroffen sein können.
Young Adult Carer – Zahlen zeigen Belastung
Hier ein paar Zahlen, Daten und Fakten, die die Relevanz der Vereinbarkeit von Studium und Pflege untermauern[2]:
- 5 % aller Studienabbrüche in Deutschland entstehen durch die Überlastung der Pflege von Angehörigen
- Zahlen aus England und Wales zeigen:
- Jede*r 20. in der Altersgruppe ist Pflegeperson
- Es ist für eine*n Young Adult Carer 3-Mal wahrscheinlicher, keine Ausbildung, kein Studium oder Arbeit zu haben (im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne Pflegeverantwortung)
- Young Adult Carer verlieren im Schnitt 17 Arbeitstage durch anfallende Pflege
Eine Umfrage der HAW Hamburg unter 126 Studierenden der Hochschule, die regelmäßig in Pflege von Angehörigen oder in die Unterstützung von nahestehenden Personen eingebunden sind, liefert zudem erste Hinweise zu den Herausforderungen der Vereinbarkeit von Studium und Pflege[3]:
- 60,8 % der pflegenden Studierenden ist weiblich (60,8 %) und im Schnitt 28 Jahre alt
- 84,9 % studieren in Vollzeit
- Der Anteil an Studierenden mit Pflegeverantwortung, die in Teilzeit studieren, liegt mit 6,3 % wesentlich höher als bei allen Studierenden der Hochschule mit 0,7 %
- Studierende mit Pflegeverantwortung unterstützen dabei 1 bis 2 Personen, 54,8 % pflegen einen Eltern- bzw. Schwiegerelternteil, 34,1 % pflegen ihre Großeltern, 2 % das eigene Kind
- 15 % der Studierenden leben mit den Pflegebedürftigen zusammen
- Wenn die Studierenden nicht mit der zu pflegenden Person zusammenleben, beträgt die durchschnittliche Fahrzeit 45 Minuten
- Das Spektrum der Pflege reicht von Unterstützung im Haushalt, gemeinsamen Aktivitäten, bis zu intensiver Begleitung und Körperpflege
- 36,6 % der Studierenden, die hauptverantwortlich für die Pflege ihrer Angehörigen sind, bewerten ihre zeitliche Belastung durch das Studium während der Vorlesungszeit als sehr hoch.
- 41 % der Befragten geben an, dass sie sich stark durch die Pflege/ Unterstützung belastet fühlen
- 51,3 % der Studierenden fühlen sich häufiger hin- und hergerissen zwischen Studium, Nebenjob und Pflege
- Keiner der befragten Studierenden nutzt die Angebote zur Unterstützung und Beratung für pflegende Angehörige, 92,4 % kennen diese Angebote nicht
Diese Zahlen zeigen ersten Handlungsbedarf und wir wollen hier mit einigen Tipps aus der Praxis von nach dem audit familiengerechte hochschule zertifizierten Hochschulen erste Impulse liefern.
Flexibilisierung als Schlüssel zu mehr Vereinbarkeit von Studium und Pflege
Im Rahmen des audit familiengerechte hochschule arbeiten Hochschulen und Akademien nämlich aktiv an ihrem Ziel, Studien- und Arbeitsbedingungen familiengerecht zu gestalten. Familiengerecht bedeutet hierbei auch auf Studierende mit Pflegeverantwortung zu schauen. Man kennt vielleicht „Studieren mit Kind“-Flyer, doch Tipps zur Vereinbarkeit von Studium und Pflege sind rar gesät oder erreichen die Zielgruppe oft gar nicht. So geben wir also drei Tipps aus der Praxis, wie das Thema Vereinbarkeit von Studium und Pflege aus der Tabuzone geholt werden kann.
- Eine flexiblere Anpassung der Studienzeit an die Pflegeaufgaben etwa durch erleichterten Zugang zum Teilzeitstudium oder einfachere Anträge auf Urlaubssemester sowie die vorrangige Einwahl in Kurse kann Studierende bereits dabei unterstützen, Studium und Pflege besser zu vereinbaren.
- Auch in der Studienorganisation können Studierende mit Pflegeaufgaben besser unterstützt werden. So bieten Nachteilsausgleiche bei besonderer familiärer Belastung oder Blended-Learning- Angebote sowie die Reduktion von Anwesenheitspflichten in Seminaren eine große Unterstützung.
- Beratungsangebote für pflegende Angehörige sollten auch gezielt an die Zielgruppe Studierende angepasst und Anlaufstellen geschaffen werden. Gezielte Kommunikation der Angebote durch eigene Flyer oder Aktionstage zu pflegespezifischen Themen wie Vollmachten, Pflegeleistungen schaffen einen niederschwelligen Zugang zu weiterer Hilfe.
Die Vereinbarkeit von Pflege und Studium ist für eine nachhaltige Etablierung von familiengerechten Studienbedingungen unerlässlich; denn nur so kann sichergestellt werden, das Studierende mit Sorgeaufgaben ihr Studium abschließen können. Durch mehr Flexibilisierung, zielgerichtete Kommunikation und mehr Sichtbarkeit für das Thema Pflege auch in studentischen Beratungs- und Veranstaltungsangeboten lässt sich die Vereinbarkeit von Pflege und Studium von einer Randnotiz weiter hoch auf die Agenda setzen.
[1] Wetzstein M, Rommel A, Lange C (2015): Pflegende Angehörige – Deutschlands größter Pflegedienst. GBE kompakt 6 (3). Robert-Koch-Institut, Berlin.
[2] https://learningandwork.org.uk/what-we-do/social-justice-inclusion/young-adult-carers/ , Middendorf E, Apolinarski B, Becker K, Bornkesse P, Brandt T, Heißenberg S (2017): Wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2016. 21 Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks.
[3] Mindermann, N., Schattschneider, R., & Busch, S. (2021). Studieren mit Pflegeverantwortung?. Prävention und Gesundheitsförderung, 16(3), 225-233.
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