Flächendeckende Rückkehr der Stechuhr? (©pixabay.com) |
Es hallt wie ein Donnerschlag durch die Flure der Organisationen – auch die virtuellen: Das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt hat entschieden, dass fortan die Pflicht zur systematischen Erfassung der Arbeitszeit besteht. Unser Geschäftsführer Oliver Schmitz antizipiert in dieser Ausgabe der Blogserie „Zur Debatte, Herr Schmitz“ die Folgen des Urteils für die familien- und lebensphasenbewusste Personalpolitik.
Nur mit dem so genannten Stechuhr-Urteil könnten laut BAG die Rechte aus der EU-Arbeitszeitrichtlinie umgesetzt werden – also die Wahrung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit sowie die täglichen und wöchentlichen Ruhezeiten. Bedeutet die Pflicht der systematischen Zeiterfassung tatsächlich mehr Schutz für die Mitarbeitenden oder mehr Kontrolle für Arbeitgeber?
Weder noch. Was bringt eine Zeiterfassung den Beschäftigten, wenn sie sich ausstechen und trotzdem weiterarbeiten, um nicht zu zeigen, dass sie ihr Arbeitspensum in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht schaffen? Was bringt eine Zeiterfassung dem Arbeitgeber, wenn die Beschäftigten das Gefühl haben, eher nur für ihre „Anwesenheit“ bezahlt zu werden?
Das entscheidende ist – und bleibt es auch bei systematischer Arbeitszeiterfassung – wie die gelebte Kultur einer Organisation ist. Daher bin ich zurückhaltend, wenn es um Annahmen geht, ob eine vermehrte Arbeitszeiterfassung zu großen Veränderungen führen wird.
Widerspricht die Pflicht zur systematischen Zeiterfassung nicht dem, was wir in einer modernen Arbeitswelt erwarten sollten – nämlich der Vertrauenskultur und Flexibilisierung von Modellen?
Die reine Zeiterfassung steht dem eigentlich nicht im Wege. Man kann die Arbeitszeit systematisch erfassen und trotzdem sehr flexibel und ergebnisorientiert arbeiten. Kritisch wird es, wenn man meint, dass die Kultur und hier insbesondere die Vertrauenskultur nicht mehr so wichtig ist, da man ja die Arbeitszeit als angeblich objektiven Indikator für die erbrachte Leistung hat.
Wie wirkt sich die Pflicht zur systematischen Zeiterfassung auf das Modell der Vertrauensarbeitszeit aus?
Im Prinzip muss sich dadurch nicht viel ändern. Vertrauensarbeitszeit bedeutet, dass ich weitestgehend frei bei der zeitlichen Einteilung meiner Arbeit bin. Das kann ich auch sein, wenn ich umfassender als bisher meine Arbeitszeit erfassen muss. Die Überstunden musste ich sowieso schon erfassen. Der Organisationsaufwand erhöht sich lediglich und hierfür brauche ich die passenden Instrumente.
Wenn ein „Missbrauch“ der Vertrauensarbeitszeit stattfindet, ist dieser eher auf Seiten der Arbeitgeber oder auf Seiten der Beschäftigten?
Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Eher möchte ich grundsätzlich festhalten, dass mehr Flexibilität – im richtigen Kontext und bei einer gesunden Kultur des Gebens und Nehmens – zu Gunsten von Arbeitgebern und Beschäftigten ist.
Dass wir immer noch, sobald sich die Diskussion um mehr Flexibilität dreht – sei es Arbeitszeit oder auch Arbeitsort –, in erster Linie eine Diskussion über den möglichen Missbrauch führen, zeigt, dass immer noch eine Misstrauenskultur vorherrscht.
Vertrauensarbeitszeit hat vor allem in Organisationen, in denen durch betriebliche Mitbestimmung oder Vereinbarungen der Sozialpartner gemeinsam konkrete Vereinbarungen getroffen wurden, gut funktioniert. Inwieweit wäre es denkbar, das Arbeitszeitgesetz so zu überarbeiten, dass auch zukünftig flexible Arbeitszeiten möglich sind?
Dort wo es gute Vereinbarungen gibt, die nicht versuchen alles zu verregeln, die aber die gegenseitigen Erwartungen klar formulieren und einen Dialog hierzu ermöglichen, dort ist auch sehr viel Flexibilität zu Gunsten aller Beteiligten möglich.
Arbeitsschutz ist ein extrem hohes Gut! Auch im Anbetracht der immer noch vorherrschenden Misstrauenskultur, sind wir noch lange nicht so weit, dass wir alle formalen Regeln über Bord werfen können, damit alle sich optimal selbst organisieren können. Wir brauchen daher weiterhin Gesetze als einen Rahmen der Grenzen als Schutz vorgibt. Dieser Rahmen muss aber flexibler werden, auch um dem digitalen Zeitalter zu entsprechen. Arbeitszeiterfassung muss dem auch nicht entgegenstehen, sondern im Gegenteil: Sie kann auch dazu führen, sich selbst besser organisieren zu können, wenn Themen wie die tägliche Arbeitszeit, Wochenarbeitszeit oder auch Ruhezeiten flexibler gestaltet werden.
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