Dienstag, 31. Januar 2023

Vereinbarkeit in Zahlen: Arbeitswandel mit Stolpersteinen

Stichwörter rund um die Arbeitswelt (©berufundfamilie Service GmbH)

Jede*r Zweite geht krank zur Arbeit, 5 von 6 Pflegenden werden zuhause versorgt, 38 % der Väter* bewerten ihren Arbeitsplatz als familienfreundlich und Frauen* verdienen durchschnittlich 18 % weniger als Männer* pro Stunde. Die erste Ausgabe von „Vereinbarkeit in Zahlen“ im Jahr 2023 liefert wieder aktuelle Zahlen rund um die Arbeitswelt.


Arbeiten im Krankheitsfall – Ein weitverbreitetes Phänomen


Eine Studie des Konstanzer Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung im Auftrag der Techniker Krankenkasse offenbart Präsentismus im Krankheitsfall ist ein weitverbreitetes Phänomen. So geht jede*r Zweite sehr häufig, häufig oder manchmal krank zur Arbeit. Nur 17 % sagen, dass sie bei Erkrankung immer zuhause bleiben. 

Oft werden Medikamente genommen, um fit zu bleiben. Unter den Führungskräften tun das 21 %, bei Beschäftigten ohne Führungsverantwortung sind es immerhin 16 %. Besonders Frauen* neigen zu Präsentismus, so geben 46, 6 % der Männer* an bei Erkrankung selten oder nie zu arbeiten, bei den Frauen* sind es 35,9 %.

Zu diesen Entwicklungen soll laut der Studie auch die Coronapandemie und das damit einhergehende Home-Office beigetragen haben. 2/3 der Beschäftigten arbeiteten mindestens 1-Mal die Woche im Home-Office, 1/3 nie. 46 % äußern, dass sie im Home-Office häufiger arbeiten, obwohl sie sich krank fühlen. Weitere 12 % arbeiten im Home-Office häufig oder sehr häufig trotz Krankschreibung. 30 % nutzen sehr häufig oder häufig Medikamente, um im Home-Office zu arbeiten.

Die TK meint, dass im Home-Office die Schwelle geringer sei, doch krank zu arbeiten und Beschäftigte dort über mehr Eigenverantwortung verfügen. Auch die Führungskräfte könnten auf Distanz den Gesundheitszustand weniger gut einschätzen. Vor allem aber fehlen in vielen Organisationen klare Regeln, so sind oft Vertretungsfragen im Krankheitsfall ungeklärt und über die Hälfte der Befragten wünscht sich klare Verhaltensregeln bei Erkrankung im Home-Office. Gleichzeitig sagen 65 %, dass sie mit ihrem Arbeitgeber noch nie darüber geredet haben. Es wurden insgesamt 1.233 Beschäftigte befragt.

Techniker Krankenkasse, Präsentismus in einer zunehmend mobilen Arbeitswelt, Datenanalyse und aktuelle Studienlage, Dezember 2022
https://www.haufe.de/arbeitsschutz/gesundheit-umwelt/praesentismus-im-krankheitsfall-studie-bestaetigt-ausmass_94_586272.html




Flexible Arbeitszeiten machen Beschäftigte produktiver


Eine Studie der Internationale Arbeitsorganisation (ILO) zu den Erfahrungen aus der Coronapandemie offenbart: Flexiblere und geringere Arbeitszeiten machen Beschäftigte produktiver. So hätten die in der Pandemie getroffenen Maßnahmen zur Arbeitszeit- und ortflexibilisierung positive Effekte nach sich gezogen. Eine Einschränkung der Flexibilität erhöhe dagegen Kosten, da Beschäftigte häufiger kündigten. Laut Studie arbeitet das Gros der Beschäftigten weltweit entweder bedeutend länger oder kürzer als 8 Stunden pro Tag an 5 Tagen in der Woche (also klassisch 40 Stunden). Mehr als 1/3 arbeitet demnach mehr als 48 Stunden pro Woche, 1/5 arbeitet weniger als 35 Stunden. Beschäftigte in irregulären Arbeitsverhältnissen haben dagegen häufig extrem lange oder extrem kurze Arbeitszeiten.

ILO, Working Time and Work-Life-Balance around the World, 2022 https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/---dgreports/---dcomm/documents/publication/wcms_864222.pdf




5 von 6 Pflegenden zuhause versorgt


Die Zahl der Pflegebedürftigen ist weiter stark angestiegen. Laut Statistischem Bundesamt waren im Dezember 2021 fast 5 Millionen Personen in Deutschland pflegebedürftig. Ende 2019 waren es noch 4,13 Millionen. Die Zunahme um 20 % hänge allerdings auch mit einer Gesetzesänderung zusammen – so wurde 2017 der Begriff der Pflegebedürftigkeit weiter gefasst, so dass mehr Personen als pflegebedürftig gelten. Hinzu kommen zudem noch 160 00 Personen mit Anspruch auf Leistungen nach Pflegegrad 1, die bisher nicht erfasst wurden. Dennoch steigt die Zahl an Pflegebedürftigen immer weiter an: Vor 20 Jahren waren rund 2 Millionen Menschen pflegebedürftig, vor 10 Jahren 2,5 Millionen und seit der Reform 2017 stieg die Zahl auf über 3 Millionen, 2019 waren es dann bereits über 4 Millionen.

Der Großteil – nämlich 5 von 6 Pflegebedürftigen (4,17 Millionen Menschen) wurden Ende 2021 zu Hause gepflegt. 2,55 Millionen von ihnen erhielten lediglich Pflegegeld und wurden überwiegend durch Angehörige gepflegt, Rund 1 Millionen wurden entweder gemeinsam durch Angehörige und ambulante Pflegedienste oder vollständig durch Pflege- und Betreuungsdienste versorgt. Lediglich 790.000 Personen wurden vollstationär in Heimen bereut. Die Zahl sank zu 2019 um 3 %. Die Zahl derjenigen, die zu Hause gepflegt wurden, stieg dagegen um rund ¼. Dabei stieg allein der Anteil derjenigen, die überwiegend durch Angehörige versorgt wurden auf 21 %.

Hinsichtlich der Altersverteilung zeigt sich, dass jede*r dritte Pflegebedürftige 85 Jahre oder älter war, 79 % der Pflegebedürftigen waren älter als 65 Jahre. Die Mehrheit der Pflegebedürftigen war weiblich, was mit der höheren Lebenserwartung zusammenhängt. Mit steigendem Alter, steigt auch das Risiko pflegebedürftig zu sein, so waren im Alter zwischen 70 und 74 Jahren nur rund 9 % pflegebedürftig, bei den über 90-Jährigen 82 %.

Statistisches Bundesamt, Pflegestatistik 2021, Dezember 2022 https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/pflegebeduerftige-anstieg-101.html



Väterfreundlichkeit in Unternehmen: Kluft zwischen Anspruch und Realität


Basierend auf zwei repräsentativen Befragungen von 600 Personalverantwortlichen und Geschäftsführungen sowie von 1000 erwerbstätigen Vätern mit minderjährigen Kindern ging Prognos im Auftrag des Erfolgsfaktor Familie der Frage nach, wie väterfreundlich die deutsche Wirtschaft ist. Es zeigt sich, das Väter*immer deutlich an einer aktiven Rolle in der Erziehung interessiert sind. So sagten 450.000 Väter*, dass sie bereits einmal für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie den Arbeitgeber gewechselt haben. Darüber hinaus denken mehr als 1,7 Millionen häufig oder manchmal über einen Wechsel nach.

Spannend sind zudem die Ergebnisse zur Einschätzung der Väterfreundlichkeit von Unternehmen. So bewerten die befragten Väter* ihren Arbeitgeber deutlich seltener als väterfreundlich, als die Unternehmensverantwortlichen. So bewerteten 38 % der Väter* ihren Arbeitsplatz als familienfreundlich, bei den Unternehmensverantwortlichen taten dies dagegen 63%.

Prognos AG im Auftrag des Unternehmensprogramms "Erfolgsfaktor Familie", Wie väterfreundlich ist die deutsche Wirtschaft?, Dezember 2022
https://www.prognos.com/sites/default/files/2022-12/BMFSFJ_Vaeterstudie_20221129_1600.pdf




Inklusion am ersten Arbeitsmarkt verschlechtert sich


Das aktuelle Inklusionsbarometer von Aktion Mensch und Handelsblatt Research Institute offenbart Nachholbedarf bei der Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigung auf dem ersten Arbeitsmarkt. So sind ca. 173.000 Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet, mindestens 5 % der Arbeitsplätze an Menschen mit Behinderung zu vergeben, doch nur 40 % dieser Arbeitgeber besetzen alle Pflichtarbeitsplätze, 25 % stellen keine Arbeitnehmenden mit Behinderung ein. Sie zahlen stattdessen die volle Ausgleichsabgabe. Die Arbeitgeber, die Menschen mit Behinderungen beschäftigen, bewerten dies positiv. So sagen 80 %, dass sie keine Leistungsunterschiede zwischen Kolleg*innen mit und ohne Behinderung wahrnehmen.

Schaffen es Beschäftigte mit Behinderung auf den Arbeitsmarkt, sagen 89 %, dass sie entsprechend ihrer beruflichen Qualifikationen eingesetzt werden. Auch die Anträge auf Kündigungen von Beschäftigten mit Behinderung sind auf dem niedrigsten Stand seit Einführung des Inklusionsbarometers.

Aktion Mensch, Inklusionsbarometer 2022, November 2022
https://www.aktion-mensch.de/inklusion/arbeit/zahlen-daten-fakten




Prekäre Arbeitsbedingungen für studentische Beschäftigte an Hochschulen


Eine gemeinsame Studie von ver.di und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unter 11.000 studentischen Beschäftigten zeigt, die Arbeitsbedingungen sind oftmals prekär. So sagen 16, 9 % der Befragten, dass sie im Durchschnitt 4,9 Wochen vor oder nach eigentlichem Vertragsbeginn ohne Bezahlung arbeiten. 90 % finanzieren sich mit solch einem Job das Studium. Auch die Vertragslaufzeiten sind äußert gering. So betragen diese häufig im Durschnitt nicht mal 6 Monate, zudem seien Kettenverträge gängige Praxis. 83 % der studentischen Beschäftigten sind mehr als einmal an einer Hochschule angestellt und arbeiten durchschnittlich zum 3. Mal auf derselben Stelle.


ver.di & Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) „Jung, akademisch, prekär?“, Januar 2023
https://www.verdi.de/presse/pressemitteilungen/++co++71a27128-98a2-11ed-9291-001a4a16012a





Gender Pay Gap weiterhin vorhanden


Laut Statistischem Bundesamt verdienen Frauen* weiterhin durchschnittlich weniger als Männer* pro Stunde – nämlich 18%. Im Osten Deutschlands liegt der Gender Pay Gap mit 7 % weit niedriger als der im Westen mit 19 %. Im Langzeitvergleich sank der Gender Pay Gap dennoch, im Jahr 2006 lag er noch bei 23 %.
Die Verdienstunterschiede gehen auch darauf zurück, das Frauen* häufiger in Branchen bzw. Berufen arbeiten, in denen die Vergütung generell niedriger ist. Auch dass Frauen* häufiger in Teilzeit arbeiteten, habe Einfluss auf den Gender Pay Gap. So lassen sich 63 % der Lohnlücke auf diese Faktoren zurückführen. Die übrigen 37 % könnten allerdings nicht durch die im Schätzmodell verwendeten Merkmale erklärt werden. Auch bei vergleichbarer Qualifikation,  Arbeits- und Erwerbsbiografie liegt der sog. bereinigte Gender Pay Gap immer noch bei 7 %.

Statistisches Bundesamt, Gender Pay Gap, Januar 2023
https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/01/PD23_036_621.html






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