Vereinbarkeit sollte kein Exklusivrecht für eine bestimmte Beschäftigtengruppe sein, sondern intergierend gedacht werden. Eine wesentliche Gruppe, die mehr und ausdrücklich mitgedacht werden müsste: LGBT*IQs. In unserer neuen Podcastfolge sprechen wir mit Albert Kehrer, Vorstand der PROUT AT WORK-Foundation zu Hürden und Chancen für Vereinbarkeitsbelange von LGBT*IQs. Eine schriftliche Zusammenfassung gibt es hier im Blog.
„Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ – so heißt es landläufig, wenn es darum geht, berufliche Belange mit privaten in Balance zu bringen. Die meisten sehen hier als Zielgruppe insbesondere heteronormative Paare. Genau hier liegt die Crux: Vereinbarkeit ist kein Exklusivrecht für eine bestimmte Beschäftigtengruppe. Unter dem Dach unseres Jahresmottos „lebe hybrid – vereinbare nachhaltig“ möchten wir deutlich machen, dass Vereinbarkeit integrierend zu denken ist. Alle sind mitzudenken und mitzunehmen. Denn: Erst dann werden Vereinbarkeitsangebote tragfähig und kann die betriebliche Vereinbarkeitspolitik nachhaltig wirken. Eine wesentliche Zielgruppe sollte daher auch LGBT*IQs sein. Mit Albert Kehrer, dem Vorstand der PROUT AT WORK-Foundation sprechen wir in unserer neuen Podcastfolge über über die Vereinbarkeitsbelange und Hürden von LGBT*IQs und die Chancen, die sich für Arbeitgeber in einer bewussten Einbeziehung von LGBT*IQs in ihre Vereinbarkeitspolitik ergeben. Hier ist der Podcast zum Nachlesen.
Arbeiten in Coronazeiten, wo sind Sie gerade? Was heißt das für Sie gerade?
Albert Kehrer (AK): Für mich heißt das weiter im Büro zu arbeiten, weil ich ein eigenes Büro habe. Daher kann ich zum Glück weiter im Büro arbeiten.
Kommen wir auf die Arbeit der PROUT AT WORK-Foundation zu sprechen. Auf Ihrer Website heißt es: Die Foundation schafft eine sicht-, spür- und erlebbare Öffentlichkeit von LGBT*IQ am Arbeitsplatz. Was ist darunter zu verstehen?
AK: Na, erstmal ist die Frage, was ist LGBT*IQ. Und es geht praktisch um Lesben, Schwule, Bi-Sexuelle, Trans, Intergeschlechtliche und queere Menschen am Arbeitsplatz. Also alle die, wie Sie vorhin gesagt haben, nicht heteronormativ sind. Und das machen wir ganz viel über Veranstaltungen, conferences, Öffentlichkeitsarbeit und zum Beispiel Handlungsempfehlungen für Arbeitgeber*innen.
Betrachten wir unser Kernthema – die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben: Auf einer Skala von 1 bis 10 – gibt es eine sicht-, spür und erlebbare Vereinbarkeit von LGBT*IQs? Und warum wählen Sie diesen Skalenwert?
AK: Ich würde ihn auf 1 setzen, und 1 mit sehr niedrig, vermute ich jetzt mal. Weil das Thema nicht mitgedacht wird. Also LGBT*IQ und Vereinbarkeit – das wird nicht mitgedacht,weil wir in einer rein heteronormativen Welt leben.
Woran hapert’s – daran, dass grundsätzlich ein selbstverständlicher Umgang mit LGBT*IQs am Arbeitsplatz fehlt oder schlichtweg ihre Vereinbarkeitsbelange nicht erkannt werden? Oder ist es gar eine Mischung von beidem?
AK: Ich würde sagen, es ist eine Mischung aus beidem. Es gibt keinen selbstverständlichen Umgang mit dem Thema, weil wir eben in einer Welt aufwachsen, wo wir annehmen, dass das Gegenüber heterosexuell ist, und damit denken wir das nicht mit. Wir nehmen, wenn wir nicht tatsächlich schwule, lesbische Freund*innen haben, das Thema dann nicht wahr. Es kommt in der Lebenswirklichkeit von heterosexuellen Menschen nicht vor. Und dann werden die Vereinbarkeitsbelange natürlich nicht erkannt, aber natürlich haben LGBT*IQ-Menschen zum Beispiel auch Kinder Zuhause.. Sie haben das Thema, dass sie ihre Eltern pflegen müssen oder irgendwelche anderen Angehörigen. Also sie haben genauso Vereinbarkeitsthemen wie Heterosexuelle, aber sie werden schlicht und einfach nicht mitgedacht.
Damit sind wir bereits auf der Kulturebene. Wenn Sie drei Tipps für Arbeitgeber benennen könnten, wie sie eine offene, alle Beschäftigten integrierende Unternehmenskultur aufbauen, in der Vereinbarkeit auch für alle selbstverständlich ist, welche wären das?
AK: Sprache ist ja ungemein mächtig. Das heißt, ich würde sie mitsprechen, ich würde schauen, dass ich eine inklusive, genderinklusive oder auch wertschätzende Sprache einführe, auch meine Bildsprache ändere. Das heißt auch Regenbogenfamilien in der Bildsprache mitdenken. Dass Gratulationsanschreiben so formuliert sind, und da braucht es oftmals gar keine komplizierte genderinklusive Sprache mit Gap oder Sternchen, sondern sie so formuliert sind, dass sie inklusiv sind, dass sie beide Welten eben mitdenken. Und dass sie ausdrücklich auch Regenbogenfamilien mit erwähnen in den Texten. Ideal wäre es natürlich auch, wenn man auch divers besetzte Committees hätte, mit denen man Vereinbarkeitsthemen regelmäßig anschaut. Wo gibt es Themen? Wie können wir die lösen? Wenn da auch LGBT*IQ-Menschen mit am Tisch säßen, wäre das eine tolle Sache.
Reicht das Spektrum an Angeboten zur Vereinbarkeit aus – auch für LGBT*IQs? Oder gehen die Lösungen der Arbeitgeber an ihren Bedarfen vorbei?
AK: Ich vermute, die reichen grundsätzlich aus, aber LGBT*IQs fühlen sich nicht angesprochen, weil sie einfach nicht angesprochen werden. Und dann ist es oftmals noch so, dass der Gesetzgeber auch in einer heteronormativen Denke lebt. Das heißt, er denkt sozusagen nie auch LGBT*IQ-Menschen mit. Das heißt, wenn Arbeitgeber sich nur an das Gesetz halten, werden Regenbogenfamilien immer vergessen. Das heißt, auch der Arbeitgeber wäre eingeladen, über das Gesetz hinaus mitzudenken, wo betrifft es auch LGBT*IQ-Menschen und das dann tatsächlich auch zu erwähnen.
Was fehlt Ihnen bei Arbeitgebern, damit LGBT*IQs sich ebenfalls von Vereinbarkeitsangeboten angesprochen fühlen und sie auch nutzen?
AK: Direkt ansprechen in Wort und Bild. Und im Intranet gibt es ja auch was, meistens zum Thema LGBT-Diversity, auch von da aus nochmal auf die Vereinbarkeitsthemen verlinken. Dass LGBT*IQ Menschen sehen, hey Vereinbarkeit betrifft mich auch und auch für mich gibt es dazu Lösungen.
Wie können sich LGBT*IQ-Führungskräfte in Sachen Vereinbarkeit für LGBT*IQ-Mitarbeitende einsetzen?
AK: Erstmal glaube ich, ist es wichtig, dass alle als Vorbilder agieren und LGBT*IQ-Führungskräfte werden wahrscheinlich nicht häufiger Vereinbarkeit vorleben als Heterosexuelle das machen. Es wäre natürlich schön, wenn sie es auch selber vorleben, wenn sie auch in Elternzeit gehen, zum Beispiel. Aber dass Führungskräfte, egal ob LGBT*IQ Mitarbeitende oder heterosexuelle Mitarbeitende, ihre Mitarbeitenden einladen, die Angebote anzunehmen und eben aufklären in der Firma, was denn LGBT*IQ-spezifische Vereinbarkeitsthemen wären.
Da schließt sich auch gleich die nächste Frage an. Was können andere Beschäftigtengruppen tun, die sich nicht zur LGBT*IQ Community zugehörig fühlen? Wie können Sie unterstützen? Brauchen wir LGBT*IQ Allies?
AK: Ja! Ja, wir brauchen Allies, weil das Thema LGBT*IQ natürlich noch wahnsinnig marginalisiert und tabuisiert ist. Von dem her brauchen wir gerade in dem Thema Allies und das geht ganz viel über zuhören, lernen, aber auch zeigen, dass man Ally ist und dann natürlich auch sich engagieren, eintreten, wenn homophobe Witze da sind. Genauso wie man eintritt, wenn man eben sexistische Kommentare oder ausländerfeindliche Kommentare hört. So kann man Ally sein, das kann jeder machen. Das kostet auch nicht viel Aufwand und jeder kann dazu einen Beitrag leisten, dass er oder sie selbst auch mal in der Situation Unterstützung erfährt, wenn er oder sie das auch braucht.
Dann kommen wir auch schon zu meiner abschließenden Frage an Sie: Welchen Wunsch haben Sie – mit Blick auf Vereinbarkeit – an Arbeitgeber?
AK: Ganz schwieriges Thema, weiß ich nicht. Ich würde mal spontan eher mit meiner eigenen Erfahrung da reinkommen, die ich mache mit dem Thema Vereinbarkeit. Jetzt bin ich selbst nicht der Beste, aber mein Mann und ich, wir leben das, wie wir es brauchen. Wir haben in unserer Stiftung auch viele Vereinbarkeitsthemen. Wir haben junge Mütter. Wir hatten eine junge Frau, die schwanger geworden ist und ich habe einfach gesagt: „Leute, ich biete euch alles, was ihr wollt. Lasst uns einfach gemeinsam daran arbeiten.“ Das hat immer fantastisch gut funktioniert, das muss ich echt sagen. Natürlich ist es eine Herausforderung für mich als Arbeitgeber und dann denkt man auch mal, oh Gott, funktioniert das, ist die mir zu oft krank oder sonst irgendwas. Aber meine Erfahrung ist: Sie sind nicht öfters krank, die sind da, die zeigen totales Engagement. Die haben eine Mitarbeiter*innenbindung, die haben wir damit erreicht. Weil sie sagen, hey hier kann ich so sein, wie ich bin und ich bin auch bereit, die Extrameile zu gehen und da kann ich einfach nur sagen, probiert es alle einfach mal aus und dann werdet ihr sehen, es ist gar nicht so schlimm wie ihr immer denkt.
Wunderbar! Das sind doch schöne Abschlussworte. Dann bedanke ich mich auch schon für den spannenden Austausch und hoffe, dass wir uns bald wieder hören.
AK: Sehr gerne.
Der Podcast ist über das oben stehende Embedding hörbar und kann auch direkt hier bei Soundcloud abgerufen werden.
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