Mittwoch, 25. August 2021

Podcast (Folge 18): „Familiengerechte Hochschule hat viel mit Kommunikation zu tun, regelmäßig und kontinuierlich“ – Universität Bremen

Wie kann eine Hochschule sich nachhaltig familiengerecht aufstellen? Welche Rolle spielen dabei eine strategisch angelegte Vereinbarkeitspolitik und eine umfassende Kommunikation an alle Zielgruppen? Diese und einige weitere Fragen beantwortet uns Bettina Schweizer, audit-Projektleitung der Universität Bremen, die bereits seit 2007 nach dem audit familiengerechte hochschule zertifiziert ist.

Durch unser Jahresmotto „lebe hybrid – vereinbare nachhaltig“ stellen wir uns immer wieder die Frage, wie eine nachhaltige Durchdringung von Organisationen mit dem Thema Vereinbarkeit von Beruf bzw. Studium, Familie und Privatleben gelingen kann. Hierbei ist es besonders wichtig, alle Zielgruppen zu erfassen und alle Vereinbarkeitsbedarfe zu erkennen. Bei Hochschulen gibt es neben nichtakademischen Beschäftigten, wissenschaftliche Mitarbeitende, Dozent*innen und Studierende– also eine sehr heterogene Zielgruppenzusammensetzung. Hochschulen, die ihre Studien- und Arbeitsbedingungen familiengerecht gestalten und der Vielfalt von Lebensentwürfen und Familienformen gerecht werden möchten, stehen daher vor einer großen Aufgabe.

In unserer neuen Podcastfolge sprechen wir daher mit Bettina Schweizer, audit-Projektleitung und tätig in der Arbeitsstelle Chancengleichheit an der Universität Bremen. Die Universität Bremen ist eine leistungsfähige Forschungsuniversität mit 19.200 Studierenden und 3.500 Beschäftigten. Sie arbeitet bereits seit 2007 mithilfe des audit familiengerechte hochschule systematisch an familiengerechten Arbeits- und Studienbedingungen. Im Gespräch erfahren wir, welche Maßnahmen es an der Universität Bremen gibt, welche noch folgen sollen und welche Rolle insbesondere die umfassende Kommunikation an alle Zielgruppen spielt. Hier findet sich die Abschrift der Folge.



Hochschulbetrieb zu Corona-Zeiten. Wie lief bzw. läuft das an der Universität Bremen?

Bettina Schweizer (BS): Zunächst muss ich sagen, herrschte wie überall ein großer Schock und eine große Irritation. Rückblickend muss man sagen, dass inzwischen eine Art „Normalität“ eingetreten ist. Es hat in der virtuellen Auseinandersetzung mit Studium und Arbeit einen enormen Kompetenzzuwachs im Umgang mit virtueller Arbeit gegeben, aber unterm Strich muss man sagen, dass Hochschulen, wie andere Einrichtungen sicherlich auch, sehr von der Präsenz leben. Bei uns sind Austausch, Vernetzung, informelle und formelle Netzwerke unglaublich wichtig. Das ist eine Lücke, die bei allen Fortschritten in der virtuellen Welt gemacht wurden, leider nicht geschlossen werden kann.

Die Uni Bremen ist bereits seit 2007 als familiengerechte hochschule zertifiziert. In 2020 wurde ihr zum fünften Mal das Zertifikat erteilt, das mittlerweile einen dauerhaften Charakter hat. Was ist an Ihrer Universität in Sachen familiengerechte Studien- und Arbeitsbedingungen bereits erreicht worden?

BS: Nachdem wir das audit-Verfahren durchlaufen haben, haben wir zunächst ein Familienportal eingerichtet, sodass auf der Homepage der Universität Bremen umfängliche Informationen für alle Themen rund um Care-Arbeit, also Fürsorgearbeit, bereitgestellt wurden. Das ist ja doch mehr als Kinderbetreuung. Dann haben wir seit Anfang letzten Jahres ein Familienservicebüro mit zwei festangestellten Expert*innen. Die Jahre zuvor wurde das Familienservicebüro gemeinsam mit Studierenden bestritten. Ich habe hier mit einer Gruppe der Studierenden, die sich entweder für die Thematik interessiert haben oder/ und selbst auch Kinder oder zu pflegende Angehörigen haben, gearbeitet.

Wir führen schon seit einigen Jahren einen Pflegestammtisch für pflegende Angehörige durch und adressieren dadurch Beschäftigte und Studierende in dieser Situation. Bei dem Pflegestammtisch, der monatlich stattfindet, haben wir auch immer eine*n Expert*in von dem sog. Pflegestützpunkt des Landes Bremen dabei. Wir haben die Kinderbetreuung deutlich ausgebaut. Wir haben Plätze eingekauft und auf dem Campus Betreuungseinrichtungen für Randzeiten erschlossen, Kinderferienbetreuung in allen Schulferien eingerichtet.

Wir haben eine PE-Maßnahme durchgeführt für Frauen, die in der Verwaltung arbeiten. Dieses Angebot ging über zwei Jahre lang. Wir haben es „Komm mit“ genannt, Kompetenzen erweitern für Frauen in der Verwaltung. Es war uns auch wichtig familiengerechte Orte auf dem Campus zu schaffen. Zum einen, damit das Menschen mit Familienangehörigen nutzen können. Das ist die erste Sichtweise darauf, aber wir wollen dadurch auch räumlich darauf aufmerksam machen, dass es eben auch Kinder gibt oder andere Belange, die eben auch in der Universität sein sollen und sein dürfen.

Was die Regulierungen von Studien- und Prüfungsordnungen angeht, haben wir in sämtlichen Bachelor- und Masterstudienordnungen einen Passus aufgenommen, dass insbesondere die Situation von Studierenden mit Kindern oder zu pflegenden Angehörigen oder mit Care-Aufgaben, wie man so schön sagt, berücksichtigt werden sollten. Also so weit erstmal zu unseren Highlights, die mir spontan einfallen.


Das ist schon ein sehr breites Spektrum in jedem Fall. Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf bzw. was haben Sie sich bis zum nächsten Dialogverfahren, mit dem in 2023 das Zertifikat zum audit familiengerechte hochschule bestätigt werden soll, vorgenommen?


BS: Ein großes Thema ist auf jeden Fall die Vertiefung. Es ist immer schön neue Projekte aufzuziehen, zu etablieren und vorzustellen, trotzdem muss man sagen, dass wissen Sie von der berufundfamilie wahrscheinlich auch, ist das Thema vergleichsweise jung, sowohl in der Wirtschaft als auch an Hochschulen. Als ich hier anfing mit der Thematik, da habe ich an einer anderen Hochschule mit einer Professorin gesprochen, die gesagt hat, also in meinem Fachbereich im Bereich Wirtschaft, habe ich gar nicht gesagt, dass ich alleinerziehend bin und einen Sohn habe.

Das ist noch nicht mal so lange her, dass man im beruflichen Kontext der Wissenschaft erzählt, dass man auch noch ein anderes Leben hat. Von daher braucht es immer noch tagtäglich eine Kommunikation, dass man es eben wirklich benennt. Dass man auch in die Alltagssprache hineingeht, dass man auch guckt, wie belastet ist eine Person oder was passiert gerade im Leben einer Person. Es mag trivial erscheinen, aber diese Art von Vertiefung ist sehr wichtig. Ich bin auch sehr dankbar, dass wir jetzt nochmal die Jahre haben, in denen wir das systematisch angehen können. Dann ist es noch wichtig, ein breiteres Care-Angebot für alle zu bestellen. Das fand ich auch so charmant am Eingangstext, meistens denkt man bei Vereinbarkeit, das kann man auch empirisch nachweisen, als erstes an kleine Kinder und dann kommt es so langsam mit zu pflegenden Angehörigen, aber es gibt da noch viel mehr Themen. Ich habe zum Beispiel eine Kollegin, die sagt, ich bin Single, hab auch keine Kinder. Sie hilft aber ganz viel ihrer Schwester, die alleinerziehend ist. Sie hat neulich die Frau ihres Bruders beraten, die gerade in Trennung sind. Es wird in vielfacher Weise Care-Arbeit gemacht und ich möchte, dass auch das benannt wird.

Es gibt immer wieder Diskussionen um die tatsächliche Umsetzung von familiengerechten Studien- bzw. Arbeitsbedingungen. Als Beispiel wird hier oft der vermeintliche Widerspruch von familiengerechten Hochschulbedingungen und die häufige Befristung von wissenschaftlichen Mitarbeitenden genannt. Wo sehen Sie da die Möglichkeiten als Hochschule?

BS: Die Hochschulen können noch mehr ausreizen. Ein gutes Beispiel, wie ich finde: In den letzten drei Jahren sind an der Uni Bremen in den Geistes- und Sozialwissenschaften mehr entfristete Lektoratsstellen entstanden. Lektorate sind Stellen, da wird viel in der Lehre gearbeitet. Ich muss sagen, dass man in diesen Stellen häufiger Frauen findet, die gerne gute Lehre machen möchten. Sowas ist hilfreich. Ich möchte aber auch auf den Pferdefuß dabei hinweisen. Der Pferdefuß dabei ist allerdings, dass die Lektorate attraktive Stellen sind, aber dann nicht mehr zu einer Professur führen. Trotzdem ist es sinnvoll über solche Möglichkeiten nachzudenken, wo könnte ich bei Stellen, die wir an Hochschulen brauchen, Entfristungen herstellen.

Das kann sehr hilfreich sein. Ich bin schon ein älteres Semester. Als ich anfing, an der Universität zu arbeiten, da waren Drittmittelprojekte und befristete Verträge auf fünf Jahre befristet. Das gibt es heute kaum noch oder in seltenen Fällen. In dieser Zeit hat meine Kollegin aus der Buchhaltung eine Statistik erstellt, und es kam heraus, dass mehr Kinder geboren wurden. Das heißt, man hat durch diese fünf Jahre schon eine bessere Planungssicherheit. Und wenn in Deutschland Familien gegründet werden, dann brauchen die Menschen eine gewisse Planungssicherheit. Das kann in anderen Ländern anders sein, aber bei uns ist das kulturell so internalisiert, dass die jungen Menschen, die das wollen, gerne Planungssicherheit hätten.

Das wäre das eine, also Befristung auf einen längeren Zeitraum, gekoppelt mit Möglichkeiten, die sich mehr in Universitäten etablieren sollten, wie etwa Ausstiegsszenarien. Wir haben ein Zentrum an dem Promotionen und Post-Doc- Qualifikationsphasen begleitet werden. Hier sollte man bereits offensiv benennen, wir können nicht alle hierbehalten. Wissenschaft lebt auch davon, dass die Leute wechseln. Das kann man in gewisser Weise nachvollziehen, aber weil wir das wissen, gibt es hier fortlaufend Angebote für andere berufliche Zweige, in die man gehen kann. Das muss ausgebaut werden. Das ist auch eine Form der Personalentwicklung aus meiner Sicht und hat auch mit der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers zu tun. Das wiederum muss gekoppelt werden mit den Führungskräften, die dann bei uns meistens professoral sind und da gibt es bislang noch wenig Kenntnisse im Bereich. Wie mache ich das mit meinem Personal? Wie weise ich sie darauf hin, dass sie gut arbeiten, aber dass ich auch sage, es ist befristet, aber wir können darüber reden. Ich glaube mit diesem Instrumentenmix ist noch einige Luft nach oben.

Mit welchen weiteren Herausforderungen bzw. auch Hürden sind Sie in der Gestaltung und Umsetzung familiengerechte Studien- und Arbeitsbedingungen konfrontiert?


BS: Die Universitätsleitung der Universität Bremen hat sich schnell dafür stark gemacht, dass wir an diesem audit-Verfahren teilnehmen. Es gab keine Diskussionen darüber, ob wir das machen, sondern wie wir das machen.

Das ist auch das Wichtigste, dass die Leitung sagt, wir wollen dahin. Trotzdem kann man eine familienfreundliche Haltung oder Führungsstil in dem Sinne schwerlich verordnen. Man kann Leitsätze etablieren. Wir haben auch viele in der Führungsebene, die das so sehen, aber eben nicht alle. Da bleibt es eine permanente Herausforderung dafür zu werben und ich bin auch mehr fürs Werben, d.h. einfach deutlich zu machen, dass es auch eine bessere Arbeitskultur und eine bessere Arbeitsqualität geben kann, wenn man die Studierenden und Mitarbeitenden in ihrer Gänze mitnimmt. Dazu braucht es aber auch ein Backup seitens des Arbeitgebers, dass man Workshops und Personalentwicklung macht, in denen man diese Instrumente auch beibringt. Das ist ja kein Hexenwerk.

Dann ist es wichtig, dass man den Leitungen bewusst macht, dass sie in diesem Thema eine große Verantwortung haben. Best Case-Szenario wäre, wenn die Führungskräfte das auch selbst vorleben. Das ist immer das Überzeugendste. Also, dass sie sagen, so ich muss jetzt früher gehen, weil mein Kind oder mein Cousin oder wer auch immer hat Geburtstag und da möchte ich gerne dabei sein. Das wäre so ein Beispiel.

Ein anderes Problem, das wir haben, ist, dass gesetzliche Rahmenbedingungen nicht kohärent aufeinander abgestimmt sind. Zum Beispiel haben wir gemeinsam im audit einen Familienbegriff entwickelt. Das war eine sehr spannende Diskussion mit dem Thema: Was ist eigentlich Familie? Da haben wir uns darauf verständigt, dass Familie da ist, wo längerfristig Verantwortung übernommen wird. Das ist das Kriterium, da wir wissen, dass Familien vielfältig zusammengesetzt sind und es auch völlig egal ist, wie sie zusammengesetzt sind. Auch die Langfristigkeit ist wichtig, weil dann hat es möglicherweise Auswirkungen auf das Studium oder auf die Arbeit. Da kommen wir in die Bredouille mit Gesetzgebungen, denn der Gesetzgeber hinkt ja oftmals hinterher. Ein Stichwort ist z.B. Ehegattensplitting, aber auch das Pflegezeitgesetz. Dort heißt es zu „pflegende Angehörige“. Es wird da immer noch mit einem Familienbegriff agiert, der mehr darauf abzielt, dass man wirklich miteinander verwandt ist. Da stoßen wir dann auf Grenzen.

An einer Hochschule kann sich die Kommunikation der Vereinbarkeitsangebote aufgrund der Heterogenität und Diversität von Zielgruppen (nichtakademische Beschäftigte, wissenschaftliche Mitarbeitende, Studierende) schwierig gestalten. Wie gehen Sie hier vor?

BS: Wir haben Befragungen und machen Evaluationen. Das ist wichtig, weil wir die einzelnen Zielgruppen mit unterschiedlichen Fragenkatalogen betrauen. Das ist eine wichtige Grundlage, dass man nicht nach Bauchgefühl agiert, sondern wirklich eine Datenbasis hat, was wird wirklich gebraucht. Und weil wir das schon so lange machen, habe ich es etabliert, dass ich Botschafter*innen in allen Zielgruppen habe und damit meine ich, dass ich auch wirklich mit denen in Kontakt bin. Ich treffe mich regelmäßig mit ihnen zum Mittagessen oder jetzt zu Videokonferenzen, in denen wir uns austauschen. Dieser Job und ein Projekt familiengerechte Hochschule hat viel mit Kommunikation zu tun, regelmäßig und kontinuierlich. Es reicht nicht einmal im Jahr zu fragen, sondern da muss man sich Zeit nehmen und sagen, da treffen wir uns. Das sind für mich dann auch Arbeitsgespräche, die sind zwar dann informell. Es gibt aber einen gewissen Rahmen, in dem man fragt und Raum lässt, dass man beobachten kann, wo läuft da was schief. Das sind für mich wichtige Instrumente und auch das Einsetzen von Medien. Da muss man gucken, wer reagiert auf welches Medium? Manche nutzen die Homepage, manche gehen nie auf die Homepage. Die Studierenden arbeiten viel mehr mit Instagram und Twitter. Die etwas Älteren nutzen Facebook. Da muss man was die Sprache und Bildsprache angeht, darauf achten. Man braucht viel Energie für den Kontakt mit den Zielgruppen, der mir auch viel Spaß macht.

Eine vorbildhafte Maßnahme im Handlungsfeld Information und Kommunikation des audit ist die „Vereinbarkeitswoche“ der Universität Bremen. Sie fand in diesem April bereits zum zweiten Mal statt. Beschreiben Sie bitte kurz, wie Sie auf die Idee der Vereinbarkeitswoche gekommen sind.

BS: Wir haben einen Vereinbarkeitskalender von Ihnen bekommen und da stand eine Vereinbarkeitswoche im November drin. Da habe ich mir gedacht, ja toll eine Vereinbarkeitswoche. Eine ganze Woche rund um das Thema Vereinbarkeit, das ist ja nochmal nachhaltiger, vielfältiger und prominenter. Man kann eine andere Werbung machen, nämlich Werbung für alle. Man muss nicht gucken, in welche Kanäle gebe ich das, damit die Studierenden das erfahren, sondern dann kann man das so richtig vollumfänglich machen. Das fanden meine Kolleginnen und ich so klasse, dass wir gesagt haben, das machen wir. Die erste Vereinbarkeitswoche wurde sehr gut angenommen und dann waren wir bestätigt darin und auch die Kanzlerin konnten wir überzeugen. Sie hat jeweils immer ein Grußwort gehalten und die Beschäftigten konnten dann auch an zwei Veranstaltungen pro Tag freinehmen, wenn sie wollten. Wir haben alle Hand in Hand daran gearbeitet und das war und ist sehr fruchtbar.

Geben Sie uns bitte mal einen kleinen Rückblick zur letzten Vereinbarkeitswoche, die im April stattfand. Was war hier das Kernthema? Und was wurde geboten?


BS
: Wir haben uns an Zielgruppen orientiert. Das hatte seine Vor- und Nachteile. Jetzt haben wir Thementage gemacht. Ich nenne jetzt Mal ein paar Beispiele. Der Montag hatte das Thema „Care Work: Familie“. Da hatten wir das Motto: „Viel Care- Kein Brot?!“, Dann hatten wir den Dienstag, an dem ging es um Lebenskrisen und psychische Gesundheit und da hatten wir das Motto „Geteilter Load, ist halber Load“. Da ging es viel um das Thema Mental Load. Mittwoch war dem Thema „Care Work: Kinder“ gewidmet. Da war das Motto „Mit Kind an die Uni, ja, nein, vielleicht“. Da hatten wir auch einen Beitrag zum Thema „Leben mit einem behinderten Kind. Wir sind mal darauf angesprochen worden, ob die Angebote, die wir für Kinder machen auch integrativ sind und das hat uns sehr zu denken gegeben. Das hat uns sehr sensibilisiert, sodass wir jetzt bei Kinderbetreuungsthemen wie Kinderferienfreizeiten etc. auch immer Kinder mit Behinderung mitdenken und die auch benennen. Wir haben festgestellt, dass wenn Minderheiten nicht mitgenannt werden, dann fühlen sie sich oft auch nicht mitgemeint. So machen wir ständig Erweckungserlebnisse.

Der Donnerstag war dem Thema „Selbstfürsorge und Gesundheit“ gewidmet. Das Motto war „self-care is more than simply taking a breath“. Der Freitag widmete sich dem Thema „FLINTR, LGBTQIA+“. FLINTR steht für Frauen Lesben und, Inter- Non-binary-, Transpersonen. LGBTQIA+ steht für lesbische Personen, gays, bisexuelle, transsexuelle, intersexuelle, queere, also genderqueere Personen. Das A steht für A-gender, also Personen, die sich keinem Geschlecht zuordnen. Das ist aus unserem Diversitätskonzept erwachsen, da haben wir in einem Jahr auch das Thema der unterschiedlichen Sexualitäten bespielt. Das greifen wir dann auch weiter auf, denn sonst macht es keinen Sinn. Das waren die Themen der Vereinbarkeitswoche im April dieses Jahrs.

Sie sind also ganz gezielt auf die Diversität der Zielgruppen eingegangen und haben ihre Bedarfe hinsichtlich der Vereinbarkeit aufgezeigt. Wie kam das bei den Teilnehmenden an?


BS: Ich muss sagen, was da schön ist, es gab unglaublich viel Dankbarkeit. Wir hatten auch einen Vortrag von einem Autor mit einer Tochter, die Trisomie 21 hat, der ein Buch darübergeschrieben hat und der viel mit seiner Familie reist und da kamen Anrufe und Mails von Eltern mit behinderten Kindern, die total begeistert waren. Ähnlich war es mit den Workshops und Vorträgen zum Thema FLINTR und LGBTQIA+. Wir haben sehr viel Lob bekommen und das motiviert nochmal sehr stark.

Wie tragen Sie die während der Vereinbarkeitswoche gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen nun weiter in die Praxis? Wie also nutzen Sie z.B. das Feedback zu weiteren Gestaltung Ihrer familiengerechten Arbeits- und Studienbedingungen?

BS: Bei der Vereinbarkeitswoche habe ich eine Kollegin an meiner Seite und wir haben viele engagierte studentische Hilfskräfte. Wir treffen uns dann zur Evaluation jeder Veranstaltung der Vereinbarkeitswoche. Dann gucken wir, was sich als sehr gut erweist, wie z.B. auch die Vorträge zu behinderten Kindern, das wollen wir dann immer machen. Wo wir merken, das ist nicht so gut angekommen, das lassen wir dann auch weg. Wir haben beim letzten Mal auch das Thema Schwangerschaftsabbruch mit reingenommen. Es ist bekannt, dass das Thema für die Frauen oftmals mit einem längeren Abschiedsprozess verbunden ist. Dem wollten wir auch Raum geben und haben mit pro familia zusammengearbeitet und da haben wir gemerkt, das wollen wir auch beibehalten.

Unsere Evaluation spiegeln wir an die Kanzlerin und den Konrektor für Studium und Lehre, weil das für die auch wichtig ist, was da so gesagt wird. Wir gucken dann eben bei jenen Vorträgen, die gut angekommen sind, dass wir die wieder machen und wo etwas nicht so gut ankam oder es nicht genau benannt wurde, das machen wir anders.

Sie wählen jedes Jahr einen neuen Schwerpunkt für die Vereinbarkeitswoche. Verraten Sie uns, welcher das in 2022 sein wird?

BS: Das würde ich gerne tun, ab November bereiten wir die neue Woche vor. Was uns aber klar ist, wir wollen das Thema Väter* mehr stärken und mehr flexiblere Angebote machen. Wir haben zudem mitbekommen von Studierenden, dass auch Studierende mit dem Thema Pflege zu tun haben. Ein gutes Beispiel hierfür ist eine Studierende, die sagte, sie hat mit der Pflege ihrer Großeltern zu tun. In dem Beratungsgespräch kam heraus, dass ihre beiden Eltern berufstätig waren und sind und sie viel bei den Großeltern war und von daher eine sehr enge Beziehung zu den Großeltern hat. Die Großeltern sind in einem Alter, in dem sie jetzt eben pflegebedürftig werden. Ich vermute mal, das ist meine Hypothese, dass solche Themen stärker in den Vordergrund rücken können. Heutzutage und in den letzten 20, 30 Jahren ist die Berufstätigkeit der Frauen Gott sei Dank gestiegen, sodass Großeltern da nochmal eine andere Rolle spielen werden. Das müssen wir nochmal überprüfen, aber das Thema wäre dann Young Caregivers für mich. Da müssen wir nochmal genauer sondieren, wie die Lage ist.

Ende Juni fand auch die Kick-Off- Veranstaltung zu „carat-Caring all together“ statt. Wobei geht es hier?

BS: Das ist ein Projekt, das ich konzipiert habe und das geht über die Hochschule hinaus. Ich glaube, wir sind schon ganz lebendig, in dem was wir tun. Wir stoßen nur immer wieder an Grenzen und das Care-Thema ist ein Thema, das in alle Bereiche reinwirkt. Wirtschaft ist Care, es gibt berufliche und private Care-Arbeit. Ich hatte anfangs auch gesagt die Gesetzgebungen hinken hinterher oder sind gar nicht abgestimmt miteinander. Im Pflegebereich gibt es auch die sogenannte Care-Krise. Daraus ist dann das „All together“ erwachsen – Wir müssen uns alle kümmern im weitesten Sinne. Da versuchen wir Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft im Land Bremen zusammenzubringen und zu gucken, wie können wir Rahmenbedingungen verbessern, um die Care-Thematik, die uns alle betrifft – von der Geburt bis zur Bahre – mehr in den Blick zu nehmen. Bei der Kick-Off-Veranstaltung fand ich eine Sache sehr eindrücklich. Eine der Referentinnen, die wir eingeladen hatten, hatte einen Vorschlag gemacht, den ich charmant fand und den ich jetzt nenne. Es ging dabei um Erwerbsarbeit und Rente. Statistisch gesehen übernehmen Frauen mehr Care-Arbeit, gehen eher in Teilzeit etc. Der Vorschlag der Wissenschaftlerin war, dass man bei der Rentenberechnung sagt, 2/3 ist Erwerbsarbeit und 1/3 des vollen Rentenbezugs könnte nachgewiesene Care-Arbeit sein. Solche Dinge sollen gedacht werden. Der Bürgermeister von Bremen ist unser Schirmherr. Es soll übergeordnet gedacht werden. Das ist der Prozess, den wir anstoßen wollen.

Warum empfehlen Sie anderen Hochschulen sich strategisch mit der Vereinbarkeit von Studium, Arbeit und Privatleben zu befassen und passgenaue Angebote zu schaffen?

BS: Da sage ich: Die Hochschule soll ein guter und qualitativ hochwertiger Ort sein, an dem ein gutes Studieren und ein gutes und fruchtbares Arbeiten und Forschen möglich ist – und zwar solidarisch.

Ergänzen Sie bitte folgenden Satz: Eine Hochschule agiert dann in Fragen der Vereinbarkeit nachhaltig, wenn …

BS: Wenn sie je nach Größe feste Stellen bereithält, die sich um diese Thematik kümmert. Oftmals sind es Projektstellen, die bergen ja immer die Gefahr, dass das Thema nur so lange bespielt wird, wie es das Projekt gibt. Bei kleineren Stellen können es auch anteilige Stellen sein. Wenn Care auch ein Thema in der Hochschulöffentlichkeit ist und wenn es ein Kita-Angebot gibt und wenn sie in ihren Räumen Orte schafft, wo Care auch sichtbar ist.


Super, dann danke ich Ihnen für das tolle Gespräch, da haben sie schon viele Aspekte genannt und auch gezeigt, dass es sich lohnt, strategisch an Vereinbarkeit ranzugehen und wir freuen uns schon auf ihre nächste Vereinbarkeitswoche! Da werden dann wir auch wieder draufschauen.


BS: Herzlichen Dank, dass ich die Gelegenheit hatte, mit ihnen das Gespräch zu führen.


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