Freitag, 24. Juni 2022

Im Kern fair: So war unser erster VereinbarkeitsSumm(er)it

„faireinbaren“ – Praxisbeispiele fairer Vereinbarkeitspolitik präsentiert von Vertreter*innen nach dem audit berufundfamilie bzw. audit familiengerechte hochschule zertifizierter Organisationen (Quelle: berufundfamilie Service GmbH)

Als Warm-up zu unserer virtuellen Zertifikatsfeier (21.06.2022) eröffneten wir am 20.06.2022 unseren ersten webbasierten VereinbarkeitsSumm(er)it. Krankheitsbedingt konnten von drei geplanten Veranstaltungen nur zwei stattfinden, aber das verringerte den Infogehalt nur bedingt. Hier reißen wir kurz an, was es zu erfahren gab.

Was sind faire Arbeitsbedingungen? Und wie können Vereinbarkeitsangebote für alle fair gestaltet werden? Geleitet von diesen zentralen Fragestellungen führten wir am 20. Juni 2022 unseren ersten VereinbarkeitsSumm(er)it durch. Der bestand letztendlich aus zwei virtuellen Sessions, die sich dem Aspekt „fair“ aus unserem Jahresmotto „miteinander vereinbaren, gesund, fair zusammen“ widmeten und von unserem Kollegen Jens Munsel-Gerber moderiert wurden.

Warum ein VereinbarkeitsSumm(er)it zum Thema „Faire Vereinbarkeitspolitik“? Die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben kommt oftmals nicht an einer Gerechtigkeitsdebatte vorbei – zumindest dann nicht, wenn es keine transparenten, verlässlichen Regelungen und Absprachen zur Ausgestaltung und Nutzung von Vereinbarkeitsangeboten gibt. Das wurde uns durch das verstärkte Arbeiten auf Distanz während der Coronapandemie besonders deutlich vor Augen geführt.

Auch heute zeigt sich: Dort, wo es kein Rahmenwerk gibt, driften Teams teilweise auseinander. Im Gegensatz läuft es dort, wo klar geregelt ist, wer z.B. wann und in welchem Umfang an der Arbeitsstätte sein kann bzw. soll, flüssiger. Solche Regelungen dienen der Transparenz in der Zusammenarbeit und damit letztendlich auch dem Fairness-Empfinden der Beschäftigten.

Aber wie viele Regeln braucht Flexibilität, die wir ja auch Dank der vorangeschrittenen Digitalisierung, besser denn je leben können? Und wie vertragen sich Regeln eigentlich mit den einzelnen Vorstellungen von Beschäftigten, die – im Zeitalter der Individualisierung – in die Personalpolitik immer größere Berücksichtigung erhalten sollten? Und überhaupt – wie steht es mit dem Umgang mit der Vielfalt der Beschäftigten – sei es deren äußerlich wahrnehmbare oder weitere zu ihrer Persönlichkeit zählende Faktoren?

Faireinbaren


In der Session „faireinbaren: Faire Vereinbarkeitspraxis – Beispiele aus dem audit-Netzwerk“ berichteten Vertreter*innen aus drei Organisationen, die aktuell das Zertifikat zum audit berufundfamilie bzw. das audit familiengerechte tragen, beispielhaft, mit welchen Bausteinen sie die Fairness ihrer Vereinbarkeitspolitik fördern bzw. untermauern.

Flexibilisierung braucht Regelungen – auch, um den fairen Umgang miteinander zu wahren. Gewissermaßen ist das auch ein Aspekt, der zu der neuen Betriebsvereinbarung über mobiles Arbeiten bei der U.I. Lapp GmbH geführt hat. Getrieben ist die Betriebsvereinbarung aber eben auch aus dem Fairnessgedanken heraus. Diese sieht vor, dass sich die Mitarbeitenden in Absprache mit der Führungskraft einem von vier Worktypes zuordnen, die nach Umfang der mobilen Tätigkeit aufgegliedert sind: Das sind LAPPianer Onsite, Co-Worker, Citizen und Nomaden mit unterschiedlichen % mobilem Arbeiten, unterschiedlichen Rahmenbedingungen mit Tisch, Equipment und Parkplatz etc. Die Worktype-Zuordnung bleibt aber flexibel. So kann bei Änderung von Rahmenbedingungen – sei es eine andere berufliche Aufgabe oder neue private Herausforderungen – der Worktype in Absprache mit der Führungskraft gewechselt werden.

Die U.I. Lapp GmbH mit Sitz in Stuttgart ist Weltmarktführer für integrierte Lösungen und Markenprodukte für Kabel-, Zubehör- und Verbindungstechnik – und gestaltet seit 2013 seine betriebliche Vereinbarkeitspolitik mit dem audit berufundfamilie. Über ihre neue Betriebsvereinbarung über mobiles Arbeiten sprechen wir mit zwei Vertreter*innen der U.I. Lapp GmbH übrigens auch in unserem Podcast, der am 28.06.2022 u.a. auf Soundcloud erscheinen wird.

Das zweite Praxisbeispiel zum Thema „Faire Vereinbarkeitspraxis“ liefert die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, die erstmals im Jahr 2009 mit dem Zertifikat zum audit familiengerechte hochschule ausgezeichnet wurde. Bei der RWTH Aachen University wie auch in anderen Organisationen, die sich intensiv mit der Gestaltung familien- und lebensphasengerechter Arbeitsbedingungen beschäftigten, weiß man: Führungskräfte sind das Nadelöhr einer gelingenden Vereinbarkeit. Als Anerkennung und auch Ansporn für Führungskräfte, die Vereinbarkeit auf faire Weise zu fördern, hat die RWTH Aachen University schon vor Jahren den FAMOS-Preis ins Leben gerufen.

Jede*r einzelne Beschäftigte*r, aber auch Teams, können ihre Führungskraft für den FAMOS-Preis vorschlagen. Dabei kann die Motivation einer Nominierung aus einer ganz konkreten Situation erwachsen, in der Mitarbeitende Unterstützung in Vereinbarkeitsfragen erfahren haben. Und diese muss nicht an Bedarfen wie Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen gekoppelt sein. Mit dem FAMOS-Preis soll daher Beschäftigten eine Stimme gegeben und darüber die Breite an Vereinbarkeitsbedarfen und -wünschen aufgezeigt werden. In diesem Jahr wurde der Preis bereits zum 15. Mal vergeben. 60 Preisträger*innen gibt es inzwischen. Nicht nur die Themenbreite hat zugenommen, sondern auch die Zahl der Gewinner*innen pro Jahr: Während in den ersten Jahren jeweils eine Führungskraft den Preis erhielt sind es inzwischen pro Jahr 6 bis 8 Auserwählte.

Apropos „Auswahl“: Nach der zweimonatigen Nominierungsphase wählt eine Jury – u.a. besetzt mit Rektorat und Vertretung der Gleichstellung – die Preisträger*innen aus. Als Gewinn winkt nicht nur ein Glaskubus, sondern auch ein Preisgeld von 500 EUR, das für eine Teamaktion ausgegeben werden soll. Und die Ideen werden auch gleich in einer Broschüre mit Vorschlägen für Aktivitäten mitgeliefert. Wie selbstverständlich werden die Preisträger*innen in einer Feier mit Team und deren Familienangehörigen wertgeschätzt. Weitere Informationen zum FAMOS-Preis sind auf der Website der RWTH Aachen University zu finden.

Vom Westen des Landes reisten wir in der Session dann für das dritte Praxisbeispiel in den Osten – genauer gesagt nach Halle an der Saale. Dort hat die GISA GmbH ihren Hauptsitz, die seit 2009 ihre familien- und lebensphasenbewusste Personalpolitik mit dem audit berufundfamilie gestaltet. GISA ist ein IT-Komplettdienstleister, der – wie die RWTH Aachen – erstmals 2009 auditiert wurde und seitdem das Zertifikat zum audit berufundfamilie trägt. Die GISA GmbH hat etwas bislang Einmaliges auf die Beine gestellt – und zwar den Tarifvertrag Familie. Er wurde gemeinsam mit ver.di erarbeitet.

Mit dem Tarifvertrag Familie schenkt GISA beschäftigten Eltern mit Kindern bis zu 12 Jahren vier zusätzliche Urlaubstage. Bei jüngeren Kindern haben die Mitarbeitenden die Wahl, ob sie lieber einen Betreuungszuschuss erhalten möchten. Einer der weiteren Bausteine des Tarifvertrags ist die Möglichkeit des „Kaufs“ von zusätzlichen freien Tagen: So kann jede*r Beschäftigte, die*der neben dem geregelten Urlaub weitere Zeit für Privates benötigt, bis zu 18 extra Tage erhalten, indem sie auf das entsprechende Gehalt verzichten. Hier werden nicht nur Eltern mit Kindern im betreuungspflichtigen Alter oder Mitarbeitende mit Pflegeaufgaben angesprochen. Die Regelung gilt unabhängig von einer familiären Aufgabe im engeren Sinne.

Fair, weil divers


„fair weil divers“ lautete der Teasertitel der dritten Veranstaltung im Rahmen des VereinbarkeitsSumm(er)its. Fairness in der Arbeitswelt bedeutet auch immer die Berücksichtigung der Vielfalt der Beschäftigten. Aber inwieweit sind Diversität und eine funktionierende Vereinbarkeitspolitik miteinander verwoben? Wie zeigt sich Vielfalt in einer modernen Arbeitswelt? Und wie steht es um den Aspekt der Diskriminierung im Arbeitsumfeld?

Aufklärung gab es durch Dr. Lorenz Narku Laing – Diversity-Trainer, Politik- und Sozialwissenschaftler sowie Gründer und Geschäftsführer der Vielfaltsprojekte GmbH. Das Team der Vielfaltsprojekte GmbH entwickelt Bildungs- und Beratungsformate für die offene Gesellschaft. Über 400 Bildungsangebote zu Rassismus, Diskriminierung, Sexismus, Ableismus, Religion, Migration, Integration und inklusiver Öffnung konnte die Vielfaltsprojekte GmbH seit 2015 bereits umsetzen.

In seiner Keynote, die unter dem Titel „Vielfalt und Diskriminierung im modernen Arbeitsalltag“ stand, ging Dr. Lorenz Narku Laing auf aktuelle Entwicklungen bei Diskriminierungserfahrungen aufgrund der Herkunft, des Geschlechts und der geschlechtlichen Identität, der sexuellen Orientierung und des Alters ein. Auch die Vielfaltsdimension „soziale Herkunft“ unterstrich er in der Wichtigkeit von beruflichen Biographien. Ein Appell dabei: Jede*r von uns ist im wahrsten Sinne des Wortes vielfältig und vereint mehrere dieser Dimensionen auf sich, daher ist es besonders wichtig Perspektivwechsel zu betreiben. Dies unterstrich er mit anschaulichen Beispielen aus der Praxis.

Die Botschaft der Keynote wurde deutlich: It’s in the mix: Vielfalt ist eine Bereicherung für die Gesellschaft und Erfolgsfaktor in der modernen Arbeitswelt. Arbeitgeber sollen sich vielfaltsgerecht aufstellen und die Vielfalt in ihrer Organisation bewusst stärken – etwa durch Role Models in der Belegschaft und der Führung. Besonders wichtig sei zudem eine Auseinandersetzung mit und der Abbau von (un-)bewussten Vorurteilen – und das über alle Hierarchieebenen hinweg.

Ausblick


Die Session „fair betrachtet“, die krankheitsbedingt ausfiel, planen wir nachzuholen. In ihr wird unsere Auditorin Dr. Brigitte Waffenschmidt, die auch als Lehrende an der Internationale Berufsakademie in Nürnberg tätig ist, die ersten Teilergebnisse unserer gemeinsamen Forschungsstudie zum Fairness-Empfinden von Beschäftigten vorstellen. Weitere Infos dazu folgen in Kürze auf unseren Kanälen.

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