Die Technische Hochschule Mittelhessen gestaltet ihre familiengerechten Strukturen seit 17 Jahren mit Unterstützung des audit familiengerechte hochschule (Quelle: Technische Hochschule Mittelhessen) |
Das audit familiengerechte hochschule ist in diesem Jahr 20 Jahre alt geworden. Aus Anlass des Jubiläums bitten wir einige der aktuell über 100 zertifizierten Hochschulen zum Interview. Heute steht uns das Team der Technischen Hochschule Mittelhessen (THM) Rede und Antwort.
2005 durchlief die Technische Hochschule Mittelhessen erstmals das audit familiengerechte hochschule. Seither hat die THM ihre familiengerechten Arbeits- und Studienbedingungen für ihre knapp 1.270 Beschäftigten und ca. 17.000 Studierenden an den Campus in Friedberg, Gießen und Wetzlar kontinuierlich ausgebaut. Uns interessiert nicht nur, wie das audit familiengerechte hochschule strategisch auf die drittgrößte Hochschule für angewandte Wissenschaften Deutschlands eingewirkt hat, sondern auch, wie die gelebte Familiengerechtigkeit an der THM konkret aussieht. Anette Schönberger, THM Abteilungsleitung Personalentwicklung und Gleichstellung, und Julia Schäfer, THM Sachgebietsleitung Gleichstellung, berichten uns in dem folgenden Interview daher gemeinsam u.a. über durchdringende Kommunikation, die Rolle der Führungskräfte in der Vereinbarkeitspolitik, die Unterstützung von Promovierenden und das studentische Gesundheitsmanagement der THM.
Die Technische Hochschule Mittelhessen ist seit 2005 nach dem audit familiengerechte hochschule zertifiziert. Was sind für Sie die wesentlichen Effekte des Managementinstruments?
Familiengerechte Arbeits- und Studienbedingungen sehen wir nicht nur sehr klar als wesentliches Element im Rahmen der Arbeitgeberattraktivität, sondern ebenso im Rahmen der Attraktivität des Studienortes.
Eine familiengerechte Hochschule verspricht die bestmögliche Vereinbarkeit von Beruf/ Studium und Familienaufgaben. Nicht zu unterschätzen ist dies auch im Rahmen der wissenschaftlichen Karrieren. Familiengerechte Strukturen ermöglichen ja oft erst, dass Studium oder auch Promotionsverfahren unproblematisch erfolgreich abgeschlossen werden können.
Das Auditierungsverfahren, welches die Hochschulen spätestens alle 3 Jahre veranlasst nicht nur alle geplanten Maßnahmen umzusetzen, sondern auch kritisch zu hinterfragen, zu beleuchten und neue Ziele zu definieren, ist hierbei sehr hilfreich, um die Strukturen stets weiterzuentwickeln und zeitgemäß zu halten.
Hochschulbetrieb zu Corona-Zeiten. Was sind Ihre Erkenntnisse? Was wird bleiben zur besseren Vereinbarkeit von Beruf bzw. Studium, Familie und Privatleben?
Der Rückblick auf die Pandemiezeiten in 2020 und 2021 verbinden viele mit negativen Gedanken zu Privat- und Berufsleben, beispielsweise wegen der notwendigen Isolation mit ihren bekannten Auswirkungen, der deutlich mehr geforderten Flexibilität, um Familie/ Studium und Beruf „unter einen Hut zu bringen“, kurzum der plötzlich fehlenden Abgrenzung in Verbindung mit Home-Office und Homeschooling.
Dennoch hat uns diese Zeit sehr viele zukunftsweisende Vorteile gebracht. Digitale Formate in Studium und Beruf wurden schnell, gut und deutlich ausgebaut. Diese schenken uns heute die Flexibilität, die wir sehr positiv nutzen können. Unsere neue Dienstvereinbarung „Mobiles Arbeiten“ ermöglicht uns wesentliche Anteile unserer Arbeitszeit ortsunabhängig zu erbringen, im „Familienfreundlichen Modell“ sind diese Anteile noch deutlich ausgeweitet. Dienstreisen werden obsolet, wenn sich aufgrund des Anlasses oder ggf. der Dauer die Durchführung einer Videokonferenz als bessere Variante herausstellt.
Dies kann viel Zeit sparen, wo es sinnvoll ist. Es bleibt natürlich wichtig, dennoch die Vernetzungsarbeit nicht zu vernachlässigen, um das Miteinander – ggf. mit neuen Wegen – zu fördern.
Um Akzeptanz für Vereinbarkeitsangebote zu schaffen und deren Tragfähigkeit zu stärken, bedarf es durchdringender Kommunikation. Aufgrund der verschiedenen Statusgruppen (nichtakademische Beschäftigte, wissenschaftliche Mitarbeitende, Studierende) kann das eine Herausforderung sein. Wie meistern Sie diese?
Um Akzeptanz zu fördern ist es wichtig, dass wir entsprechende Themenstellungen präsent halten. Daher gilt es, diese nicht nur für alle Stakeholder auf Homepageseiten/ Intranetseiten/Publikationen ausführlich darzustellen, sondern auch aktuelle Themenstellungen als Tagesordnungspunkte in Gremien einzubringen. Wichtig ist, dass die familiengerechte Hochschule in allen Dimensionen mitgedacht wird, wie beispielsweise in der Hochschulentwicklungsplanung, dem Personalentwicklungskonzept der THM, dem Frauenförderplan oder auch in allgemeinen hochschulweiten Projekten.
Zusätzlich gilt es, Betroffene zu informieren. Dies erreichen wir durch konsequente Einbindung in die Aktivitäten für Studierende, wie beispielsweise in die Studieneinführungswochen, in das Begrüßungscafé für studentische Familien, mittels Infoständen, die Einbindung in Veranstaltungen des Studentenwerks und auch die Nutzung von Kanälen wie Facebook und Instagram.
Für Beschäftigte bieten wir eine jährliche Veranstaltung an, um die Möglichkeiten und Angebote an der Hochschule zur Vereinbarkeit von Beruf und Aufgaben in der Kinderbetreuung – und mit wachsender Bedeutung – in der Pflege naher Angehöriger vorzustellen.
Im Zuge von #IchbinHanna gibt es immer wieder Diskussionen um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz und das darin enthaltene Sonderbefristungsrecht. Ist die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft so überhaupt möglich? Welche Möglichkeiten bzw. Chancen sehen Sie als Hochschule?
Für wissenschaftliche Karrieren und die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft sind Planbarkeit und verlässliche Arbeitsbedingungen zentral. Um Promovierenden gute Rahmenbedingungen zu ermöglichen, hat die THM Empfehlungen im Leitfaden für die Betreuung von Promovierenden an der THM festgelegt. Mit dem Abschluss einer Betreuungsvereinbarung soll eine kontinuierliche strukturierte Betreuung der Promovierenden sichergestellt werden und die Promotion in einem angemessenen Zeitraum mit hoher Qualität abgeschlossen werden können.
Die THM sieht sich in der Verantwortung, ihren Promovierenden für die Dauer der Promotion von drei bis vier Jahren eine sichere Finanzierung zu ermöglichen. Hierzu stellt die THM über ihren Strategischen Forschungsfonds zentral einen Pool an Promotionsstellen zur Verfügung. Die Promotionsstellen wurden und werden durch das Land Hessen gefördert: aus dem Innovations- und Strukturentwicklungsbudget von 2016 – 2020 und anschließend aus dem Programm zum Aufbau eines akademischen Mittelbaus an hessischen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften von 2021 – 2025.
Weiterhin unterstützt die THM über ihren Strategischen Forschungsfonds Promotionsanwärter*innen bzw. Promovierende bei der Durchführung ihres Promotionsvorhabens durch Anschub- und Abschlussfinanzierungen sowie weitere (finanzielle) Unterstützungsmaßnahmen bei Konferenzteilnahmen, Summer Schools, Publikationen, Kinderbetreuung und Laborunterstützungen. Promovierende, die ihr Promotionsvorhaben aus familiären Gründen unterbrochen haben, können nach der Familienpause bis zu 18 Monate ein Promotionsabschluss-Stipendium erhalten.
Im Zuge des Mittelbaukonzepts der THM werden nicht nur Promotionsstellen an der THM finanziert, sondern auch Stellen für promovierte Wissenschaftler*innen in Form von Nachwuchsgruppenleitungen, um den an HAWen noch unterrepräsentierten akademischen Mittelbau strukturiert und dauerhaft auf- und auszubauen und so eine dauerhafte Perspektive an der Hochschule zu bieten. Die Option der Tandem-Professur erweitert den klassischen Weg zur Professur an HAWen (HHG § 71). Das im Rahmen des Bund-Länder-Programms „FH Personal“ geförderte Projekt „ProTHM“ bietet Beratungs- und Unterstützungsangebote für den Karriereweg einer HAW-Professur an der THM. Aber auch alternative Beschäftigungsmöglichkeiten in Form von Hochschullektor*innnen (HHG § 72, Absatz 5) oder Beschäftigungen im Bereich des Wissenschaftsmanagements sollten aufgezeigt werden.
Gemäß dem Kodex für gute Arbeit an Hessischen Hochschulen soll die Befristungsdauer des Arbeitsvertrags die Projektlaufzeit nicht unterschreiten. Kettenverträge sind zu vermeiden. Möglichkeiten der Vertragsverlängerung über die Höchstbefristungsdauer bestehen bei Inanspruchnahme von Mutterschutz, Elternzeit sowie bei der Betreuung im eigenen Haushalt lebender Kinder. Im Zuge der Covid-Pandemie wurde die Höchstbefristungsgrenze für betroffenen Wissenschaftler*innen auf 13 Jahre verlängert (WissZeitVG § 7 Absatz 3).
Sie planen mehr Transparenz und die Weiterentwicklung des Angebots „Familiengerechte Hochschule“ – einmal nach dem Lebenszyklus-Prinzip für Studierende und Promovierende mit Kind und einmal nach dem Lebensphasenprinzip für Beschäftigte. Erläutern Sie uns das doch bitte etwas genauer. Wie sind Sie zu diesen beiden Prinzipien gekommen? Was folgt aus ihnen?
Die THM möchte Studierende mit Familienaufgaben in den verschiedenen Lebenszyklus-Phasen ihres Studiums begleiten und unterstützen. Bereits vor Beginn des Studiums haben Studieninteressierte die Möglichkeit, sich auf der Homepage oder im persönlichen Gespräch über familiengerechte Angebote der THM zu informieren. Auch die Zertifizierung zur „Familiengerechten Hochschule“ sendet hier bereits ein positives Signal.
Zu Beginn des Studiums wird eine Begrüßungsveranstaltung zur Information und Vernetzung von Studierenden mit Kind(ern) angeboten. Im weiteren Verlauf ihres Studiums werden die Studierenden dabei unterstützt, ihr Studium bestmöglich abzuschließen, z.B. durch finanzielle Unterstützung zur Kinderbetreuung. Das Team „Familiengerechte Hochschule“ übernimmt dabei eine Lotsenfunktion für alle Belange innerhalb der Hochschule.
Begleitende Seminare wie z.B. zum Thema „Berufseinstieg mit Kind“ oder rund um die Bewerbung speziell für Frauen unterstützen den Übergang in den Beruf von Studierenden mit Kind(ern).
Promovierende mit Familienaufgaben finden im Referat „Forschung und wissenschaftlicher Nachwuchs“ Unterstützung, z.B. durch ein Promotionsabschluss-Stipendium für Doktorandinnen nach der Familienphase.
Die THM unterstützt die Anliegen von Beschäftigten ihre Arbeitszeit auf Wunsch lebensphasenbedingt und familiengerecht anzupassen. Beschäftigte haben in der Regel in unterschiedlichen Lebensphasen auch unterschiedliche Anforderungen an ihren Arbeitgeber, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie optimal gestalten zu können. Hier setzen wir gerne an und bieten in unterschiedlichen Lebensphasen Lösungsvorschläge, die ein Gelingen ermöglichen. Dies zeigt sich auch durch unterschiedliche Arbeitszeitmodelle, eine große Bandbreite in der variablen Arbeitszeit, Telearbeit/mobiles Arbeiten und der weiteren Flexibilisierung des Arbeitsortes. Flankiert werden diese Gestaltungsoptionen durch unterstützende Maßnahmen; beispielsweise:
Unser Jahresmotto 2022 lautet „miteinander vereinbaren – gesund, fair, zusammen“. Apropos zusammen: Zusammen mit anderen hessischen Hochschulen bieten Sie für neuberufene Professor*innen hochschuldidaktische Einführungswochen an. Was sind hier konkrete Inhalte? Ist Vereinbarkeit auch ein Thema?
Die hochschuldidaktischen Einführungswochen der AGWW (Arbeitsgruppe wissenschaftlicher Weiterbildung – ein Verbund hessischer Hochschulen) bieten für neuberufene Professor*innen einen Einstieg in die Lehre. Die Teilnehmenden setzen sich mit ihrer neuen Rolle als Hochschullehrer*in auseinander. Durch praxisnahe Übungen lernen sie zentrale hochschuldidaktische Aspekte für die Planung und Durchführung ihrer Lehrveranstaltungen kennen und anzuwenden. Nach einigen Monaten Praxis haben alle Teilnehmer*innen in einem zweitägigen Workshop Gelegenheit zu einem Erfahrungsaustausch über die eigene Lehrtätigkeit und die Umsetzung von Anregungen aus der hochschuldidaktischen Woche. Diese individuellen Erfahrungen werden im Hinblick auf Ziele, Methoden und Auswirkungen der Evaluation der Lehre sowie Prüfungen reflektiert.
Daneben bleibt in der Veranstaltung auch Raum, sich untereinander zu vernetzen und auszutauschen – auch zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In kollegialen Beratungen können Erfahrungen und praktische Tipps weitergegeben werden.
Nach diesem Einstieg in die Lehre werden von der AGWW weitere hochschuldidaktische Weiterbildungen für Lehrende angeboten, darunter beispielsweise auch zur Work-Life Balance in dem Seminar „Das Leben, die Arbeit, die Promotion, meine Familie und ich – wirksames Selbstmanagement und wirksame Selbstführung“.
Besonders wichtig für eine nachhaltige Verankerung der Vereinbarkeitsthematik in der gesamten Hochschule ist deren Akzeptanz und aktive Förderung durch Führungskräfte. Daher ist im Rahmen des audit familiengerechte hochschule die Bearbeitung des Handlungsfelds Führung obligatorisch. Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um eine familiengerechte Führung zu etablieren?
Im Hochschulleitbild definiert die THM, dass sie die Vielfalt unter ihren Mitgliedern wahrnimmt, diese aktiv nutzt und fördert. Sie stellt sich mit ihrem Verhaltenskodex gegen jede Art von Diskriminierung und verpflichtet sich, Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit zu fördern. Dieser Ansatz, insbesondere die konsequente Umsetzung des Gleichstellungs- und Gleichbehandlungsgrundsatzes, findet sich in den aus 2016 stammenden Führungsgrundsätzen wieder, denen sich alle Führungskräfte der THM verpflichtet fühlen. Im jährlich zu überarbeitenden Personalentwicklungskonzept für alle Beschäftigten der THM ist definiert, dass Führungskräfte eine besondere Bedeutung bei der Umsetzung der „familiengerechten Hochschule“ haben. Daher werden diese durch geeignete Angebote an Führungskräfte in ihrem Führungsverhalten unterstützt, um diesen Kulturwandel weiterhin aktiv zu begleiten.
An der THM finden seit 2016 kontinuierlich und regelmäßig interne Führungskräftetrainings statt. Nahezu alle Abteilungs- und Sachgebietsleitenden der Verwaltung sind inzwischen durch ein mehrtägiges Führungskräftemodul geschult. Jährlich werden alle Führungskräfte zu Folgeveranstaltungen in einem Führungsthemenschwerpunkt eingeladen. Diese Schulungsreihe wird auch in den Folgejahren kontinuierlich fortgeführt und wurde auf die Fachbereiche ausgeweitet. In den Jahren 2021/22 waren die Themen: „Führen auf Distanz“ – mit den Herausforderungen in der Führungsarbeit von Teilzeitkräften, Beschäftigten im Homeoffice oder auch Führen in Teilzeit – ein Führungsthemenschwerpunkt, gefolgt von „Changemanagement“, welches die allgemeinen und aktuellen Anforderungen an Führungskräfte unterstützt. Durch feste Seminargruppen entsteht eine kollegiale Beratung. Eine regelmäßige und dauerhafte Unterstützung ist somit etabliert.
In den zu führenden Jahresgesprächen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten wird das Thema Vereinbarkeit regelmäßig thematisiert.
In den in den Jahren 2016 und 2019 durchgeführten anonymen Befragungen der Beschäftigten der Verwaltung zum Führungsverhalten der Vorgesetzten (Vorgesetztenrückmeldung) konnte eine sehr gute Bewertung in der Rubrik: „Mein/e VG unterstützt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ erreicht werden.
Die Technische Hochschule Mittelhessen ist seit 2005 nach dem audit familiengerechte hochschule zertifiziert. Was sind für Sie die wesentlichen Effekte des Managementinstruments?
Familiengerechte Arbeits- und Studienbedingungen sehen wir nicht nur sehr klar als wesentliches Element im Rahmen der Arbeitgeberattraktivität, sondern ebenso im Rahmen der Attraktivität des Studienortes.
Eine familiengerechte Hochschule verspricht die bestmögliche Vereinbarkeit von Beruf/ Studium und Familienaufgaben. Nicht zu unterschätzen ist dies auch im Rahmen der wissenschaftlichen Karrieren. Familiengerechte Strukturen ermöglichen ja oft erst, dass Studium oder auch Promotionsverfahren unproblematisch erfolgreich abgeschlossen werden können.
Das Auditierungsverfahren, welches die Hochschulen spätestens alle 3 Jahre veranlasst nicht nur alle geplanten Maßnahmen umzusetzen, sondern auch kritisch zu hinterfragen, zu beleuchten und neue Ziele zu definieren, ist hierbei sehr hilfreich, um die Strukturen stets weiterzuentwickeln und zeitgemäß zu halten.
Hochschulbetrieb zu Corona-Zeiten. Was sind Ihre Erkenntnisse? Was wird bleiben zur besseren Vereinbarkeit von Beruf bzw. Studium, Familie und Privatleben?
Der Rückblick auf die Pandemiezeiten in 2020 und 2021 verbinden viele mit negativen Gedanken zu Privat- und Berufsleben, beispielsweise wegen der notwendigen Isolation mit ihren bekannten Auswirkungen, der deutlich mehr geforderten Flexibilität, um Familie/ Studium und Beruf „unter einen Hut zu bringen“, kurzum der plötzlich fehlenden Abgrenzung in Verbindung mit Home-Office und Homeschooling.
Dennoch hat uns diese Zeit sehr viele zukunftsweisende Vorteile gebracht. Digitale Formate in Studium und Beruf wurden schnell, gut und deutlich ausgebaut. Diese schenken uns heute die Flexibilität, die wir sehr positiv nutzen können. Unsere neue Dienstvereinbarung „Mobiles Arbeiten“ ermöglicht uns wesentliche Anteile unserer Arbeitszeit ortsunabhängig zu erbringen, im „Familienfreundlichen Modell“ sind diese Anteile noch deutlich ausgeweitet. Dienstreisen werden obsolet, wenn sich aufgrund des Anlasses oder ggf. der Dauer die Durchführung einer Videokonferenz als bessere Variante herausstellt.
Dies kann viel Zeit sparen, wo es sinnvoll ist. Es bleibt natürlich wichtig, dennoch die Vernetzungsarbeit nicht zu vernachlässigen, um das Miteinander – ggf. mit neuen Wegen – zu fördern.
Um Akzeptanz für Vereinbarkeitsangebote zu schaffen und deren Tragfähigkeit zu stärken, bedarf es durchdringender Kommunikation. Aufgrund der verschiedenen Statusgruppen (nichtakademische Beschäftigte, wissenschaftliche Mitarbeitende, Studierende) kann das eine Herausforderung sein. Wie meistern Sie diese?
Um Akzeptanz zu fördern ist es wichtig, dass wir entsprechende Themenstellungen präsent halten. Daher gilt es, diese nicht nur für alle Stakeholder auf Homepageseiten/ Intranetseiten/Publikationen ausführlich darzustellen, sondern auch aktuelle Themenstellungen als Tagesordnungspunkte in Gremien einzubringen. Wichtig ist, dass die familiengerechte Hochschule in allen Dimensionen mitgedacht wird, wie beispielsweise in der Hochschulentwicklungsplanung, dem Personalentwicklungskonzept der THM, dem Frauenförderplan oder auch in allgemeinen hochschulweiten Projekten.
Zusätzlich gilt es, Betroffene zu informieren. Dies erreichen wir durch konsequente Einbindung in die Aktivitäten für Studierende, wie beispielsweise in die Studieneinführungswochen, in das Begrüßungscafé für studentische Familien, mittels Infoständen, die Einbindung in Veranstaltungen des Studentenwerks und auch die Nutzung von Kanälen wie Facebook und Instagram.
Für Beschäftigte bieten wir eine jährliche Veranstaltung an, um die Möglichkeiten und Angebote an der Hochschule zur Vereinbarkeit von Beruf und Aufgaben in der Kinderbetreuung – und mit wachsender Bedeutung – in der Pflege naher Angehöriger vorzustellen.
Im Zuge von #IchbinHanna gibt es immer wieder Diskussionen um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz und das darin enthaltene Sonderbefristungsrecht. Ist die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft so überhaupt möglich? Welche Möglichkeiten bzw. Chancen sehen Sie als Hochschule?
Für wissenschaftliche Karrieren und die Vereinbarkeit von Familie und Wissenschaft sind Planbarkeit und verlässliche Arbeitsbedingungen zentral. Um Promovierenden gute Rahmenbedingungen zu ermöglichen, hat die THM Empfehlungen im Leitfaden für die Betreuung von Promovierenden an der THM festgelegt. Mit dem Abschluss einer Betreuungsvereinbarung soll eine kontinuierliche strukturierte Betreuung der Promovierenden sichergestellt werden und die Promotion in einem angemessenen Zeitraum mit hoher Qualität abgeschlossen werden können.
Die THM sieht sich in der Verantwortung, ihren Promovierenden für die Dauer der Promotion von drei bis vier Jahren eine sichere Finanzierung zu ermöglichen. Hierzu stellt die THM über ihren Strategischen Forschungsfonds zentral einen Pool an Promotionsstellen zur Verfügung. Die Promotionsstellen wurden und werden durch das Land Hessen gefördert: aus dem Innovations- und Strukturentwicklungsbudget von 2016 – 2020 und anschließend aus dem Programm zum Aufbau eines akademischen Mittelbaus an hessischen Hochschulen für Angewandte Wissenschaften von 2021 – 2025.
Weiterhin unterstützt die THM über ihren Strategischen Forschungsfonds Promotionsanwärter*innen bzw. Promovierende bei der Durchführung ihres Promotionsvorhabens durch Anschub- und Abschlussfinanzierungen sowie weitere (finanzielle) Unterstützungsmaßnahmen bei Konferenzteilnahmen, Summer Schools, Publikationen, Kinderbetreuung und Laborunterstützungen. Promovierende, die ihr Promotionsvorhaben aus familiären Gründen unterbrochen haben, können nach der Familienpause bis zu 18 Monate ein Promotionsabschluss-Stipendium erhalten.
Im Zuge des Mittelbaukonzepts der THM werden nicht nur Promotionsstellen an der THM finanziert, sondern auch Stellen für promovierte Wissenschaftler*innen in Form von Nachwuchsgruppenleitungen, um den an HAWen noch unterrepräsentierten akademischen Mittelbau strukturiert und dauerhaft auf- und auszubauen und so eine dauerhafte Perspektive an der Hochschule zu bieten. Die Option der Tandem-Professur erweitert den klassischen Weg zur Professur an HAWen (HHG § 71). Das im Rahmen des Bund-Länder-Programms „FH Personal“ geförderte Projekt „ProTHM“ bietet Beratungs- und Unterstützungsangebote für den Karriereweg einer HAW-Professur an der THM. Aber auch alternative Beschäftigungsmöglichkeiten in Form von Hochschullektor*innnen (HHG § 72, Absatz 5) oder Beschäftigungen im Bereich des Wissenschaftsmanagements sollten aufgezeigt werden.
Gemäß dem Kodex für gute Arbeit an Hessischen Hochschulen soll die Befristungsdauer des Arbeitsvertrags die Projektlaufzeit nicht unterschreiten. Kettenverträge sind zu vermeiden. Möglichkeiten der Vertragsverlängerung über die Höchstbefristungsdauer bestehen bei Inanspruchnahme von Mutterschutz, Elternzeit sowie bei der Betreuung im eigenen Haushalt lebender Kinder. Im Zuge der Covid-Pandemie wurde die Höchstbefristungsgrenze für betroffenen Wissenschaftler*innen auf 13 Jahre verlängert (WissZeitVG § 7 Absatz 3).
Sie planen mehr Transparenz und die Weiterentwicklung des Angebots „Familiengerechte Hochschule“ – einmal nach dem Lebenszyklus-Prinzip für Studierende und Promovierende mit Kind und einmal nach dem Lebensphasenprinzip für Beschäftigte. Erläutern Sie uns das doch bitte etwas genauer. Wie sind Sie zu diesen beiden Prinzipien gekommen? Was folgt aus ihnen?
Die THM möchte Studierende mit Familienaufgaben in den verschiedenen Lebenszyklus-Phasen ihres Studiums begleiten und unterstützen. Bereits vor Beginn des Studiums haben Studieninteressierte die Möglichkeit, sich auf der Homepage oder im persönlichen Gespräch über familiengerechte Angebote der THM zu informieren. Auch die Zertifizierung zur „Familiengerechten Hochschule“ sendet hier bereits ein positives Signal.
Zu Beginn des Studiums wird eine Begrüßungsveranstaltung zur Information und Vernetzung von Studierenden mit Kind(ern) angeboten. Im weiteren Verlauf ihres Studiums werden die Studierenden dabei unterstützt, ihr Studium bestmöglich abzuschließen, z.B. durch finanzielle Unterstützung zur Kinderbetreuung. Das Team „Familiengerechte Hochschule“ übernimmt dabei eine Lotsenfunktion für alle Belange innerhalb der Hochschule.
Begleitende Seminare wie z.B. zum Thema „Berufseinstieg mit Kind“ oder rund um die Bewerbung speziell für Frauen unterstützen den Übergang in den Beruf von Studierenden mit Kind(ern).
Promovierende mit Familienaufgaben finden im Referat „Forschung und wissenschaftlicher Nachwuchs“ Unterstützung, z.B. durch ein Promotionsabschluss-Stipendium für Doktorandinnen nach der Familienphase.
Die THM unterstützt die Anliegen von Beschäftigten ihre Arbeitszeit auf Wunsch lebensphasenbedingt und familiengerecht anzupassen. Beschäftigte haben in der Regel in unterschiedlichen Lebensphasen auch unterschiedliche Anforderungen an ihren Arbeitgeber, um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie optimal gestalten zu können. Hier setzen wir gerne an und bieten in unterschiedlichen Lebensphasen Lösungsvorschläge, die ein Gelingen ermöglichen. Dies zeigt sich auch durch unterschiedliche Arbeitszeitmodelle, eine große Bandbreite in der variablen Arbeitszeit, Telearbeit/mobiles Arbeiten und der weiteren Flexibilisierung des Arbeitsortes. Flankiert werden diese Gestaltungsoptionen durch unterstützende Maßnahmen; beispielsweise:
- Unterstützungsleistung zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit kleineren Kindern → u. a. Kinderbetreuungsmöglichkeiten, Eltern-Kind-Zimmer
- Unterstützungsleistung zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit größeren Kindern → u. a. Ferienbetreuung für Schulkinder
- Unterstützungsleistung zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie mit zu pflegenden Angehörigen über den gesetzlichen Rahmen hinaus -> Seminare während der Dienstzeit zum Thema Vereinbarkeit und Pflegeaufgaben, Gesprächskreis für THM-Angehörige mit zu pflegenden Angehörigen
Unser Jahresmotto 2022 lautet „miteinander vereinbaren – gesund, fair, zusammen“. Apropos zusammen: Zusammen mit anderen hessischen Hochschulen bieten Sie für neuberufene Professor*innen hochschuldidaktische Einführungswochen an. Was sind hier konkrete Inhalte? Ist Vereinbarkeit auch ein Thema?
Die hochschuldidaktischen Einführungswochen der AGWW (Arbeitsgruppe wissenschaftlicher Weiterbildung – ein Verbund hessischer Hochschulen) bieten für neuberufene Professor*innen einen Einstieg in die Lehre. Die Teilnehmenden setzen sich mit ihrer neuen Rolle als Hochschullehrer*in auseinander. Durch praxisnahe Übungen lernen sie zentrale hochschuldidaktische Aspekte für die Planung und Durchführung ihrer Lehrveranstaltungen kennen und anzuwenden. Nach einigen Monaten Praxis haben alle Teilnehmer*innen in einem zweitägigen Workshop Gelegenheit zu einem Erfahrungsaustausch über die eigene Lehrtätigkeit und die Umsetzung von Anregungen aus der hochschuldidaktischen Woche. Diese individuellen Erfahrungen werden im Hinblick auf Ziele, Methoden und Auswirkungen der Evaluation der Lehre sowie Prüfungen reflektiert.
Daneben bleibt in der Veranstaltung auch Raum, sich untereinander zu vernetzen und auszutauschen – auch zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. In kollegialen Beratungen können Erfahrungen und praktische Tipps weitergegeben werden.
Nach diesem Einstieg in die Lehre werden von der AGWW weitere hochschuldidaktische Weiterbildungen für Lehrende angeboten, darunter beispielsweise auch zur Work-Life Balance in dem Seminar „Das Leben, die Arbeit, die Promotion, meine Familie und ich – wirksames Selbstmanagement und wirksame Selbstführung“.
Besonders wichtig für eine nachhaltige Verankerung der Vereinbarkeitsthematik in der gesamten Hochschule ist deren Akzeptanz und aktive Förderung durch Führungskräfte. Daher ist im Rahmen des audit familiengerechte hochschule die Bearbeitung des Handlungsfelds Führung obligatorisch. Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um eine familiengerechte Führung zu etablieren?
Im Hochschulleitbild definiert die THM, dass sie die Vielfalt unter ihren Mitgliedern wahrnimmt, diese aktiv nutzt und fördert. Sie stellt sich mit ihrem Verhaltenskodex gegen jede Art von Diskriminierung und verpflichtet sich, Chancengleichheit und Bildungsgerechtigkeit zu fördern. Dieser Ansatz, insbesondere die konsequente Umsetzung des Gleichstellungs- und Gleichbehandlungsgrundsatzes, findet sich in den aus 2016 stammenden Führungsgrundsätzen wieder, denen sich alle Führungskräfte der THM verpflichtet fühlen. Im jährlich zu überarbeitenden Personalentwicklungskonzept für alle Beschäftigten der THM ist definiert, dass Führungskräfte eine besondere Bedeutung bei der Umsetzung der „familiengerechten Hochschule“ haben. Daher werden diese durch geeignete Angebote an Führungskräfte in ihrem Führungsverhalten unterstützt, um diesen Kulturwandel weiterhin aktiv zu begleiten.
An der THM finden seit 2016 kontinuierlich und regelmäßig interne Führungskräftetrainings statt. Nahezu alle Abteilungs- und Sachgebietsleitenden der Verwaltung sind inzwischen durch ein mehrtägiges Führungskräftemodul geschult. Jährlich werden alle Führungskräfte zu Folgeveranstaltungen in einem Führungsthemenschwerpunkt eingeladen. Diese Schulungsreihe wird auch in den Folgejahren kontinuierlich fortgeführt und wurde auf die Fachbereiche ausgeweitet. In den Jahren 2021/22 waren die Themen: „Führen auf Distanz“ – mit den Herausforderungen in der Führungsarbeit von Teilzeitkräften, Beschäftigten im Homeoffice oder auch Führen in Teilzeit – ein Führungsthemenschwerpunkt, gefolgt von „Changemanagement“, welches die allgemeinen und aktuellen Anforderungen an Führungskräfte unterstützt. Durch feste Seminargruppen entsteht eine kollegiale Beratung. Eine regelmäßige und dauerhafte Unterstützung ist somit etabliert.
In den zu führenden Jahresgesprächen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten wird das Thema Vereinbarkeit regelmäßig thematisiert.
In den in den Jahren 2016 und 2019 durchgeführten anonymen Befragungen der Beschäftigten der Verwaltung zum Führungsverhalten der Vorgesetzten (Vorgesetztenrückmeldung) konnte eine sehr gute Bewertung in der Rubrik: „Mein/e VG unterstützt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ erreicht werden.
Zum Wintersemester 2018/19 haben Sie ein studentisches Gesundheitsmanagement (SGM) namens „Studium 360 ° – Rundum gesund erfolgreich“ ins Leben gerufen. Was waren hier die Beweggründe? Was bietet es? Wie unterscheidet es sich vom BGM?
Das Studium ist eine aufregende Lebensphase, die aber auch mit zahlreichen Neuerungen verbunden ist. Viele Studierende ziehen in eine neue Stadt. Neue Freunde müssen gefunden werden, das Studium ist eventuell selbst zu finanzieren. Stress und Leistungsdruck können die Folgen sein, schlechte Noten oder gar Studienabbrüche sind zu vermeiden. „Studium 360°“ will die Studierenden bei einem gesunden und erfolgreichen Studium unterstützen und setzt dabei auf gute Studienbedingungen und konkrete Gesundheitsangebote.
Die Studierenden wurden gefragt, was sie für ein gutes Studium brauchen und maßgeschneiderte Angebote rund um die Themen Bewegung, Entspannung oder soziales Miteinander wurden entwickelt. In der Pandemie sind beispielsweise viele alltägliche Bewegungen weggefallen. So sind die PowerBreaks entstanden. Dies sind Bewegungsvideos, die die Lehrenden in ihren Vorlesungen zeigen. Gemeinsam mit Studierenden der THM wurden diese Clips produziert. Ein anderes Beispiel ist „Studiconnect“. Hier ist das Ziel, Studierende in Kontakt bringen. Soziale Unterstützung ist eine wichtige Ressource gegen Stress und für gute Studienleistungen. Lehrende buchen die Anleitung von kleinen Spielen, die von geschultem Personal innerhalb der ersten Vorlesungen im Semester angeleitet werden. Die Studierenden kommen zusammen, sprechen miteinander, tauschen sich aus, lachen viel. So entstehen Kontakte – hoffentlich über das ganze Studium hinweg.
Während sich das Betriebliche Gesundheitsmanagement (BGM) an die Beschäftigten richtet, hat das Studentische Gesundheitsmanagement „Studium 360°“ die Studierenden im Blick. SGM und BGM haben grundsätzlich das gleiche Ziel, nämlich die Gesundheit zu verbessern bzw. zu erhalten. Beide kooperieren miteinander und setzen sich für eine Gesundheitsfördernde Hochschule ein.
Welche Bilanz ziehen Sie nach drei Jahren studentischem Gesundheitsmanagement?
Es konnte viel erreicht werden: Studierende wurden einbezogen, Gesundheitsakteur*innen der Hochschule miteinander vernetzt, Angebote zum Mitmachen geschaffen. Da sich der Studienalltag von Semester zu Semester weiter verändert und neue Herausforderungen auf die Studierenden zukommen, gibt es auch zukünftig etwas zu tun. Die Vision von „Studium 360°“ ist es, die THM, den Campus und die Studienbedingungen noch gesünder zu machen
Gewinnen Sie auch einen Einblick in die familiengerechten Angebote der THM über das Kurzporträt zur jüngsten Zertifizierung nach dem audit familiengerechte hochschule. Und hier geht es zu den zahlreichen vereinbarkeitsrelevanten Informationen auf der Website der THM.
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