Mittwoch, 8. November 2023

„Woche der Vereinbarkeit 2023“: Praxisbeispiele – Arbeitszeitreduzierung (3)

Part 3 der Woche der Vereinbarkeit blickt auf Varianten der Arbeitszeit (©berufundfamilie Service GmbH)

Welche Varianten der Arbeitszeitreduzierung gibt es für Beschäftigte? Welche Herausforderungen stellen sich mit der Verringerung der Arbeitszeit? Am dritten Tag unserer Woche der Vereinbarkeit blicken wir auf Praxislösungen auditierter Arbeitgeber im Bereich Arbeitszeitreduzierung.

 

AOK Hessen. Die Gesundheitskasse.

Führungsverantwortung und Vereinbarkeit – Hand in Hand und ohne Widerspruch


Wie können Beschäftigte in unterschiedlichen Lebensphasen und mit unterschiedlichen Lebensentwürfen unterstützt werden? Die AOK Hessen bietet dafür unterschiedliche Modelle zur Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Pflege. So ist es bereits seit fast 20 Jahren möglich, Führungspositionen in Teilzeit auszuüben. Eine festgelegte Mindeststundenzahl gibt es dabei nicht, vielmehr sind die individuellen Rahmenbedingungen der Führungskräfte und des Teams sowie die Ansprüche der Stelle für die Gestaltung ausschlaggebend. Seit 2023 werden darüber hinaus weitere Führungsmodelle wie das Lead Management (fachliche Führung) oder auch das Modell des Topsharing (geteilte Führung) erprobt und damit der Einstieg in Führung erleichtert. Die Aufgabenteilung mit einer zweiten Person ermöglicht einen stärkenorientierten Einsatz, kollegialen Austausch und zudem eine zeitliche Flexibilisierung.

Durch das Topsharing soll allen Beschäftigten unabhängig von der jeweiligen individuellen Lebensphase ermöglicht werden, eine Führungsposition anzunehmen. Mit der Entwicklung von flexiblen und modernen Führungsmodellen kann die Arbeitgeberattraktivität gesteigert werden.

Seit 2004 steigt der Frauenanteil in Führungspositionen kontinuierlich und die Vereinbarkeit von Beruf, Pflege, Familie und Privatleben wird auch für Führungskräfte verbessert.


Die AOK Hessen. Die Gesundheitskasse. ist seit 2005 Zertifikatsträger zum audit berufundfamilie.



Barmenia Versicherungen


Jobsharing ist keine halbe Sache bei den Barmenia Versicherungen


Seit dem 01.02.2023 führen zwei Kolleginnen der Barmenia Versicherungen gemeinsam eine Abteilung mit 107 Mitarbeitenden. Beide sind junge Mütter, wovon sich eine sogar noch in der Elternzeit befunden hat, als sie die Führungsverantwortung übernahm.

Die Barmenia Versicherungen suchen bereits seit einiger Zeit unter ihren – auch angehenden – Führungskräften nach Personen, die sich eine geteilte Führung vorstellen können. Gerade jungen Frauen, die wegen der Kinderbetreuung oft eine Führungsrolle nicht in Betracht ziehen, möchte die Barmenia mit diesem Modell ermutigen. Aber: Passende Partner für ein Führungs-Tandem zu finden, ist keine leichte Aufgabe. Denn neben den fachlichen und arbeitszeitlichen Kriterien sollten die Partner*innen die gleichen Werte und Zielvorstellungen vertreten und auch ähnliche Vorstellungen von Führung haben. Die beiden Kolleginnen aus dem Leistungsbereich haben diese Herausforderung angenommen. Die Abteilung, die nun von zwei Führungskräften begleitet wird, besteht aus 6 Teams. Jede Verantwortliche belegt 55,2 % einer Abteilungsleiterstelle, d. h. sie arbeiten 21 Stunden in der Woche. So haben sie ein kleines gemeinsames Fenster, um sich auszutauschen. Durch die flexible Vertrauensarbeitszeit arbeiten beide vormittags mit jeweils einem freien Tag in der Woche.

Die anfängliche Skepsis der Beschäftigten zur fehlenden Erreichbarkeit am Nachmittag legte sich schnell. In den wenigen Situationen, in denen man direkt eine Rückmeldung braucht, ist immer eine von beiden erreichbar. Vieles kann das Team aber auch selbst lösen, auch darin sind sich beide einig. Nach acht Monaten stehen das Team, die beiden Abteilungsleiterinnen und auch deren Führungskraft voll hinter diesem Führungsmodell.

Vertrauen und Transparenz sind die Eckpfeiler einer Führung im Tandem. Das betonen beide immer wieder. So werden alle wichtigen Themen in einem gemeinsamen virtuellen Notizbuch festgehalten. Diejenige, die ihren freien Tag hat, wird von der anderen Führungskraft über eine kurze Info zu wichtigen Themen des Tages gebrieft – genauso, wenn es um Projekte oder Zielvorgaben geht. Beiden ist bewusst, dass sie nur zusammen erfolgreich führen können.

Die Barmenia Versicherungen sehen in dem aufgeführten Modell des Topsharings Führungsebene eine Chance für noch mehr Kolleg*innen, trotz Reduzierung der Arbeitszeit eine Führungsrolle übernehmen zu können.


Die Möglichkeit in Teilzeit zu führen gibt es bei der Barmenia bereits seit 2006. Damals war es eine weibliche Führungskraft, die ihre Stunden zu reduzieren wünschte, um ihren kranken Mann zu pflegen. Seitdem nutzen immer mehr Kolleg*innen das Angebot, um für ihre entsprechende Lebensphase oder ihr individuelles Lebenskonzept das richtige Führungsmodell zu nutzen.

Foto zeigt das Unternehmensgebäude der Barmenia Versicherungen mit dem Logo Barmenia Einfach.Menschlich.
(Quelle: Barmenia Versicherungen).


Die Barmenia Versicherungen sind seit 2005 nach dem audit berufundfamilie zertifiziert.



hkk Krankenkasse


Topsharing


Auch vor der hkk Krankenkasse macht der Wandel der Arbeitswelt nicht halt. Als Reaktion auf die Herausforderungen des Arbeitsmangels werden daher neue Arbeitsmodelle erprobt. Ein Beispiel dafür ist das Jobsharing. Zwei Arbeitnehmende, ein Arbeitsplatz – so würde wohl die Kurzbeschreibung von Jobsharing aussehen. Das ist in der Praxis mit großem Planungs- und Kommunikations-Aufwand verbunden. Im konkreten Beispiel führen eine erfahrene Teamleiterin im Ausland und eine Mitarbeiterin aus einer VM-übergeordneten Stabsstelle gemeinsam das Team. Beide arbeiten in Teilzeit.

Mit der Möglichkeit des Jobsharings soll die Bindung und die Zufriedenheit von Beschäftigten erhöht werden. Auch Krankheitsfälle auf Führungsebene können so leichter kompensiert werden. Aus der Beschäftigtenperspektive bietet das Modell die Möglichkeit in Teilzeit zu arbeiten und Austausch über die Aufgaben zu ermöglichen. Zudem wird der Wissenstransfer von spezifischem Fachwissen an die Tandem-Partnerin weitergegeben.

Die Karrieren können in Teilzeit weitgeführt werden und es gibt regelmäßige Feedbackschleifen mit der Abteilungsleitung.


Folgendes Interview fasst den Erfolg der Maßnahme zusammen:

Zu zweit ein Team führen – kann das funktionieren? „Und ob“, finden Marina und Rebecca. Sie führen zusammen das Team „Ausland“.

​​Rebecca und Marina, Ihr seid die ersten in der hkk, die sich eine Teamleiterstelle teilen, richtig? Und wie kam es dazu?

Marina: Auf Führungsebene sind wir die ersten, die Jobsharing machen. Aufgrund verschiedener Rahmenbedingungen hat es sich angeboten, das Jobsharing auf Führungsebene endlich mal auszuprobieren.

Rebecca: Marina kam zurück aus der Elternzeit und wollte wieder als Teamleiterin arbeiten, aber nicht in Vollzeit. Ich war in Teilzeit tätig und fand die Möglichkeit, eine Teamleitertätigkeit in Teilzeit zu übernehmen, sehr interessant. Dann ist man auf uns zugekommen, ob wir uns vorstellen können, ein Team im Rahmen eines Jobsharingmodells gemeinsam zu führen. Daraufhin haben wir uns privat getroffen, um uns kennenzulernen und beurteilen zu können, ob die Chemie zwischen uns stimmt.

Ihr habt euch vorher noch nicht gekannt?

Marina: Nur vom Hören, persönlich hatten wir uns noch nicht kennen gelernt.

Seit wann teilt ihr euch die Teamleitung?

Rebecca: Im September 2022 wurden die ersten Gespräche mit uns geführt und im Oktober haben wir uns getroffen. Offiziell startete das Jobsharing dann im Dezember 2022.

Wie muss man sich das in der Praxis vorstellen? Wie teilt ihr euch die Aufgaben auf? Seid ihr auch mal parallel im Büro?

Marina: Wir haben uns fachlich aufgeteilt: Das Thema Auslandserstattung macht Rebecca und ich bin für die Leistungshilfe zuständig. Bei Urlaub oder Krankheit übernimmt die andere in Vertretung. Das Team führen wir gemeinsam. Insofern gibt es keine Führungstrennung. Wir haben auch viele organisatorische Aufgaben unter uns aufgeteilt und dem Team die Verantwortlichkeiten transparent gemacht, sodass jeder weiß, wen er zu welchem Thema ansprechen kann.

Rebecca: Wir sind beide in der Regel bis mindestens 14 Uhr da. Marina ist ab und an auch im Homeoffice tätig und ich meistens vor Ort im Büro.

Welche Herausforderungen ergeben sich durch das Jobsharing?

Marina: Der Abstimmungsaufwand ist höher – beide sollten bei bestimmten Themen immer auf dem Laufenden sein. Wir führen daher morgens ein kurzes Daily durch, um uns auf den aktuellen Stand zu bringen. Außerdem muss man bei einem solchen Modell kompromissbereit sein und dem anderen Vertrauen entgegenbringen. Da ich vor meiner Elternzeit schon das Team führte, habe ich Führungsentscheidungen bisher allein getroffen. Jetzt stimmen Rebecca und ich uns bei solchen Entscheidungen natürlich vorher ab. Auch, wenn Rebecca und ich die Situationen meistens gleich bewerten, musste sich dieser Prozess erst einspielen.

Was ist vielleicht auch leichter, wenn zwei sich die Teamleitung teilen?

Rebecca: Ein großer Vorteil ist die Vertretungsfunktion bei Urlaub oder Krankheit. Die Arbeit bleibt nie liegen, da die andere dann einspringt. So ist die Position durchgängig besetzt und die Kolleg*innen haben immer eine Ansprechpartnerin. Nach Urlauben hat man dann nicht mehr einen Berg voll Arbeit, den man erstmal abarbeiten muss. Ein Vorteil ist auch, dass man bei schwierigen bzw. wichtigen Entscheidungen immer eine Sparringspartnerin für den direkten Austausch hat – „vier-Augen sehen mehr als zwei“. Speziell bei unserer Konstellation war ein großer Vorteil der geteilten Führung, dass ich als noch junge Führungskraft von Marinas Erfahrungen, sowohl auf fachlicher als auch auf personeller Ebene, profitieren konnte.

Marina: Ich bin zwar im Vergleich zu früher mit weniger Stunden da, aber man schafft eindeutig mehr. Früher musste ich einiges immer wieder zurückstellen oder erst einmal liegen lassen, jetzt teilt man sich die Aufgaben auf. Z. B. kann ich an einem Meeting teilnehmen und Rebecca währenddessen andere Aufgaben erledigen.

Worin ergänzt ihr euch in euren Persönlichkeiten und Fähigkeiten und wo geht ihr ganz ähnlich vor?

Marina
: Wir arbeiten beide sehr strukturiert und haben ein ähnliches Zeitmanagement. Auch unser Bauchgefühl ist ähnlich – egal ob es um Personalentscheidungen oder andere Themen geht. Ich denke, deswegen funktioniert es auch so gut mit uns. Wenn Störungen auftreten, sprechen wir diese direkt an. Zudem verfügen wir durch unsere unterschiedlichen Stationen in der hkk über ein breites Netzwerk, was sich schon oftmals als sehr hilfreich herausgestellt hat.

Ist das Jobsharing für euch grundsätzlich ein Modell, das es viel öfter in der hkk geben sollte?

Rebecca
: Ja, auf jeden Fall – das Interesse im Haus ist auch eindeutig da. Es kommt immer wieder vor, dass Kolleg*innen uns zu dem Modell ansprechen oder schreiben. Hier zeigt sich immer wieder, dass das Modell nicht nur für Mütter oder Väter interessant ist, sondern auch für Kolleg*innen, die den Wunsch haben ihre Arbeitszeit zu reduzieren.

Als Führungskraft seine Stunden zu reduzieren, bringt in Teilen nicht immer den gewünschten Entlastungseffekt, da man dann die gesamte Arbeit einfach nur in kürzerer Zeit erledigen muss. Da ist Jobsharing anders, da man sich die Aufgaben und die Verantwortung teilt.


Die hkk Krankenkasse sichert sich seit 2007 das Zertifikat zum audit berufundfamilie.




Stadtwerke Münster GmbH



Förderung von Führung in Teilzeit


Seit September 2016 gibt es bei den Stadtwerken Münster bereits die Möglichkeit, in Teilzeit zu führen.

Die Maßnahme soll dazu beitragen, dass auch Führungskräfte mehr Work-Life-Balance haben und Beschäftigten die Möglichkeit öffnen unabhängig von Lebenslagen zu führen.
Die Möglichkeit der Führung in Teilzeit hat dazu geführt, dass die Anzahl von Frauen in Führungspositionen insbesondere auf Abteilungsleiterinnen und Team-leiterinnenebene gesteigert werden konnte.


Die Stadtwerke Münster GmbH trägt seit 2003 das Zertifikat zum audit berufundfamilie.



Am morgigen vierten Tag (9.11.) unserer Awarenesswoche blicken wir auf zielgruppenspezifische arbeitszeitrelevante Angebote.

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