Donnerstag, 30. November 2023

Umfrage „Der neue Wert der Zeit“: Transformation der Arbeitszeit geht weiter – mit ungewissem Ergebnis

Arbeitszeit reduzieren, erweitern oder ganz flexibilisieren? Wieviel wann gearbeitet wird scheint bis zum Ende der Dekade noch nicht eindeutig absehbar zu sein. (Foto: Ketut Subiyanto on pexels.com)

Gemeinsam mit dem Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ befragten wir Vertreter*innen von Arbeitgebern, welche Entwicklung sie für die Arbeitszeit bis 2030 erwarten. Die Befragung war eingebettet in unsere Aktionen zum Jahresmotto „25 Jahre audit berufundfamilie – 25 Jahre Transformation“ und lieferte Impulse für die Online-Veranstaltungsreihe, die wir ebenfalls zusammen mit dem Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ während unserer „Woche der Vereinbarkeit“ durchführten. Denn: Die Ergebnisse sind spannend, wie wir finden. Und in diesem Blog verraten wir sie.

Die einen reden von einer 30-Stunden-Woche, die anderen von einer Arbeitszeitausweitung. Manche liebäugeln mit einer 4-Tage-Woche, während einige auf die vollständige Flexibilisierung der Arbeitszeit und Zeitwertkonten setzen. Welche Entwicklungen hinsichtlich der Arbeitszeit sind bis zum Jahr 2030 absehbar? Welche Modelle sind zukünftig denkbar und praktikabel? Diesen Fragen sind das Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ und wir mit Hilfe einer Umfrage nachgegangen. Unter dem Titel „Der neue Wert der Zeit“ befragten wir Vertreter*innen von Organisationen, die dem Unternehmensnetzwerk angehören und/ oder aktuell das Zertifikat zum audit berufundfamilie bzw. audit familiengerechte hochschule tragen. 91 Personen teilten uns ihre Antworten im Rahmen der online durchgeführten Stichprobenbefragung mit, die vom 4. September bis 18. Oktober 2023 lief.

Der 24 Aspekte umfassende Katalog war in drei Kategorien unterteilt. So beleuchteten wir zunächst die Erwartungen der Arbeitgeber-Vertreter*innen bzgl. der Reduzierung der Arbeitszeit. Dann interessierten uns die von ihnen antizipierten Entwicklungen bzgl. einer erhöhten und ggf. limitierten Flexibilisierung der Arbeitszeit. Und schließlich lenkten wir den Blick auf die zielgruppenspezifische Arbeitszeitgestaltung.

Die Aspekte wurden jeweils als Statement formuliert, mit dem die Situation bis zum Jahr 2030 konstatiert wurde. Ein Beispiel: „Bis 2030 … wird die 30-Stunden-Woche die neue Vollzeit sein.“ Erfragt wurde die Art der Zustimmung zu der jeweiligen Aussage – entlang der Skala „stimme voll und ganz zu, stimme zu, weder noch, stimme nicht zu, stimme überhaupt nicht zu“.

Ist weniger mehr? –
Erwartungen der Arbeitgeber-Vertreter*innen bzgl. der Reduzierung der Arbeitszeit bis 2030


3 von 4 Arbeitgeber-Vertreter*innen (74,7%) erwarten, dass bis Ende der Dekade deutlich mehr ihrer Beschäftigten in Teilzeit arbeiten werden. Etwas über die Hälfte der Befragten (53,9%) rechnet dabei mit einer erheblichen Zunahme der männlichen Teilzeitler. Besonders Väter werden laut der Befragten zukünftig stärker unter den Teilzeitler*innen vertreten sein, prognostizieren 69,2% der Teilnehmenden. 69,2% meinen, dass ihr Anteil an den Teilzeitbeschäftigten bis 2030 erheblich zunehmen wird. Und auch das personalpolitisch hochbrisante Thema Pflege wird nach Ansicht der Befragten ein Teilzeit-Treiber sein bzw. bleiben: 4 von 5 Befragten (79,1%) erwarten, dass vor allem Beschäftigte mit zu pflegenden Angehörigen ihre Arbeitszeit verringern werden.

Ob bzgl. Kinderbetreuung oder Pflege – der erwartete Anstieg der Teilzeitquote hat einen zentralen Grund: die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben. ¾ der Arbeitgeber (75,8%) erwarten daher, dass bis 2030 immer mehr Beschäftigte für eine gute Work-Life-Balance ihre Arbeitszeit reduzieren werden. Nur 14% sind nicht davon überzeugt.

Der Wert der „Währung“ Freizeit wird also vermutlich weiter steigen. So gehen 53,9% der Arbeitgeber-Vertreter*innen auch davon aus, dass bis 2030 die meisten Beschäftigten eine Gehaltserhöhung bzw. Gehalt gegen Freizeit eintauschen werden. Allerdings sieht ¼ (26,4%) diese Entwicklung nicht. 19,8% entscheiden sich nicht, ob Freizeit wertvoller sein wird als das Gehalt oder nicht.

Arbeitgeber-Vertreter*innen erwarten, dass die „Währung Freizeit“ weiter an Wert gewinnen wird
(Abbildung: berufundfamilie Service GmbH)

Eine „neue Vollzeit“ in Form der 30-Stunden-Woche wird es trotz des Arbeitszeitreduzierungstrends allerdings nach Ansicht von 55% der Teilnehmenden nicht geben. Doch 11% sehen die 30-Stunden-Woche kommen, während ein Viertel keine eindeutige Prognose wagt.

Gleichzeitig wird die 4-Tage-Woche bei herkömmlicher Gesamtarbeitszeit laut 57,2% der Arbeitgeber nicht der Standard werden. Allerdings sind sich 25,3% unsicher. Immerhin jede*r Fünfte (18,7%) kann sich vorstellen, dass sich das belgische Modell in den kommenden Jahren durchsetzen wird.

Flexibel um jeden Preis? –
Erwartungen der Arbeitgeber-Vertreter*innen bzgl. Möglichkeiten der erhöhten und limitierten Flexibilisierung der Arbeitszeit


Uneinigkeit herrscht bei den Umfragebeteiligten zudem beim Thema Ausweitung der Arbeitszeit. 36,3% der Arbeitgeber-Vertreter*innen gehen davon aus, dass bis Ende dieses Jahrzehnts die Arbeitszeiten – zumindest vorübergehend – ausgeweitet werden, um die Folgen des demografischen Wandels zu kompensieren. 38,5% sind hingegen nicht der Meinung, dass wir mehr Arbeitszeit investieren werden. Ein Viertel der Befragten (25,3%) sieht keine klare Tendenz bzgl. längerer Arbeitszeiten.

Die Richtung der Entwicklung der 5-Tage-Woche ist demgegenüber wesentlich deutlicher abzulesen. 71,4% der Befragten ist der Meinung, dass die Aufteilung des Arbeitszeitvolumens auf 5 Tage weiterhin das meistgenutzte Modell bis 2030 sein wird.

Wie flexibel die Arbeitszeit zukünftig geleistet wird, lässt sich laut der Antworten der Teilnehmende jedoch nicht klar bestimmen. Jeweils 1/3 der Befragten erwartet eine komplette Flexibilisierung der täglichen Arbeitszeit, erwartet diese nicht oder ist unentschieden. 35,2% denkt, dass die tägliche Arbeitszeit komplett flexibilisiert wird – einhergehend mit einem Fokus auf ergebnisorientiertes Arbeiten. 33% meint nicht, dass es zu einer vollständigen Flexibilisierung der täglichen Arbeitszeit kommen wird.

Gleichzeitig wird für 40,7% der Befragten das Arbeiten von „9 to 5“ zum Auslaufmodell. Allerdings meinen 36,3%, dass Beschäftigte bis 2030 weiterhin mehrheitlich im Zeitrahmen zwischen 9 und 5 Uhr arbeiten werden. Ein knappes Viertel (23,1%) hat keine Tendenz.

Den Befragungsergebnissen zufolge wird es zukünftig einen Mix aus unterschiedlichen Arbeitszeitmodellen geben – vom herkömmlichen „9 bis 5“ bis hin zur vollständigen Flexibilisierung der täglichen Arbeitszeit
(Abbildung: berufundfamilie Service GmbH)

Im Umgang mit flexibilisierten Arbeitszeiten gibt die Mehrheit der Arbeitgeber-Vertreter*innen Zeitwertkonten eine Chance: 56,1% erwarten, dass diese bis 2030 standardmäßig angeboten werden. Jede*r Fünfte (25,3%) hat Zweifel daran.

Einen Aufwärtstrend für ein weiteres Flexibilisierungselement, nämlich das Jobsharing, sehen 52,8% der Befragten. Nur 11% erwarten nicht, dass der Anteil der Beschäftigten bis 2030 zunehmen wird, die sich ihre Stelle mit Kolleg*innen teilen. Allerdings äußern 37,4% der Befragten keine klare Erwartung bezüglich der Entwicklung von Jobsharing.

Für 47,3% der Arbeitgeber werden Sabbaticals als Regelangebot zur Arbeitszeitflexibilisierung etabliert werden. 4 von 10 Befragten (27,5%) sehen diese Entwicklung hingegen nicht.

Laut 56,1% der Arbeitgeber wird es zukünftig keine individuelle regelmäßige (z.B. monatliche) Neuverhandlung und Anpassung der Arbeitszeit geben. Immerhin jede*r Fünfte (20,9%) erwartet passgenaue Justierungen der Arbeitszeit in festgelegten Abständen. Weitere 23,1% der Befragten sehen diese Entwicklung weder eindeutig kommen noch schließen sie diese aus. Insofern gibt es ihrer Ansicht nach hier anscheinend Spielraum – vermutlich mit Blick auf einzelne Mitarbeitende.

Um in Fragen der Arbeitszeit flexibler agieren zu können, braucht es neue Arbeitszeitkonzepte. Diesen Schluss lassen die Reaktionen der Teilnehmenden auf das Statement „Bis 2030 werden neue betriebliche Arbeitszeitkonzepte entstehen, z.B. atmende Arbeitszeiten (Mehrstunden bei hoher Auslastung, weniger Stunden in Zeiten schwacher

Auftragslage) und Gruppenkonzepte (für einzelne Beschäftigtengruppen im Betrieb).“ zu. 3 von 5 Arbeitgebern (59,3%) erwarten die Entwicklung und Umsetzung neuer Arbeitszeitkonzepte. Lediglich 14,3% sehen keine neuen Konzepte kommen.

Welche Zeit für wen? – Erwartungen der Arbeitgeber-Vertreter*innen bzgl. zielgruppenspezifischen Arbeitszeiten


56% der Arbeitgeber erwarten, dass Frauen bis Ende der Dekade wesentlich mehr arbeiten bzw. ihre Arbeitszeit erhöhen werden. 17,6% denken nicht, dass es zu einer deutlichen Erhöhung des Arbeitszeitvolumens von Frauen kommen wird. Mehr als ¼ (26,4%) bleibt bzgl. einer Aussage zurückhaltend.

Dass die Vollzeitquote von Müttern ansteigen wird, meinen 28,6% der Arbeitgeber-Vertreter*innen. 37,4% sehen diese positive Entwicklung allerdings nicht. Über 1/3 (34,1%) gibt keine eindeutige Prognose.

Zu dem Ergebnis, dass die Befragten die Entwicklung bzgl. der Vollzeitarbeit von Müttern eher verhalten sehen, passt auch Folgendes: 3/5 der Teilnehmenden (60,4%) erwarten, dass Beschäftigte mit Kindern aufgrund von Betreuungsengpässen ihren Erwerbsumfang reduzieren werden.

Die Befragten sehen ein hohes Potenzial in lebensälteren Beschäftigten. So erwarten 4 von 5 Arbeitgeber-Vertreter*innen (81,3%), dass sich bis 2030 der Anteil der Beschäftigten deutlich erhöhen wird, die bereits im Rentenalter sind.

Vor dem Hintergrund zahlreicher Untersuchungen zur Arbeitseinstellung unterschiedlicher Generationen interessierte uns, ob die Teilnehmenden denken, inwieweit die Wünsche bzgl. der Arbeitszeit weiter auseinanderdriften werden. 78% der Arbeitgeber-Vertreter*innen erwarten, dass sich mögliche unterschiedliche Vorstellungen der Generationen bzgl. Arbeitszeit – z.B. zu Wochenstundenumfängen, konkreten Arbeitszeitwünschen, Sabbaticals – verschärfen werden.

7 von 10 Arbeitgebern (69,2%) prognostizieren zudem, dass die Inanspruchnahme flexibler Arbeitszeitlösungen zu mehr Konflikten innerhalb der Belegschaften führen wird.

Mit Blick auf Dienstleistungen und Arbeiten mit und an Kund*innen, sind 87,9% der Arbeitgeber der Meinung, dass sich Servicezeiten verändern werden. In Teilen erleben wir dies tatsächlich bereits aktuell – besonders deutlich u.a. in der Gastronomie.

Zur Stichprobenbefragung „Der neue Wert der Zeit“


Im Zeitraum vom 04.09. bis 18.10.2023 führten das Unternehmensnetzwerk „Erfolgsfaktor Familie“ und die berufundfamilie Service GmbH gemeinsam die Stichprobenbefragung „Der neue Wert der Zeit“ durch. Die Befragung erfolgte online unter dem Dach des berufundfamilie-Scouts und richtete sich vorrangig an Mitglieder der beiden Netzwerke, die ihre Organisation/ ihren Arbeitgeber vertraten. Die Ergebnisse beziehen sich auf die Rückmeldung von 91 Personen zu insgesamt 24 thematischen Fragestellungen bzgl. der Entwicklung der Arbeitszeit bis zum Jahr 2030.



Die Ergebnispräsentation – in Chartform – zur Stichprobenbefragung „Der neue Wert der Zeit“ ist hier abrufbar.

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