Donnerstag, 26. November 2020

#VereinbarkeitsVibes: Der Liebeskummer

 

Nicht alles wissen, nicht alles mitteilen – auch das gehört zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben (©pixabay.com)

Wie darauf reagieren, wenn die*der Chef*in Liebeskummer hat? Und geht das Mitarbeitende überhaupt etwas an? Silke Güttler von der berufundfamilie denkt in der neuen Ausgabe der Blogserie #VereinbarkeitsVibes über Grenzen zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten im Rahmen der betrieblichen Vereinbarkeitspolitik nach. 


Ein Szenario: Die Vorgesetzte ist seit einigen Tagen sehr in sich gekehrt. Wenn sie im Büro präsent ist, dann mischt sie sich eigentlich nur für Meetings unter die Beschäftigten. Besprechungen zu Projekten werden ungewohnt sachlich geführt. Der Austausch über Soziales bleibt fast ganz aus. Was ist los? Es habe nichts mit Corona zu tun, heißt es. Der Flurfunk lässt vermuten, dass sie eine Beziehungskrise hat. Manche meinen zu wissen, dass sie sich von ihrem Ehemann getrennt habe. Weitere Kolleg*innen sind sich sicher, dass dieser eine Andere habe. Nichts Genaues weiß man nicht. Aber es wird viel geredet, allerdings nicht mit der Vorgesetzten.

Verständnis für Unbekanntes


Wieviel Verständnis hat man als Mitarbeitende*r dafür, dass die*der Chef*in nicht wie gewohnt auftritt? Tatsächlich verunsichert es, wenn Vorgesetzte aus den für sie typischen Verhaltensmustern ausbrechen. Geht man doch gerne davon aus, dass Vorgesetzte eigentlich immer gleich auftreten. Das hängt vermutlich an dem landläufigen Idealbild, das eine Führungsrolle inne hat, wer ein ausgeglichener Typ ist – die*der sich von privaten Dingen nicht aus dem Konzept bringen lässt.

Aber wollen wir nicht vor allem eins: dass die*der Chef*in Mensch ist? Und dann verlangen wir Beschäftigte auch noch, dass sie*er uns Verständnis für unsere privaten Herausforderungen entgegenbringt – und dafür, dass wir dann ggf. mal nicht so gut drauf sind und phasenweise schlechter performen als gewohnt. Es liegt in unserer Natur, dass wir Verständnis aufbringen können, wenn wir die Lage bzw. auch Ursachen erfassen. Also müssten wir folglich in Sachen Vereinbarkeitsbedarfe immer ein Stück weit den Blick für das, was uns privat fordert, öffnen. Schließlich sollen daraus Angebote folgen, mit denen wir Beruf, Familie und Privatleben bestmöglich vereinbaren können. Idealerweise entwickeln die*der Vorgesetzte und Beschäftigte sogar gemeinsam individuelle Lösungen. Tja, das ist die Seite der Mitarbeitenden.

Und die Seite unserer*unseres Vorgesetzten? Gestehe wir ihr*ihm zu, dass private Belange auch bei ihr*ihm mitunter auch zu einer Verhaltensveränderung führen? Die Führungskraft als Mensch – die hat sicherlich auch Sorgen, Nöte, ja auch Liebeskummer. Und wenn sie keine Maschine ist, dann ist das auch mal spürbar. Vielleicht wollen wir das sogar. Denn dann werden mögliche vorhandene Barrieren geringer. Und eventuell erhoffen wir uns sogar, dass das Erleben der*des Vorgesetzten von privaten Herausforderungen und einer damit einhergehenden gefühlten Belastung auf Seiten der Führungskraft das Verständnis für unsere privaten Belange festigt bzw. fördert.

Wissensvorsprung der Führungskraft?


Und gleichzeitig bin ich mir unsicher, ob ich so genau wissen möchte, was die*den Vorgesetzten privat bewegt. So ein bisschen Einblick ist ja mal ganz nett. Aber zu viel ist dann vielleicht auch zu nah dran. Ist fehlendes Detailwissen nicht manchmal auch Schutz für beide Seiten? Kann man den Flurfunk besser steuern, wenn man Privates aufklärend auf den Tisch legt?

Ich denke, beide Seiten müssen darauf vertrauen können, dass ein Signal reicht, um sich zurückziehen zu können. Sicherlich steht es jedem frei, über Privates mehr ins Detail zu gehen – sei es, um Freude zu teilen oder um sich auch mal Luft zu machen. Wie viel da geht, ist nicht nur eine Frage der Persönlichkeit jedes Einzelnen, sondern auch vom Betriebsklima abhängig. Wie offen ist die Kommunikationskultur? Will man, muss man an ihr arbeiten, um zu besseren individuellen Vereinbarkeitslösungen zu kommen, die auch auf Akzeptanz im Kolleg*innenkreis treffen?

Aber muss die Führungskraft mehr über die private Lage des jeweiligen Beschäftigten erfahren als Kolleg*innen? Schließlich ist primär sie es, mit der die individuellen Lösungen „ausgehandelt“ werden. Soll man der*dem Vorgesetzten einen „Wissensvorsprung“ gewähren? Darf sie*er Detailinformationen einfordern? Gibt es da eigentlich eine Ethik?

Da muss die*der Beschäftigte wohl am ehesten ihre*seine eigenen Grenzen erfassen. Also: Mit einem Maß an Informationen in Gespräche mit der Führungskraft gehen, mit dem man sich wohl fühlt.

Und umgekehrt? Auch die*der Vorgesetzte hat die Freiheit, so stark in die Details über das eigene Privatleben zu gehen, wie sie*er möchte – ungeachtet des Flurfunks.

Nicht alles wissen müssen. Nicht alles mitteilen müssen. Das muss auch in Bezug auf die Vereinbarkeit ok sein.

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