Mittwoch, 17. November 2021

Familiengerechtes Studieren – der Blick in die Praxis

Von einer familiengerechten Ausrichtung an Hochschulen profitieren auch Studierende(©pixabay.com)

Heute ist Weltstudierendentag! Vereinbarkeit von Studium, Nebenjob und Privatleben ist eine Herausforderung, vor der viele Studierende stehen. Besonders trifft es allerdings jene, die Familienaufgaben haben. Was nach dem audit familiengerechte hochschule zertifizierte Hochschulen, Universitäten und Akademien tun, um Studieren familiengerecht zu gestalten, erfahren Sie hier in unserem neuen Blogbeitrag.

Heute ist Weltstudierendentag! In Deutschland sind derzeit 2.948700 Studierende[1] an einer Hochschule eingeschrieben. Gerade die Corona-Zeit war und ist für etliche Studierende eine Mammutaufgabe. Neben dem alltäglichen Dilemma Studium, Privatleben und Nebenjob zu vereinbaren, kamen nun noch der Wegfall der Präsenzlehre, die Schließung von Bibliotheken und der Verlust von Nebenjobs hinzu. Auch unter den Studierenden gab es zudem jene, die neben dem Studium auch klassische Sorgeaufgaben im engeren Sinne (z.B. Kinderbetreuung, Homeschooling) zu erfüllen hatten. Während viele Arbeitnehmende hier Unterstützung von Staat oder Arbeitgeber erhielten, blieben Studierende lange Zeit unter dem Radar. Umso wichtiger also, dass Hochschulen, Universitäten und Akademien ihre familiengerechten Maßnahmen strategisch und damit nachhaltig auf- und ausbauen und diese wesentliche Zielgruppe mitbedenken. Universitäten, Hochschulen und Akademien, die nach dem audit familiengerechte hochschule zertifiziert sind, haben das Ziel neben den Arbeitsbedingungen für das Personal, auch die Studienbedingungen familiengerecht zu gestalten – d.h. sie nehmen bei der Gestaltung von Vereinbarkeitsmaßnahmen bewusst Studierende in den Fokus. Parallel zum audit berufundfamilie bilden hier acht Handlungsfelder den Rahmen für Maßnahmen, die familiengerechte Studienbedingungen ermöglichen sollen.

Entlang der ausgewählten Handlungsfelder Studienzeit, familiengerechte Studienorganisation, ortsflexibles Studieren, Information und Kommunikation, geldwerte Leistungen und Studienfinanzierung sowie familiengerechte Infrastruktur werfen wir einen Blick in die familiengerechte Praxis von nach dem audit zertifizierten Hochschulen.

Es soll hierbei betont werden, dass das lediglich ein Ausschnitt aus möglichen Maßnahmen ist und kein Anspruch auf Vollständigkeit besteht.



Studienzeit

 
Ein Studium frisst vor allem eins: Zeit. Zeit für Präsenzlehre, Zeit für Vor- und Nachbereitung der Veranstaltungen oder Zeit für Prüfungsvorbereitungen, um die wichtigen Credit-Points zu schaffen. Die Flexibilisierung der Studienzeit bietet einen wichtigen Hebel, das Studium vereinbarkeitsgerechter zu gestalten. Normalerweise sind Studiengänge in Vollzeit zu absolvieren. Dass dies nicht immer der Lebensrealität von Studierenden entspricht, wissen auch Hochschulen, Universitäten und Akademien. Viele bieten daher ihren Studierenden die Möglichkeit zum Teilzeitstudium mit der flexiblen Option wieder in ein Vollzeitstudium zu wechseln, wenn es die individuelle Situation erlaubt. Auch individuell gestaltete Studienverlaufspläne, die auf die Bedarfe der Studierenden eingehen, können zur Flexibilisierung beitragen. Einige Universitäten und Hochschulen bieten ergänzend dazu, die Möglichkeit Prüfungszeiträume zu verlängern, zu unterbrechen oder auszusetzen. So können Studierende sich aufkommenden privaten Verpflichtungen widmen. Eine weitere Möglichkeit, die Studierenden zur besseren Vereinbarkeit verhilft, ist ein fester Zeitrahmen von 8.00 -16.00 Uhr für Lehrveranstaltungen, die zudem auch nur unter der Woche stattfinden.

Besonders hervorzuheben sind auch die innovativen Maßnahmen einiger Hochschulen für Studierende mit Familienverpflichtungen. So haben sie Vorrang bei der Anmeldung für Lehrveranstaltungen zu unterschiedlichen Terminen und bei teilnahmebeschränkten Veranstaltungen. Zertifizierte Hochschulen sind zudem um die Harmonisierung von Semester- und Schulferienzeiten bemüht, um auch ihre studierenden Eltern zu entlasten.


Familiengerechte Studienorganisation


Neben der Studienzeit ist auch die Organisation des Studiums wichtig – und auch diese können Hochschulen, Universitäten und Akademien familiengerecht gestalten. Der wichtigste Rahmen bildet hierbei die Studien- und Prüfungsordnung. In ihnen haben viele mit dem audit familiengerechte hochschule ausgezeichnete Organisationen Nachteilsausgleiche für Studierende mit Kindern oder Pflegeaufgaben verankert oder einen Familienparagrafen mitaufgenommen. Hervorzuheben ist auch die Etablierung einer Richtlinie, die zu mehr Chancengleicht für Studierende mit Familienverantwortung führen soll und einen Orientierungsrahmen für Studierende mit Familienverantwortung und Lehrenden schafft, in dem Vereinbarkeitssituationen und einer familiengerechten Gestaltung für Studierende Rechnung getragen werden soll. Als besonderes klares Bekenntnis zu einer familiengerechten Hochschule ist die Verankerung von Familiengerechtigkeit und Chancengerechtigkeit als Prüfkriterien in der internen Akkreditierung von Studiengängen zu sehen.

Für eine familiengerechten Studienorganisation nehmen auditierte Hochschulen auch den Bewerbungs- und Zulassungsprozess in den Blick. So setzen hier zahlreiche Hochschulen auf ein vollständiges Onlineverfahren, bei dem nur die Annahme des Studienplatzes mit einer Unterschrift in Papierform nötig ist. Dies reduziert den Aufwand erheblich und entlastet so auch Studierende mit Sorgeaufgaben. Weitere Hochschulen ermöglichen die bevorzugte Einschreibung von Studierenden mit Familienaufgaben.

Zertifizierte Hochschulen und Universitäten haben zudem studentische Arbeitsgruppen zum Thema „familienfreundliches Studium“ gegründet, sodass hier auch studentische Lösungen entwickelt werden. Vernetzungsangebote wie Eltern-Kind-Treffen oder Stammtische für ältere Studierende werden ebenfalls geschaffen. Peer-to-Peer-Beratungen ermöglichen es zudem, dass studentische Hilfskräfte als Ansprechpartner*innen für Studierende mit Kind zur Verfügung stehen und über weitere Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten informieren. Auch feste Ansprechpersonen, die einzelfallbezogen beraten und hier familienbezogene Ausnahmeregelungen in Abstimmung mit den betroffenen Studierenden hinsichtlich der Studienorganisation treffen, sind zu nennen.

Das beste Maßnahmenportfolio bringt natürlich nicht viel, wenn die Studierenden es nicht wahrnehmen. Hier setzen familiengerechte Hochschulen beispielsweise auf Befragungsreihen, die sowohl Studierende als auch Alumnus zu unterschiedlichen Zeitpunkten befragt und dabei gezielt auf Themen rund um den Studienalltag und die Studienbedingungen eingegangen wird. Mit den daraus gewonnenen Informationen wird dann versucht, die Rahmenbedingungen weiterzuentwickeln.


Ortsflexibles Studieren


Einsatz von digitaler Lehre ist nicht nur in Zeiten von Corona eine sinnvolle Ergänzung, sondern schafft auch Entlastung für Studierende. Es fallen z.B. Anfahrtszeiten weg. Besonders zu Corona-Zeiten profitierten Studierende von Hochschulen, die im audit familiengerechte hochschule bereits flächendeckende E-Learning-Strategien etabliert hatten. Online-Vorlesungen und Blended Learning (also die Kombination aus Präsenzlehre und E-Learning-Angeboten) schaffen Möglichkeiten für die Vereinbarkeit nicht nur des Lehrpersonals, sondern auch für Studierende. Nach dem audit familiengerechte hochschule zertifizierte Hochschulen bieten ihren Studierenden zudem Zugriffe auf Datenbanken der Bibliotheken auch von außerhalb des Campus, was die Recherche für Studierende erheblich erleichtert.



Information und Kommunikation


In unserem Podcast mit dem freien Zusammenschlusses von Student*innenschaften (fzs) hatten wir bereits thematisiert, wie wichtig die Kommunikation an die Studierenden ist, um ihnen zu signalisieren, dass auch sie von der familiengerechten Ausrichtung ihrer Hochschule profitieren. Hier folgen nun eindrucksvolle Beispiele, wie Hochschulen eine zielgerichtete Ansprache von Studierenden fokussieren können. Viele auditierte Hochschulen haben zur Bündelung der Informationen zentrale Ansprechpartner*innen benannt, die die nötigen Informationen vermitteln und unterstützend tätig werden können. So sind ebenfalls zielgruppenspezifische Ansprechpersonen wie studentische Gleichstellungsbeauftragte oder Beauftragte für Behinderungen im Studium an zertifizierten Hochschulen etabliert worden.

Informationsplattformen, Flyer und Intranetseiten, die eine Auflistung der Maßnahmen und Ansprechpersonen zur familiengerechten Hochschule enthalten oder über bestimmte Aspekte wie Mutterschutz im Studium informieren, sind ebenfalls gern gewählte Mittel, um die studentische Zielgruppe in ihrer Breite zu erreichen. Flankierend dazu bieten zertifizierte Universitäten, Hochschulen und Akademien Veranstaltungsreihen an. Als Beispiele sind hier u.a. Erstsemesterwochen zu nennen, in denen bereits über die Vereinbarkeitsangebote wie etwa Nachteilsausgleiche, Beratungsleistungen, Betreuungsangebote oder flexible Stundenplangestaltung informiert wird. Besonders hervorzuheben sind außerdem Vortrags- und Workshopreihen im Rahmen einer Vereinbarkeitswoche oder Elternwoche, die über diverse Vereinbarkeitssituationen informiert und Beschäftigte und Studierende mit Sorgeaufgaben unterstützen soll.

Zur Förderung von Gleichstellungsthemen gibt es z.T. auch Frauenwirtschaftstage, an denen sich weibliche Studierende mit weiblichen Vorbildern vernetzen können. Besonders innovativ sind auch Austauschformate, bei denen Studierende alle 14 Tage die Möglichkeit haben, sich unverbindlich an einen Kaffeestand mit anderen Studierenden zu unterschiedlichen Themen wie Gleichstellung, Diversity oder Vereinbarkeit auszutauschen, außerhalb der üblichen Gremienstrukturen. Zertifizierte Hochschulen bieten darüber hinaus noch Stammtische für pflegende Studierende oder studierende Eltern an.


Geldwerte Leistungen und Studienfinanzierung


In Zeiten sinkender BAföG-Quoten ist gerade für Studierende mit Sorgeaufgaben die Studienfinanzierung eine Krux. Umso erfreulicher, dass hier mit einem strategisch angelegten Maßnahmenportfolio Abhilfe geschaffen werden kann. Hier haben familiengerechte Hochschulen Notfallfonds etwa für Studierende in Not oder mit Kind geschaffen. Einzelne Hochschulen verfügen auch Betreuungs- und Babysitterfonds. Die Vergabe von Stipendien wie etwa das Deutschlandstipendium oder verschiedene Unternehmensstipendien sind ebenfalls ein genutztes Mittel zur Unterstützung. Um auf besondere Lebensphasen einzugehen, gibt es Stipendien für Alleinerziehende oder schwangere Studierende. Besonders hervorzuheben ist ein dotierter Preis für Studierende, der einmal jährlich für Leistungen im Bereich Vereinbarkeit von Studium und Familie verliehen wird.


Familiengerechte Infrastruktur

Eine familiengerechte Hochschule benötigt eine familiengerechte Infrastruktur, die auch Studierenden offensteht. Beispiele hierfür sind etwa Wickel- und Stillräume an allen Hochschulstandorten oder Eltern-Kind-Büros. Zahlreiche Hochschulen verfügen zudem über Kinderbetreuungsangebote in Form von eigenen Kitas, Notfallbetreuungen oder Ferienbetreuungsangebote mit speziellen Kinder-Campus-Tagen. Kostenloses Mensa-Essen für Kinder im betreuungspflichtigen Alter ist ebenfalls ein Angebot an auditierten Hochschulen, um studierende Eltern zu unterstützen. Studieren ist mit viel Recherche in der Bibliothek verbunden. Hier bieten familiengerechte Hochschulen durch Spielecken mit Kinderbüchern, Studierenden mit Kind die Möglichkeit, kurzfristige Recherchen zu erledigen.

Die zahlreichen beispielhaften Maßnahmen zeigen: Familiengerechtes Studieren ist bereits vielerorts gelebte Praxis. Dazu bedarf es einer strategisch angelegten Vereinbarkeitspolitik, die die familiengerechte Ausrichtung von Hochschulen unterstützt und der Vielfalt von Lebensentwürfen und Familienformen Rechnung trägt. In Bezug auf familiengerechtes Studieren gilt zudem das altbewährte Sprichwort „Probieren geht über Studieren“. Die zahlreichen Praxisbeispiele zeigen das systematisches (Aus-) Probieren von Vereinbarkeitsmaßnahmen gerade für Studierende und eine fortlaufende Evaluation dazu führen, dass Hochschulen nicht nur Orte des Wissens, sondern auch der Familiengerechtigkeit sein können. 

 


[1] Destatis: Zahl der Studierenden im Wintersemester 20/21 auf neuem Höchststand, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/12/PD20_497_213.html, Stand Dezember 2020.

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